Leben mit kranker Lunge

Lichtpunkte im Leben setzen

Wer an Asthma oder COPD leidet, muss mit seinen Kräften haushalten. Trotzdem aktiv zu bleiben, ist aber nicht nur für die Therapie wichtig, sondern bringt auch Lebensfreude.

28.11.2017

Von Angelika Bachmann

Asthma-Patientin Andrea Plangger: Kräfte sammeln für die sonnigen Wintertage. Bilder: Angelika Bachmann

Asthma-Patientin Andrea Plangger: Kräfte sammeln für die sonnigen Wintertage. Bilder: Angelika Bachmann

Wenn die feuchte Kälte in alle Mauerritzen kriecht und der Nebel sich über die Felder legt, sind das keine guten Tage für Andrea Plangger. Wer wissen will, wie sie sich dann fühlt, kann folgendes Experiment machen: Man nimmt einen sehr dünnen Strohhalm und atmet durch diesen fünf Minuten lang ein und aus. Zwischendurch steigt man immer wieder eine Treppe rauf und runter. An solchen Tagen ist nicht dran zu denken, die Böden zu wischen oder die Fenster zu putzen, wie sie es sich eigentlich für diese Woche vorgenommen hatte. Selbst der Weg zum Bäcker vorne an der Straße ist dann ein Marathonlauf. Das Haus, in dem sie zusammen mit Mann und Kindern wohnt, ist so eingerichtet, dass Schlafzimmer, Küche, Bad im Erdgeschoss auf einer Ebene sind. So muss sie an schlimmen Tagen keine Treppen steigen.

Andrea Plangger leidet an allergischem Asthma, seit mehr als 20 Jahren. Als Jugendliche hatte sie Heuschnupfen, „aber eigentlich gar nicht so schlimm“, wie sie rückblickend sagt. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich gelitten hätte.“ Allerdings sind allergische und Autoimmunerkrankungen in ihrer Familie verbreitet: Asthma, Heuschnupfen, Neurodermitis.

Die ersten Beschwerden mit Asthma traten während ihrer Schwangerschaft auf. Die gelernte Krankenschwester war damals 22 Jahre alt. „Alles fiel plötzlich so schwer. Ich habe viel gehustet, konnte nachts nicht mehr gut schlafen.“ Sie dachte, das seien Begleiterscheinungen der Schwangerschaft und eine hartnäckige Erkältung. Ihr Hausarzt schickte sie jedoch zum Lungenfacharzt, der Asthma diagnostizierte.

Asthma ist eine chronische Entzündung der Bronchialschleimhaut, erklärt Dr. Eva Schuelen, Lungenfachärztin an der Medizinischen Uni-Klinik Tübingen. Die Entzündung kann durch unterschiedliche Faktoren hervorgerufen werden. Oft ist es eine Reaktion des Körpers auf einen allergieauslösenden Stoff, etwa Pollen oder Hausstaub. Eine Therapie beginnt dann in der Regel damit, diesen Stoff so gut wie möglich zu vermeiden. Zur Basistherapie gehört aber auch, die Entzündung der Bronchien zu hemmen. Dafür werden kortisonhaltige Sprays verordnet.

Schuelen kennt die Vorbehalte vieler Patienten gegen Kortison-Präparate. Sie betont aber, wie wichtig es sei, rechtzeitig Inhalationssprays mit Kortison zu verwenden, die lokal in der Lunge wirken. So könne man oft verhindern, dass sich die Erkrankung verschlimmere und man bei weiterer Verschlechterung Kortisontabletten nehmen müsse – diese brächten dann tatsächlich auch Nebenwirkungen mit sich, weil das Kortison sich dann nicht nur in den Bronchien, sondern im ganzen Körper verteilt. Weil Plangger an einer besonders schweren Form von allergischem Asthma leidet, erhält sie zusätzlich zu den entzündungshemmenden Sprays Xolair-Injektionen – ein spezielles und sehr teures Präparat, das die Krankenkassen bezahlen, wenn andere Therapiemöglichkeiten ausgereizt sind. Es bindet so genannte Immunglobuline (IGE), körpereigene Stoffe, die an der Entstehung von allergischen Reaktionen beteiligt sind.

