Gastronomie

Lokalen und Hotels fehlen Mitarbeiter

Das Wetter passt, die Inzidenzen sinken. Viele Wirte können aber nicht voll durchstarten. Ein?Grund:?Köche und Servicekräfte haben sich in der Krise neue Jobs gesucht.

16.06.2021

Von JULIA KLING MIT DPA

Fehlendes Personal und die bestehenden Auflagen machen Gastronomen trotz Lockerungen das Leben schwer. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Fehlendes Personal und die bestehenden Auflagen machen Gastronomen trotz Lockerungen das Leben schwer. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Ulm. Sommer, Sonne, ab ins Lokal – was von vielen lange herbeigesehnt wurde, ist für manchen Wirt und manche Wirtin derzeit mehr Problem als Segen. Anstatt der Speisekarte ist auf zahlreichen Aufstellern vor Lokalen derzeit „Wir suchen Mitarbeiter“ zu lesen. Egal, ob Hilfs- oder Stammjob, Köche oder Servicekräfte – vielen Betrieben fehlt Personal.

„Zum Glück haben wir zwei Betriebe und können unsere sechs Azubis an beiden Standorten einsetzen“, sagt Cem Tosun. Der Betriebsleiter des Restaurants „Ama Deli“ in Schorndorf ist derzeit auf der Suche nach einem Küchenchef und einer Vollzeitkraft im Service. Auf die Stellenanzeigen bekomme er zwar regelmäßig Bewerbungen, häufig aber von jungen Neueinsteigern ohne jede Erfahrung. „Was wir brauchen, sind Fachkräfte“, sagt Tosun. So sei es gerade ein täglicher Jonglierakt, den Laden am Laufen zu halten.

Tosun ist mit dem Problem nicht allein. Ein aktuelles Stimmungsbild unter Mitgliedern des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) zeigt, wie eng es beim Service zum Start in die für viele existenzielle Sommersaison im Südwesten aussieht.

40?Prozent der Teilnehmer berichteten, dass Mitarbeiter während des Lockdowns in andere Branchen abgewandert seien. „Es war noch nie so schwierig, Personal zu bekommen“, berichtet Daniel Ohl, der Sprecher des Dehoga Baden-Württemberg.

Häufig haben bisher in der Gastronomie Beschäftigte in den Lebensmitteleinzelhandel oder auch zu Caterern und Imbissen gewechselt. „Man kann den Leuten keinen Vorwurf machen“, sagt Ohl. Die Auswirkungen auf die Betriebe seien jedoch enorm. Jeder fünfte Betrieb habe trotz der Lockerungen bislang nicht oder nur teilweise geöffnet.

Das liegt aber nicht nur am Personalmangel. Auch die Sitzplatzbeschränkungen und die von der Inzidenz abhängige Testpflicht machten eine Öffnung für manche Betreiber unattraktiv oder den Betrieb unwirtschaftlich, sagt der Verbandssprecher.

300?000 Beschäftigte weniger

Knapp drei Viertel der Lokale können der Umfrage zufolge unter den momentanen Auflagen nicht wirtschaftlich arbeiten, sagt Ohl. „Deshalb hoffen wir auf weitere Lockerungen, damit unsere Mitglieder nicht nur offen haben, sondern auch wieder Geld verdienen können.“

Aber wie lange wäre die Unterbesetzung beim Kellnern, Kochen oder an der Rezeption auszuhalten? Im „Ama Deli“ in Schorndorf kommt es dann wohl zu längeren Ruhezeiten.

„Da müssen wir ran, wenn sich nichts an der Situation ändert“, sagt Tosun, der derzeit selbst sieben Tage die Woche im Lokal ist. Zudem schaue er mit bangem Blick in Richtung Herbst und die Entwicklung der Inzidenzen.

Schon der leidlich verlaufene Sommer 2020, als manch einer das Virus unter Kontrolle wähnte, hat Spuren hinterlassen. Bis Ende September war die Gesamtbeschäftigung in der Branche von mehr als 2,4 Millionen im Jahr zuvor auf knapp 2,1 Millionen abgesackt.

In der Analyse des Deutschen Industrie- und Handelskammertags zur Tourismus-Konjunktur in diesem Frühsommer wird der Engpass deutlich: 48 Prozent der befragten Gastronomen bezeichneten den Fachkräftemangel als ernstes Risiko für das Geschäft – beinahe eine Verdreifachung gegenüber vor einem Jahr.

Arbeitnehmervertreter sehen die Schwierigkeit auch, weisen jedoch auf die Mitverantwortung der Arbeitgeber hin. Die Überraschung mancher Betriebe sei etwas scheinheilig, meint der Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Guido Zeitler. Die Personalknappheit sei auch ein „hausgemachtes Dilemma“: „Statt die Fachkräfte mit attraktiver Bezahlung zu binden, wurde auf Tarifflucht, Mini-Jobs und prekäre Beschäftigung gesetzt.“

„Sie werden fernbleiben“

Zeitler verweist etwa auf die hohe Zahl von Ausbildungsabbrechern unter angehenden Köchinnen und Köchen. In anderen Branchen sähen junge Leute oft bessere Verdienstchancen und mehr Wertschätzung. Das kann auch Tosun bestätigen. Zeitler ist sich sicher: „Hunderttausende derer, die in Corona-Zeiten gehen mussten, werden dem Gastgewerbe in Zukunft fernbleiben.“ (mit dpa)

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Erstellt:
16.06.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 48sec
zuletzt aktualisiert: 16.06.2021, 06:00 Uhr

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