Au-Brunnen

Lebensraum

07.05.2016

Von Reinhard Gerecke, Tübingen

Das war natürlich eine rhetorische Frage, als der Baubürgermeister auf der Bürgerversammlung zum Au-Brunnen das Abholzen eines Stücks Schönbuch als Alternative ansprach. Dieser Wald ist zum Glück tabu, seit der Plan einer Landesregierung, hier einen Flughafen zu errichten („Wichtig für den Erhalt des Lebensstandards.“), am Widerstand der Bevölkerung scheiterte. Ist die Lage aber wirklich so ernst, wie vom Verein Tübinger Wirtschaft verkündet, darf es jetzt doch „keine Denkverbote geben“?

Von der Quelle bis zur Mündung wird der Neckar in Begradigungen gezwängt, überdüngt, durch Gifteintrag bedroht. Abschnitte, in denen er sich ein wenig erholen kann, sind solche, wo Flusswasser mit reinem Grundwasser in Austausch tritt wie am Au-Brunnen, und der begleitende Grundwasserstrom ist ein Lebensraum wie Feld und Wald. Die Tiere hier sind winzig, blind und farblos, aber nicht weniger faszinierend als Hirsch und Wildsau – der Wert eines Bestandteils der Natur ist nicht danach zu messen, wie viele Biker auftreten oder Bierkisten sich kühlen lassen.

Besorgniserregend wenig kommt in der Diskussion dieser Eigenwert des Grundwasserkörpers zur Sprache. Ein Oberbürgermeister, der sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat, kann das Thema doch nicht auf die Frage „brauchen wir den Brunnen oder nicht?“ reduzieren. Auch so lange Tübingen dieses Wasser nicht aus einer Zwangslage heraus als Trinkwasser benötigt, leistet es einen unersetzlichen Dienst als „Naherholungsgebiet für den Neckar“.