Wenn der Körper schlecht mit Sauerstoff versorgt ist, fehlt ihm Energie. Mit seinen Kräften zu haushalten, ist aber nicht immer einfach – zumal wenn man, wie Andrea Plangger, fünf Kinder großzieht. Das kostet Kraft, gibt aber auch Lebensfreude, sagt Plangger. Sie genießt den Alltag mit der Familie, auch wenn das anstrengend und turbulent sein kann. In ihrem Beruf kann die 46-jährige Hirrlingerin nicht mehr arbeiten. Seit 2013 erhält sie Berufsunfähigkeitsrente.

Auch wenn es an diesem Tag schwer fällt: Sie wird sich gegen später mit Malin, der 20 Wochen alten Hündin, auf den Weg machen und spazieren gehen. Die tägliche Bewegung sei ihr wichtig, es tue der Lunge gut. So bleibt sie in Bewegung, trainiert auch ihre Abwehrkräfte. Und wenn dann wieder die Sonne rauskommt und die schönen klaren Wintertage kommen, will sie fit sein und über die Felder spazieren.

In Bewegung bleiben. Nicht das Handtuch werfen. Das ist auch für Melianus Taranteijn wichtig. Der 61-Jährige lebt seit mehr als 20 Jahren mit der chronischen Lungenkrankheit COPD. Der gebürtige Holländer verströmt eine ansteckende Fröhlichkeit: Eine positive Lebenseinstellung sei wichtig, sagt er, um in schwierigeren Zeiten durchzuhalten. Denn die gibt es auch. Obwohl er lieber von den schönen Momenten erzählt, die er sich trotz seiner Krankheit ermöglicht: Wie er neulich zusammen mit seiner Frau Monika auf dem Baumfeld gearbeitet hat. Wie die beiden mit ihrem Chor in Berlin aufgetreten sind. Anschließend war er so k.o., dass er mit dem Rollstuhl aus dem Konzertsaal gerollt wurde. Aber das Konzert war klasse!

Mit 40 Jahren erfuhr Taranteijn, dass er an COPD leidet. „Ich hatte noch nie was davon gehört.“ Er sei davor „kein Arztgänger“ gewesen. Es gab auch keinen Grund dazu. Er war ein Mensch, der sein Leben genoss, ein sportlicher Typ, der Fußball spielte und Mountainbike fuhr. „Mir war keine Sportart fremd.“ Der gelernte Automechaniker arbeitete nach seiner Ausbildung in einem Schweißertrupp in zahlreichen Werften. Der Trupp war schnell und gut: „Wir wurden nach Metern bezahlt.“ Damit ließ sich gut Geld verdienen. Neues faszinierte ihn, was ihm Spaß machte, probierte er aus. In Südfrankreich arbeitete er zeitweise als Erntehelfer und Austernsammler. Und sei dort auch eine Zeitlang hängengeblieben.

Und dann die Diagnose. Das Kürzel COPD steht für „chronic obstructive pulmonary disease“ (chronisch obstruktive Lungenerkrankung). Es bezeichnet ein Krankheitsbild, bei dem die Bronchialschleimhaut und in der Folge das Lungengewebe dauerhaft entzündet ist, die Lungenbläschen verlieren ihre Elastizität. Wer daran leidet, dem ist es nicht mehr möglich, körperliche Belastung so zu kompensieren, wie Gesunde es tun: schneller und intensiver zu atmen, um den Körper mit mehr Sauerstoff zu versorgen. Stattdessen führt die spontane Reaktion des Körpers (Luft holen!) zu Atemnot: Die Lunge kann die eingeatmete und verbrauchte Luft nicht mehr abströmen lassen. „Das ist, als würde man im eigenen Atem ertrinken“, sagt Taranteijn.

