Nationalmannschaft

Leon Goretzka: Mit Herz und Verstand

Leon Goretzka hat die DFB-Elf ins Achtelfinale geschossen. Der 26-Jährige spielt auch abseits des Platzes eine bemerkenswerte Rolle.

26.06.2021

Von CARSTEN MUTH

Leon Goretzka bejubelt seinen Treffer gegen Ungarn, der die DFB-Elf ins EM-Achtelfinale brachte. Foto: imago images/Sven Simon

Leon Goretzka bejubelt seinen Treffer gegen Ungarn, der die DFB-Elf ins EM-Achtelfinale brachte. Foto: imago images/Sven Simon

Ulm/München. Auch nach dem wohl bislang wichtigsten Tor seiner Karriere blieb sich Leon Goretzka treu. Mit Wucht und Willen hatte der 26-jährige Nationalspieler den Ball zum 2:2 in die Maschen der Ungarn gehämmert. Dann drehte Goretzka ab, lief an den wütenden gegnerischen Fans vorbei – und zeigte den ganz in schwarz gekleideten schweren Jungs ein mit seinen beiden Händen geformtes Herz. Es war der emotionale Höhepunkt eines überaus emotionalen Spiels in der Münchner EM-Arena, das politisch mächtig aufgeladen war nach der Regenbogen-Debatte.

Deutschland steht dank Goretzkas Treffer im Achtelfinale. Sein Torjubel in dem letzten Gruppenspiel galt jenen Fans im ungarischen Block, die mit homophoben Gesten, Gesängen und Bannern aufgefallen waren. Der Mittelfeldspieler antwortete darauf auf seine Art. Der Star des FC Bayern kommentierte die häßlichen Aktionen nonverbal und mit dem Zeichen der Liebe. Hass und Diskriminierung haben im Fußball nichts verloren, lautete Goretzkas deutliche Botschaft.

Von vielen Beobachtern ist der Mann mit der Nummer 18 anschließend gefeiert worden, nicht nur vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland. „Spread love“, verbreitet Liebe, schrieb der Bayern-Star noch in der Nacht nach dem Match bei Twitter neben eine Regenbogenfahne.

Leon Goretzka ist in der Tat kein gewöhnlicher Profikicker. Der gebürtige Bochumer spielt nicht nur auf dem Rasen eine bemerkenswerte Rolle, sondern auch abseits des Feldes. Er weiß um die Öffentlichkeitswirksamkeit eines Nationalspielers. Und setzt diese medienwirksam für soziale Zwecke ein. Mit Teamkollege Joshua Kimmich rief er im vergangenen Jahr „We kick Corona“ ins Leben. Eine Spendenaktion für soziale Einrichtungen. Goretzka und Kimmich beteiligten sich an der Aktion mit insgesamt einer Million Euro.

Goretzka setzt sich darüber hinaus offensiv gegen Rassismus – und für Toleranz und Offenheit ein. Der Fußballer erhebt seine Stimme gegen rechts. Die AfD etwa hat er jüngst „eine Schande für Deutschland“ genannt. „Das habe ich auch zum Teil öffentlich gemacht, um den Menschen zu zeigen: Stopp, hier gibt es Contra“, sagte er anschließend der „Welt am Sonntag“. Dass er dafür von Unterstützern der Partei angefeindet und bedroht wurde, nimmt der 26-Jährige in Kauf.

Wegducken kommt für Goretzka nicht in Frage. Im Gegenteil. Er betont: „Gegen diese Widerstände muss man ankämpfen, um etwas zu verbessern. Wir müssen den Leuten klar vor Augen führen, dass wir in einer Demokratie leben, die durch nichts und niemanden kaputt gemacht werden kann.“

Der Sportler Leon Goretzka hat in den vergangenen beiden Jahren vor allem an Muskelmasse zugelegt. Derart gestählt wurde er bei Bayern München Stammspieler. Ein breites Kreuz benötigt Goretzka auch im Ungang mit den Menschen, die ihm nicht wohl gesonnen sind, die ihm schon mal die Pest an den Hals wünschen, wenn er sich für den Minderheitenschutz stark macht.

Der Hass in den Sozialen Medien treibt den früheren Spieler des VfL Bochum und von Schalke 04 um, wie er unter der Woche auf dem Facebook-Kanal der Nationalmannschaft verriet. Goretzka ist bewusst, dass fiese Kommentare und Shitstorms Menschen fertigmachen können. „Was teilweise im Netz mit Menschen gemacht wird, ist echt beschissen.“ Politik und Gesellschaft seien gefordert, dem entgegenzutreten. „Da besteht ein großer Handlungsbedarf. Ich weiß noch nicht genau wie. Aber das ist ein Punkt, an dem ich mich auch engagieren möchte.“

Goretzkas Engagement ist in der kommenden Woche vor allem auf dem Feld gefragt. Nach überstandendem Muskelfaserriss und dem starken Auftritt gegen Ungarn im letzten Gruppenspiel dürfte der torgefährliche Mittelfeldspieler ein Kandidat für die Startformation sein, wenn es am Dienstag (18 Uhr/ARD und MagentaTV) im Londoner Wembleystadion gegen England geht.

Gegen England von Anfang an?

Der 26-Jährige wiederum dürfte der DFB-Elf im Achtelfinale Durchsetzungsvermögen verleihen. Und Goretzka nichts dagegen haben, erstmals bei dieser EM beim Anpfiff auf dem Platz zu stehen. Gegen Portugal und Ungarn wurde er jeweils eingewechselt. Eine Garantie, das mit ihm alles besser wird, will Goretzka allerdings nicht abgeben. Seit fast neun Jahren ist der 1,89 Meter große Fußballer nun schon Profi. Da weiß man, wie der Hase laufen kann. „Du kannst in einem Spiel der Held sein und im nächsten schon wieder der Depp.“

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Erstellt:
26.06.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 09sec
zuletzt aktualisiert: 26.06.2021, 06:00 Uhr

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