Klimaaktivisten

Letzte Generation blockiert B28-Abfahrt in Reutlingen: „Ich zünd‘ euch an!“

Aktivisten der Klimaschutzbewegung „Letzte Generation“ haben sich am Freitag in Reutlingen auf der B28 in Richtung Innenstadt festgeklebt. Mit teils heftigen Reaktionen der Autofahrer.

10.03.2023

Von Eyline Mutlu und Luca Viglahn

Klimaaktivisten blockieren die Reutlinger B28-Abfahrt. Bild: Klaus Franke

Klimaaktivisten blockieren die Reutlinger B28-Abfahrt. Bild: Klaus Franke

Vor fünf Wochen war eine Blockade der Letzten Generation in Reutlingen noch gescheitert, nun hatten die Aktivisten Erfolg: Am Freitagnachmittag haben fünf von ihnen die Abfahrt von der Bundesstraße B 28 Richtung Innenstadt am Hohbuchknoten blockiert. Sie klebten sich kurz vor 15 Uhr am Ampelübergang auf der Straße fest. Kurz darauf war die Polizei vor Ort.

14.55 Uhr: „Sie sind schon festgeklebt“, stellen die Polizeibeamten bei ihrer Ankunft fest. Außer die beiden Aktivisten in der Mitte. Sie kleben sich nicht auf den Asphalt, denn sie lassen den Durchgang für die Rettungsgasse frei. „Wenn bei unseren Protesten kein Krankenwagen durchkommt, dann liegt das an der fehlenden Rettungsgasse der Autofahrer und nicht an uns“, sagt einer der Aktivisten. Während der Sekundenkleber noch fest wird, laufen schon erste Autofahrer auf die Aktivisten zu. „Die Maßnahmen sind einfach nur falsch“, erklärt einer wütend. Es gebe laut ihm andere Wege den Klimaschutz voranzutreiben. Durch die Protestaktion könne er seine Tochter nicht zur Nachhilfe fahren. Er holte das weinende Mädchen kurz danach zu sich: „Wegen euch müssen kleine Mädle heulen!“

15 Uhr: Inzwischen haben sich mehrere Männer vor den Aktivisten versammelt, um mit ihnen zu diskutieren. Die Meinungen der Autofahrer gehen auseinander. Neben konstruktiver Kritik, hageln auch zahlreiche Beleidigungen und Morddrohungen auf die Festgeklebten ein – „Erschießen sollte man das Pack.“

Doch den Aktivisten ist vor allem eins wichtig: Klimaschutz. Schaue man sich den Globalen Süden an, könne man schon die Auswirkungen der Klimakrise sehen: Krieg und Hunger. „Bevor wir in 50 Jahren um Lebensmittel und Wasser streiten, kleb ich mich lieber jetzt auf die Straße, um das zu verhindern“, so ein Aktivist. Sie wollen, dass weitere Klima-Kipppunkte verhindert werden und die Bundesregierung endlich handle. „In die Welt, auf die wir zusteuern, will ich keine Kinder setzen“, sagt er.


15.14 Uhr:
Immer wieder fahren Autos auf der Gegenfahrbahn vorbei, aus denen den Aktivisten weitere Drohungen und Beleidigungen, hinterhergeschrien werden: „Wenn ihr nicht augenblicklich verschwindet, zünde ich euch mit Benzin an!“ Sie können den Ärger verstehen. „Wir leiden mit“, sagt Jana Krämer, die selbsterklärte „Pressebiene“ der „Letzten Generation“. Es wäre schon mit allen möglichen Protestformen versucht worden und die Situation würde immer dringender werden – „so dringend, dass wir Druck ausüben müssen“, sagt sie.

15.32 Uhr: Seit Beginn der Protestaktion leitet die Polizei den Verkehr auf die B28 um. Nun können auch die letzten wartenden Autos auf der Abfahrt wenden und auf die Bundesstraße zurückfahren. Mittlerweile ist auch ein Vertreter des Reutlinger Ordnungsamts eingetroffen, der die Aktivisten umgehend auffordert, die Straße zu verlassen. Wie erwartet weigern sich die Klimakleber: „Ich kann das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, hier wegzugehen“.

15.40 Uhr: Die Aktivisten, die sich nicht festgeklebt haben, werden weggetragen. Bei den Übrigen macht nicht nur das Gewissen, sondern auch der Sekundenkleber an den Händen das Aufstehen schwierig.

15.51 Uhr: Mitarbeiter von den Technischen Betriebsdiensten fangen an, die Aktivisten von der Straße zu lösen. Um die Hände zu schonen, setzen sie kein starkes Lösungsmittel ein. Wie bei Aktionen andernorts bereits bewährt, kommen Sonnenblumenöl, Pinsel und Spachtel zum Einsatz.

16.17 Uhr: Im strömenden Regen wird auch der letzte Aktivist von der Straße getragen. Vor den persönlichen Folgen haben die Aktivisten nach eigenen Angaben keine Angst. Im Vergleich zu den Konsequenzen des Klimawandels sei es egal, ob sie „sieben Stunden, eine Nacht oder auch zwei Wochen“ auf der Polizeiwache verbringen müssen.

Thomas Keck ist enttäuscht von der Letzten Generation

eutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck, der sich am 20. Februar mit Vertretern der Letzten Generation getroffen hatte, fühlt sich von der Aktion ein Stück weit veräppelt: „Ich habe nicht mit ihnen darüber verhandelt, dass sie sich nicht mehr in Reutlingen festkleben. Aber es war ein gutes Gespräch. Deshalb enttäuscht mich das. Denn so etwas ist nicht zweckmäßig.“ Grundsätzlich unterstütze er die Ziele der Umweltaktivisten. Im Gespräch mit den drei Vertretern hatte Keck vor vier Wochen allerdings seine Bedenken gegen den von diesen geforderten Gesellschaftsrats geäußert. „Wir müssen in den bestehenden Strukturen Dampf machen und nicht ein neues Gremium wie einen Gesellschaftsrat einrichten. Aber in diesen Gesellschaftsrat ist die Letzte Generation wie vernarrt.“