Literatur

Literarisches Experiment auf Luthers Spuren

Drei Autoren begeben sich in diesem Herbst auf der Wartburg freiwillig in Klausur.

29.10.2021

Von Renate Kortheuer-Schüring

Eisenach. Der Lyriker Uwe Kolbe hat es als erster gewagt. „Es hatte einen unglaublichen Reiz für mich, auf der Wartburg zu sein“, sagt er. „Hier herrschte einst die Macht der Poesie, hier war Gott gegenwärtig.“ Vier Wochen hat der Dichter fern des Berliner Alltags in dem alten Gemäuer verbracht – in einer Art innerem Dialog mit dem Reformator Martin Luther (1483-1546), der hier vor 500 Jahren das Neue Testament ins Deutsche übersetzte, und fasziniert von dessen kraftvoller Sprache. Für Kolbe war es ein „Experiment an Kopf und Seele“.

Das „Wartburg-Experiment“, das den Dichter nach Eisenach führte, ist ein Projekt der Martin Luther Stiftung und der Deutschen Bibelgesellschaft. Es soll an Luthers sogenanntes Septembertestament von 1521/22 erinnern und zugleich zeitgemäße poetische „Übersetzungen“ biblischer Stoffe anregen. Nacheinander residieren in diesem Herbst drei Schriftsteller auf der Burg: Uwe Kolbe, Senthuran Varatharajah und Iris Wolff.

Der 1957 in Ostberlin geborene Kolbe, Verfasser etwa der Gedichtbände „Psalmen“ (2017) und „Die sichtbaren Dinge“ (2019), kehrte schwärmend nach Berlin zurück. Ihn faszinierten die Natur, der Thüringer Wald, die „schöne Burg“ mit ihrer komplexen Geschichte und die Begegnungen dort gleichermaßen. Immer im Hintergrund dabei: der sprachmächtige Luther, der hier voller Zweifel die „Klinge mit dem Teufel“ kreuzte.

Kolbe selbst hat sich inzwischen auch an die Arbeit gemacht. „Das Wartburg-Konglomerat“ soll der Titel seines neuen Buches sein – eine Reminiszenz an die geologische Beschaffenheit des Burgfelsens. Geplant sind 28 mit je einem Bibelwort überschriebene Texte, Prosa und Gedichte, für jeden Tag seines Aufenthalts einer.

Gottesdienst im Livestream

Die literarischen Früchte des Wartburg-Experiments sollen im kommenden Herbst veröffentlicht werden. Dann werden auch Senthuran Varatharajah, der aus Sri Lanka stammt und als Kind mit der Bibel Deutsch lernte, und die Eichendorff-Preisträgerin Iris Wolff ihre Burg-Erfahrungen zu Texten verarbeitet haben. Man darf gespannt sein.

Am Reformationstag (31. Oktober) gibt es in Eisenach eine Lesung mit Wolff, Varatharajah und Kolbe, nebst ersten Einblicken in das „Wartburg-Experiment“. Am 2. November ist im Erfurter Augustinerkloster ein Rundgespräch der drei Autoren mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) über die Bedeutung der Bibel heute geplant. Am 14. November soll ein literarischer Gottesdienst auf der Wartburg folgen, der auch im Livestream übertragen wird.