Forstexperten im Wendelsheimer Wald

Lieber licht oder lieber dicht?

Ein Rundgang beim Wendelsheimer Märchensee entwickelte sich zu einer spannenden Pro- und Contra-Vorlesung über verschiedene Methoden der Forstwirtschaft.

26.03.2019

Von Michael Hahn

Tief aufgewühlt wurde diese Rückegasse beim Holzeinschlag im vergangenen Januar. Bei einem Waldrundgang am Samstag diskutieren Forst-Professoren, Förster, Waldbesitzer und Spaziergänger: Sind solche Schäden vermeidbar? Und um welchen Preis? Bild: Michael Hahn

Tief aufgewühlt wurde diese Rückegasse beim Holzeinschlag im vergangenen Januar. Bei einem Waldrundgang am Samstag diskutieren Forst-Professoren, Förster, Waldbesitzer und Spaziergänger: Sind solche Schäden vermeidbar? Und um welchen Preis? Bild: Michael Hahn

Eingeladen hatte die „Initiative Waldkritik“, eine kleine Gruppe um den Oberndorfer Künstler Harald Kunz. Sie wollte mit dem pensionierten Lübecker Forstdirektor Lutz Fähser einen Rundgang in den Wald beim Wendelsheimer Märchensee machen. Wie berichtet, hatte es dort bei der „Holz-Ernte“ im Januar deutlich sichtbare Bodenschäden gegeben. Fähser, der bei Lübeck eine besonders naturnahe – und international beachtete – Methode der Waldbewirtschaftung eingeführt hat, hatte „vielleicht mit sieben“ Teilnehmer(inne)n gerechnet, sagte er.

Aber am Samstagvormittag standen dann 80 Leute auf dem Wanderparkplatz oberhalb von Wendelsheim. Die halbe Belegschaft der Forst-Abteilung im Tübinger Landratsamt war da – und diskutierte schließlich eifrig mit, obwohl Abteilungsleiter Alexander Köberle erst mal erklärt hatte, es handle sich um eine private Veranstaltung im Rottenburger Stadtwald – und die hätte er auch verbieten können.

Zwei Professoren der Rottenburger Forsthochschule waren gekommen, zwei Rottenburger Gemeinderäte (Hermann Sambeth, CDU, und Alfons Heberle, FB), mehrere Wendelsheimer Ortschaftsräte, Anwohner, Jagdpächter und Spaziergänger, auch von auswärts. Drei Stunden lang erlebten sie eine spannende, kontroverse, aber immer kollegiale Diskussion.

Struktur und Natur

„Ein Traum von Schönheit“, sei der Wald hier, sagte Fähser beim ersten Zwischenstopp am Anstieg zum Pfaffenberg, und zählte auf: „eine Mischung aus alten und mittelalten Bäumen, keine Monokultur, und man hört den Specht im Hintergrund. Ein wunderschöner Erholungswald.“ Es sei „ein sehr gestalteter Wald, fast parkähnlich, mit einer intensiven Strukturpflege.“

Aber: Der „gestaltete“ Wald ist nicht Fähsers Ideal. „Das müsste man hier etwas mehr laufen lassen. Lasst die Natur voran gehen!“, appellierte er an seine hiesigen Kollegen. Das würde bedeuten: weniger Bäume fällen („minimal-invasiv“), mehr nachwachsen lassen. Dann würde der Wald dichter werden, schattiger.

Er vertrete „eine bestimmte Meinung innerhalb der Forstwirtschaft“, betonte der promovierte Forst-Ökonom. Sein Ziel sei „eine Waldwirtschaft, die sich weitestgehend an der Natur orientiert“. Dieser Ansatz, so sagte Fähser zur Verblüffung mancher Zuhörer, „ist auch der wirtschaftlichste“. Er helfe Kosten sparen und ermögliche die beste Anpassung an den Klimawandel.

Bäume speichern CO2

Bastian Kaiser, der Rektor der Rottenburger Forsthochschule, formulierte die Gegenposition: „Wir haben in Deutschland keine Urwälder mehr, sondern nur noch Kulturwälder.“ Die müssten auch entsprechend bewirtschaftet werden. Das Holzfällen helfe auch, das klimaschädliche Kohlendioxid zu speichern, sagte Kaiser – nur eben nicht im Wald, „sondern besser in Häusern und Möbeln“, und das ziemlich dauerhaft. Im Wald könne dann neues Holz nachwachsen und weiteres Kohlendioxid binden.

Die Bewirtschaftung diene auch der Vielfalt im Wald, ergänzte Rammert-Revierförster Gerhard Neth. Ohne Auslichten würde sich überall die Buche durchsetzen. Wenn man hierzulande weniger Bäume fällen würde, dann müsse Deutschland mehr Holz importieren, sagte der frühere Tübinger Forstdirektor Karl Ebert. „Dann sind wir mitschuldig“ am Abholzen der Regenwälder im Kongo oder Brasilien.