Anfangs habe er einfach sein Leben weitergelebt. Nur eins hat er noch am Tag der Diagnose geändert: Er hat Zigaretten und Feuerzeug aus der Hosentasche gekramt und sie dem Arzt auf den Tisch gelegt. Rauchen (auch Passivrauchen) gehört zu den wichtigsten Ursachen für COPD. Welche Rolle die Rauchgase spielten, die er beim stundenlangen Schweißen in den Schiffswerften und Fabrikhallen einatmete, darüber könnte man sicher auch reden. „Arbeitsschutz gab es da keinen.“ Aber es ändere ja ohnehin nichts mehr an seiner Situation. Er müsse damit klarkommen, so wie es jetzt ist.

2009 ist Taranteijn mit seiner Frau nach Ehningen gezogen. Die beiden hatten sich vier Jahre zuvor kennengelernt. In Ehningen arbeitet er als Hausmeister im Schülerhort und in der Mensa. Außerdem engagiert er sich ehrenamtlich im Fahrdienst der Gemeinde. Lange Spaziergänge fallen im schwer. Und dass er sein Auto zum Wechseln der Winterreifen in die Werkstatt bringen muss, wurmt den Automechaniker schon! Aber es gebe auch vieles, das noch geht, sagt Taranteijn. Dreimal die Woche gehen er und seine Frau schwimmen. Die Arbeit im Schülerhort findet Taranteijn klasse. „Kinder sind toll.“ Er selbst ist in einer kinderreichen Familie groß geworden: Der Sohn einer indonesisch-niederländischen Familie hat elf Geschwister.

„Wir setzen uns Lichtpunkte, auf die wir uns freuen“, erzählt Monika Taranteijn. Der nächste Lichtpunkt: Im Dezember, zu ihrem Geburtstag, wollen sie verreisen. Wohin, weiß sie noch nicht: Es soll eine Überraschung werden. Wie sehr seine Frau ihn unterstützt, dafür ist Melianus Taranteijn dankbar. Monika Taranteijn wiederum findet es bewundernswert, wie ihr Mann sich seine positive Lebenseinstellung bewahrt habe. „Er klagt nie.“

Vieles, was heute wieder möglich ist, war vor wenigen Jahren undenkbar. Nach einer Lungenentzündung hatte sich die Krankheit dramatisch verschlechtert. Sein behandelnder Oberarzt am Tübinger Uni-Klinikum, Dr. Jürgen Hetzel, riet ihm zu einem speziellen, neuen bronchoskopischen Therapieverfahren, bei dem so genannte Lungenventile eingesetzt werden. Diese lindern die Überblähung der Lunge und damit auch die Atemnot. Seither geht es ihm viel besser, freuen sich Taranteijn und seine Frau. Davor war er 15 Monate lang krankgeschrieben. Das war schwer zu ertragen. Und das will Taranteijn auch auf jeden Fall verhindern: Dass er „auf dem Sofa landet und nicht mehr aktiv am Leben teilnehmen kann“.

Tägliche Bewegung ist ihm deshalb wichtig, damit das Lungengewebe trainiert wird und sich dessen Zustand nicht weiter verschlechtert. Im Wohnzimmer steht neben dem Inhalationsgerät eine Trompete: Das Instrument zu spielen, ist Leistungssport für die Lunge! Darüber nachzudenken, was vielleicht irgendwann mal nicht mehr geht, darauf wollen Taranteijn und seine Frau keine Energie verschwenden. Das seien „Sorgen von Tagen, die noch nicht gekommen sind“. Ohnehin, sagt Taranteijn, habe er sich vorgenommen, sehr alt zu werden. Er wolle nämlich unbedingt mit seiner Frau Goldene Hochzeit feiern. 2009 haben die beiden geheiratet. 2059 werden sie also 50 Jahre verheiratet sein. „Dann bin ich 103 Jahre alt.“

COPD-Patient Melianus Taranteijn: Trompetespielen ist Leistungssport für die Lunge. Bilder: Angelika Bachmann

COPD-Patient Melianus Taranteijn: Trompetespielen ist Leistungssport für die Lunge. Bilder: Angelika Bachmann