Lieber Leben

Lieber Leben

Nach einem Halswirbelbruch kämpft Benjamin, ein junger Sportler, in einer Rehaklinik monatelang gegen eine Querschnittslähmung an.

12.12.2017

Von Madeleine Wegner

Lieber Leben
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Zweihundertfünfundvierzig. Das ist das Ergebnis eines starr gerichteten Blicks. 245 kleine Quadrate hat die Deckenleuchte im Krankenzimmer. So fängt sie an, die Geschichte von Ben: Die subjektive Kamera nimmt seine Perspektive ein, zeigt das eingeschränkte Blickfeld. Es ist ein winziger Ausschnitt der Umgebung, in den sich verschwommen und dumpf Gestalten und Geräusche schieben. „Lieber Leben“ ist eine autobiografische Geschichte, und zwar die von Fabien Marsaud. Als Poetry-Slammer und Hip-Hop-Musiker nennt er sich „Grand Corps Malade“, also „großer, kranker Körper“. Dieser Name wie auch der Gehstock als sein Markenzeichen zeugen von seinem eigenen Unfall – wie bei Ben war es ein fataler Sprung ins Schwimmbecken.

Ben (Pablo Pauly) kommt langsam zu sich, die Umgebung wird grell und klar, und damit auch die Gewissheit, dass nichts mehr so ist wie zuvor. Der junge Basketballer ist fast komplett gelähmt. Doch im großen Zeh seines linken Fußes spürt er etwas. Ben kommt in eine Reha-Klinik, die mit ihren Zimmern und Fluren ein eigenes Universum bildet, wo die Zeit zäh und die Hoffnung wankelmütig ist. „Das erste, was du lernen musst: Geduld“, sagt Farid (Souffiane Guerab), der seit seinem vierten Lebensjahr im Rollstuhl sitzt und schon viel Lebenszeit in Kliniken verbracht hat.

Auch der Originaltitel „Patients“ spielt in seiner Doppeldeutigkeit mit dieser Notwendigkeit: Es kann ebenso die „Patienten“ bezeichnen, wie „geduldig“ bedeuten. Und Geduld ist gefragt bei den täglichen Übungen, beim mühseligen Kampf um jeden kleinen Fortschritt und jeden Millimeter Bewegung, aber auch beim abendlichen Musikbeitrag der Alleinunterhalter, der sich nach siebenjähriger Folklore-Folter anfühlt. Bei den Französischen Filmtagen erhielt „Patients“ den Tübinger Publikumspreis. Das mag auch an den vielen überzeugend angelegten und gut gespielten Charaktere liegen: etwa Samia (Nailia Harzoune), die versucht hat, sich das Leben zu nehmen, oder Toussaint (Moussa Harzoune), der zum zweiten Mal alles verloren hat. Zusammen sind sie eine vorübergehende Schicksalsgemeinschaft, zusätzlich gibt es noch allerlei Reha-Rand-Gestalten mit Schädel-Hirn-Trauma oder Frontalhirnsyndrom.

Und dann ist da noch das Ausgeliefertsein, die Abhängigkeit vom Pflegepersonal. All das zeigt der Film eindrücklich und überzeugend, ohne sentimental zu werden. Auch den Moment der Verzweiflung, in dem Ben klar wird, dass er niemals seine früheren Träume wird umsetzen können. Sein altes Leben bricht komplett zusammen. Wie es Ben allerdings gelingt, eine neue Perspektive zu finden, das beantwortet der Film nicht.

Unsentimentaler Einblick in den unterschiedlichen Umgang mit Körper-Behinderung und in den Kampf um Freiheit.

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Erstellt:
12.12.2017, 18:04 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 16sec
zuletzt aktualisiert: 12.12.2017, 18:04 Uhr

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