Eine Diskussion, in der auch die Fachleute zuhörten: Der Rottenburger Forstwissenschaftler Stefan Ruge, der pensionierte Lübecker Forstdirektor Lutz Fähser und Revierförster Hans-Joachim Ruff (hinten von links).  Bild: Michael Hahn

Eine Diskussion, in der auch die Fachleute zuhörten: Der Rottenburger Forstwissenschaftler Stefan Ruge, der pensionierte Lübecker Forstdirektor Lutz Fähser und Revierförster Hans-Joachim Ruff (hinten von links). Bild: Michael Hahn

Fähsers Einwand: Die Hälfte des hierzulande gefällten Holzes werde nicht verbaut, sondern verbrannt, als „erneuerbare“ Energiequelle. „Dann ist das CO2 gleich wieder in der Luft. Wir müssen es aber jetzt speichern, und nicht in 50 Jahren“, weil jetzt der Klimawandel unumkehrbar zu werden drohe. Und Deutschland importiere nicht nur Holz, sondern exportiere es auch – bis nach China.

Abgesehen davon könnten dichtere, schattigere Wälder dem Klimawandel besser standhalten, sagte Fähser. Lichte Wälder trocknen in heißen Sommern schneller aus – was ja im vergangenen Sommer auch im Rottenburger Stadtwald schon ein ernstes Problem war.

Forst ohne Frost

Noch dramatischer sind die Folgen bei der „Holz-Ernte“ im Winter, wenn die riesigen Vollernte-Maschinen den Waldboden aufwühlen. „Früher waren die Maschinen leichter“, sagte Fähser. „Und wir haben Frost gehabt. Das ist der entscheidende Punkt.“ Lange Frostperioden und bockelhart gefrorenen Waldboden, „das wird es in Deutschland nicht mehr geben“, sagte Fähser. „Keine Hoffnung.“

Dass die Holzernte am Märchensee im Januar zumindest an einigen Stellen „nicht gut gelaufen“ sei, darin waren sich am Samstag alle einig – angesichts tiefer Furchen wie auf unserem Bild oben. „Das plagt mich genauso“, sagte Rammert-Förster Neth.

Revierförster Hans-Joachim Ruff erläuterte das System der Rückegassen. Früher sei man zum Holzmachen „mit dem Unimog kreuz und quer durch den Wald gefahren“, bestätigte der Wendelsheimer Ortsvorsteher Joachim Maul. Heute fahren die – schwereren – Maschinen nur noch auf den ausgewiesenen Rückegassen. Auf diesen Linien allerdings wird nicht nur der Boden aufgewühlt, sondern das Erdreich wird so fest verdichtet, dass dort auf Jahrzehnte hinaus keine Baumwurzeln mehr gedeihen. Es könne bis zu 200 Jahre dauern, bis sich der Waldboden wieder erholt hat, sagte der Forstwissenschaftler Stefan Ruge.

Wirtschaftliche Zwänge

Laut Rammert-Förster Neth sind die Vollernte-Maschinen und Holzfäller-Trupps „überregional im Einsatz“. Die könne man nicht gezielt nur an strengen Frosttagen anfordern. Und Rückepferde statt Maschinen einzusetzen, sei unrealistisch, sagte Neth. Im Kreis Tübingen gebe es heute „vielleicht noch fünf Arbeitspferde, aber 5000 Reitpferde“.

Die Lübecker Forstdirektion, entgegnete Fähser, arbeite „nur mit eigenen Leuten“. Das Lübecker Prinzip: „Wenn schlechtes Wetter ist, dann wird der Rücke-Fahrer nach Hause geschickt.“ Es gebe dann im Stadtwald immer noch genug anderes zu tun. „Aber die Firmen sind getaktet. Die kann man nicht nach Hause schicken.“

Auch andere wirtschaftliche Zwänge beeinflussen die Entscheidungen der Förster. „Die Sägewerke haben sich eingestellt auf mitteldickes Holz“, sagte Prof. Ruge. Deswegen dürfe man die Bäume nicht zu lange wachsen lassen, sondern müsse beizeiten auslichten.

Solche Vorgaben müsse man eben verändern, entgegnete Fähser. Die Holzindustrie müsse mehr heimische Buche verarbeiten, auch als Bauholz. Das Holzrücken mit kleinen Maschinen oder gar Pferden sei teurer, gab Fähser zu. „Aber der Staat könnte den Pferderückern ja eine Prämie geben.“

Der Gemeinderat bestimmt den Hiebsatz

Wie der Wald am besten bewirtschaftet wird, ist nicht nur eine (kontroverse) wissenschaftliche Frage, sondern auch eine politische. „Sie können mitentscheiden, wie viel hier rauskommt“, sagte Förster Fähser am Samstag zu seinen Rottenburger Zuhörern. Sie sollten auf die zuständigen kommunalen Gremien einwirken. „Gebt euch eine Übergangszeit von 20, 30 Jahren, in der Ihr nur die Hälfte von dem rausholt, was nachwächst.“

Am Dienstag, 7. Mai, um 14 Uhr macht der Rottenburger Gemeinderat gemeinsam mit den Förstern einen Rundgang durch den Stadtwald. Anschließend (18 Uhr) wird das Gremium im Rathaus über die so genannte Forsteinrichtung entscheiden. Das ist der Betriebsplan für den Stadtwald für die kommenden zehn Jahre. Darin ist auch der „Hiebsatz“ festgelegt: Wie viel Holz sollen die Förster jedes Jahr aus dem Wald herausholen?

Im Oktober wird die Rottenburger Forsthochschule ein öffentliches Symposium über die Methoden der „Holz-Ernte“ ausrichten. Rektor Kaiser sagte, daran könne sich auch die „Initiative Waldkritik“ beteiligen.