Mobilität

Leitplanken per Gesetz

Auf den Straßen sollen endlich autonome Fahrzeuge rollen. Kommende Woche will der Bundestag den rechtlichen Rahmen verabschieden.

15.05.2021

Von DOROTHEE TOREBKO

Die neue S-Klasse von Daimler kann allein durch den Stau lenken und entlastet so den Fahrer. Foto: Daimler AG/dpa

Die neue S-Klasse von Daimler kann allein durch den Stau lenken und entlastet so den Fahrer. Foto: Daimler AG/dpa

Berlin. Das autonome Fahren ist das größte Zukunftsversprechen der Mobilitätswelt. Es soll zum Klimaschutz beitragen, die Zahl der Autos reduzieren und das Land besser anschließen. Damit das selbstfahrende Auto endlich auf deutsche Straßen kommt, hat die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg gebracht. Kommende Woche soll es vom Bundestag verabschiedet werden. Doch es gibt offene Fragen und Kritik an den löchrigen Regelungen. Das sind die wichtigsten Baustellen.

Für wen ist das Gesetz gemacht? Mit dem Gesetz will die Bundesregierung vor allem das autonome Fahren im öffentlichen Nahverkehr und der Logistik ankurbeln. Selbstfahrende Kleinbusse sollen Menschen zum Ziel bringen und sich dann selbstständig im Parkhaus abstellen. Güter sollen nicht mehr von einem Logistikmitarbeiter transportiert werden, sondern von einer selbstfahrenden Maschine. Doch damit nicht genug: Das Gesetz soll auch für den Halter von privaten Pkw gelten.

Wer haftet bei einem Unfall? Es ist ein ethisches Dilemma, für das es noch keine Lösung gibt: Im Extremfall entscheidet die Maschine, ob sie in eine Gruppe von Spaziergängern am Straßenrand fährt oder in ein Stauende. Ist der Halter verantwortlich oder der Hersteller? Das Gesetz gibt keine eindeutige Antwort. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) empfiehlt, dass die größte Verantwortung beim Hersteller liegen soll, dann bei der Technischen Aufsicht, dann beim Halter. Die Technische Aufsicht ist eine Leitzentrale, die in einer Gefahrensituation eingreifen und das Auto zum Straßenrand führen kann.

Auch der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software-Engineering in Kaiserslautern, Peter Liggesmeyer, ist skeptisch, was die Nutzung des autonomen Autos von privaten Haltern angeht. „Das individuelle autonome Fahren unter technischer Aufsicht ist ökonomisch vermutlich nicht sinnvoll“, sagt Liggesmeyer. Wenn für jede Person, die fährt, eine Aufsicht benötigt werde, sei die Anwendung im Individualverkehr „nicht realistisch“.

Sollte das Gesetz nur für den Nahverkehr gelten? Ja, sagt der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Der Verband empfiehlt, das Gesetz „nur auf gewerbliche Fahrzeughalter zu beschränken, also zum Beispiel auf Unternehmen, die mit fahrerlosen Shuttles Personen befördern“. Erst wenn die Haftungsfragen geklärt sind, sollen auch private Halter autonome Fahrzeuge nutzen können. Hierzu schlagen die Verbraucherschützer eine Neuauflage der Ethikkommission vor, die Standards zum vernetzten Fahren präzisiert. Die Grünen unterstützen dies und schlagen eine eigene Gesetzesregelung für private Halter zu einem späteren Zeitpunkt vor. „Die Regeln für die komplexe Materie können nicht von der Stange sein, sondern brauchen einen Maßanzug“, sagt der Grünen-Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar.

Zwar sei die Anwendung im Individualverkehr nicht ökonomisch, trotzdem solle man das Gesetz nicht auf den Nahverkehr beschränken, sagt Peter Liggesmeyer vom Fraunhofer-Institut. „Es gibt ein Geschäftsmodell für den Erprobungsbetrieb von Fahrzeugen des höchsten Autonomielevels“, erläutert der Forscher. Damit Hersteller Erfahrungen mit autonomen Autos im Straßenverkehr sammeln und ihre Technologien testen können, solle die Regelung nicht nur den ÖPNV umfassen. Aus Basis des Gesetzesentwurfes sei dies realisierbar und sinnvoll.

„Es ist wichtig, dass wir einen unkomplizierten Weg bekommen, unseren Stand der Technologie weiterzuentwickeln“, sagt Liggesmeyer. „Denn es sind Schlüsseltechnologien, die alle autonomen Systeme betreffen. Ohne autonome Systeme wird beispielsweise auch die Energiewende nicht gelingen.“

Was ist mit dem Datenschutz? Autos sind rollende Datenräume. Die Informationen sind für Automobilhersteller, Unternehmen wie Google, aber auch die Öffentlichkeit interessant. So können mithilfe der Daten intelligente Verkehrsangebote entstehen. Wenn Autos miteinander und mit der Infrastruktur kommunizieren, können Verkehrsströme gelenkt, Staus und damit Emissionen reduziert werden. Diese Informationen müssen aber geschützt werden, fordert der Grünen-Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar. „Hier muss die Bundesregierung nacharbeiten, um einen ordnungsgemäßen Datenschutz auch im konkreten Einsatz sicherzustellen“, kritisiert der Abgeordnete. Das Gesetz gibt derzeit wenig Auskunft darüber, wem die Daten, die im Zusammenhang mit der Fahrzeugnutzung anfallen, gehören und wer wie darüber verfügen kann. Ein Datentreuhänder, der über die Daten verfügt, wäre hier eine Lösung.

Der Rechtsanwalt Stefan Hessel, Vorsitzender des Vereins Algoright, wies in einer Anhörung im Bundestag zudem auf die erheblichen Risiken im Hinblick auf Cyberangriffe hin. Cybersicherheit sei eine der größten Herausforderungen beim autonomen Fahren. Der Gesetzesentwurf sei bezüglich Hackerangriffen „etwas dünn“. Hier müsse der Gesetzgeber nachrüsten.

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Erstellt:
15.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 06sec
zuletzt aktualisiert: 15.05.2021, 06:00 Uhr

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