Bauern: „Sind nicht an allem schuld“

Landwirte wehren sich gegen Angriffe auf ihr Selbstverständnis

Das weite Feld zwischen Agrardieselförderung und Insektensterben beackerten die Bauern bei der Sprengelversammlung.

18.11.2017

Von Mario Beißwenger

Bauer mit dem Traktor bei der Feldarbeit. Bild: Metz

Bauer mit dem Traktor bei der Feldarbeit. Bild: Metz

Bauern wirtschaften in einem schwierigen Umfeld: Sie sollen für Nitrat-Eintrag ins Grundwasser verantwortlich sein und für das Insektensterben, benutzen das möglicherweise krebsauslösende Glyphosat und müssen sich noch für ihre Subventionen rechtfertigen. Am Donnerstagabend bei der Sprengelversammlung im Kusterdinger Höfle setzte die Kompetenz vom Bauernverband einen Kontrapunkt mit Kreisobmann Jörg Kautt und Geschäftsführer Martin Zaiser, unterstützt vom Michael Bilger, Chef der Landwirtschaft- und Naturschutzabteilung beim Kreis.

„Die industrialisierte Landwirtschaft mit ihrer Massentierhaltung ist schuld an allem Unheil der Welt.“ So fasste Kautt die Vorwürfe zusammen. Er konterte: Das Mess-Stellennetz für die Erhebung der Nitrat-Belastung sei manipuliert. Es sei darauf angelegt, Preiserhöhungen der Wasserversorger zu rechtfertigen.

Eine Verbotsforderung des Herbizid-Wirkstoffs Glyphosat sei reine Ideologie. Die Bundesanstalt für Risikobewertung sei zu Unrecht in der Kritik, nur deshalb, weil deren Ergebnisse nicht ins Bild passten. „Wissenschaftliche Erkenntnisse werden mit allen Mitteln bekämpft.“ Wobei der Kreisobmann seine Kollegen – an die 50 waren gekommen – aufforderte, „den bedenkenlosen und unreflektierten Umgang“ damit einzudämmen.

Dass es überhaupt ein Insektensterben gibt, zogen manche Besucher in Frage. „Schnaken hat es dieses Jahr noch genug gehabt.“ „Ich bin froh, dass ich weniger Ungeziefer habe.“ „Bei uns hat es genug Schmetterlinge.“ „Daran sind die Autos schuld.“

Bilger war bei der Artenvielfalt nachdenklicher. „Können wir die Kulturlandschaft so gestalten, dass wir Bio-Diversität erhalten können?“ Kurt Wandel, Hausherr und Landwirt, war skeptisch, was umweltpolitische Eingriffe in die Landwirtschaftspraxis angeht: Er konnte sich nicht erklären, „warum das immer schlimmer wird, trotz Biotop-Vernetzung, Begrünung und Blühpflanzen“.

Einen Trost hatte Bilger parat: „Bei uns in Tübingen ist die Welt noch sehr gut.“ Vielleicht gelinge selbst so ein Vorzeigeprojekt wie der Rebhuhnschutz im Kreis, wenn denn die Landwirte mitzögen und die eine oder andere Restfläche auch über den Winter für den Bodenbrüter bereitstellen.

Zaiser schließlich gab Orientierung nicht nur in komplexen Steuerfragen, etwa der Auseinandersetzung mit dem zuständigen Zollamt über die Agrardiesel-Förderung. Es sei gelungen, auch den rechnerischen Anteil am Trecker-Treibstoff, der den Pensionspferde-Betrieben auf die Pferdehaltung zuzurechnen ist, weiter in der Förderung zu behalten.

Dann gab er den Landwirten noch Argumentationshilfe, um nicht als Abstauber von Subventionen dazustehen. Die Ruhr-Universität in Bochum habe ermittelt, welche Kosten die Bauern tragen, weil sie mehr Auflagen haben als die Weltmarktkonkurrenz oder die aus anderen EU-Ländern.

Im Durchschnitt der deutschen Haupterwerbsbetriebe seien das 28000 Euro im Jahr etwa für besseren Grundwasserschutz oder für höhere Tierschutzstandards. 3 Milliarden schulterten die deutschen Bauern allein wegen der besonderen deutschen Auflagen. „Das sind öffentliche Leistungen, wenn wir höhere Standards einhalten“, sagte der frühere Kreisobmann Christian Reutter dazu. Auch der örtliche Bauernobmann Jörg Walker stimmte ein. Statt ständiger Kritik an den Landwirten müssten die Medien auch diese Information transportieren. „Für den Verbraucher sind diese Zahlen wichtig.“

Grabentermin im Dezember

Schäden an ihren Äckern mussten die Kusterdinger Landwirte registrieren. Der Gemeindebauhof habe mittels einer großen Fräse sehr unsachgemäß Wassergräben freigeräumt und auch noch Unkraut im weiten Bogen auf die Äcker befördert. „Mir erschließt sich die Kompetenz der Leute nicht“, kritisierte Jörg Kautt, Kreisobmann der Bauern bei der Sprengelversammlung. Unmut äußerten auch weitere Landwirte, Kautt sprach von einem Eigentumsdelikt. Kusterdingens Bürgermeister Jürgen Soltau war in der Versammlung. Die Klärung, was schief gelaufen ist, sollte aber bei einem Vor-Ort-Termin am 4. Dezember geschehen. Treffpunk ist um 14 Uhr vor dem Kusterdinger Rathaus.

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Erstellt:
18.11.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 44sec
zuletzt aktualisiert: 18.11.2017, 01:00 Uhr

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