TAGBLATT-Lesung

Kusterdinger Gutenachtgeschichte: Unwahrscheinlich Wahres

Von Männern, die gegen die Meeresbrandung kämpfen und Rassehühner züchten – die TAGBLATT-Gutenachtgeschichte erhellte Ohren und Köpfe.

12.08.2021

Von Hannah Möller

Etwa 100 Plätze gab es bei der Kusterdinger Gutenachtgeschichte – die waren schnell besetzt. Bild: Ulrich Metz

Etwa 100 Plätze gab es bei der Kusterdinger Gutenachtgeschichte – die waren schnell besetzt. Bild: Ulrich Metz

Sie wollten schon „Who’ll stop the rain“ von CCR in ihre Songliste aufnehmen, doch dafür gibt es an diesem ausnahmsweise regenfreien, gar sommerlichen Mittwochabend keinen Grund: Die Grillen zirpen, die Schwalben zwitschern leise, während sich noch letzte Sonnenstrahlen im Kusterdinger Klosterhof verirren. Stattdessen spielt das Western-Duo „Horse Mountain“ liebestrunkene Lieder wie „Let your love flow“ und „You don’t know what it’s like“.

Sogleich reißt Birgit am Kontrabass und Dieter an der Gitarre, zusammen Stoll, das Publikum mit ihrem beschwingenden, liebevollen Western-Sound mit. Ringsum wippt, nickt und schwingt es. Normalerweise blättert Jürgen Jonas, TAGBLATT-Kolumnist und Moderator der Lesung, für den Tag der Gutenachtgeschichte im Kalender, um große Ereignisse aus den vergangenen Jahrzehnten aufzuzählen.

„Aber am 11. August war einfach nichts nennenswertes dabei“, sagt Jonas. Er habe lediglich herausgefunden, dass am 11. August in den USA der „Internationale Tag des Buddelns im Sande“ gefeiert wird. Jonas, der schon seit 2003 die TAGBLATT-Lesung in Kusterdingen moderiert, schlägt vor, man könne ja nachher eine Polonaise durchs Dorf zu den Sandgruben machen und zum Abschluss ein wenig gemeinsam buddeln. Dazu ist es wohl nicht gekommen – außer manche trafen sich nach geheimer Absprache? Zumindest in der Geschichte „Deutsche Männer und das Meer“ wurden auch Sandburgen gebaut. Und zwar exzessiv.

Eleonore Wittke erzählt von der rätselhaften Beziehung zwischen dem männlichen Geschlecht und der gewaltigen Macht des Ozeans. Immer sind es wohl die Männer, die beim Baden oder auf der Luftmatratze-lümmelnd zu weit in die deutsche Bucht hinaus geraten. Immer seien es die Männer, die man da wieder herausfischen müsse. Zwanghaft scheffeln sie Sand, graben Kanäle, gehen ohne ein Wort Baden. Der ewige Drang, die Brandung überwinden zu müssen, vorwärts zu kommen, begleite sie unentwegt. „Aber wohin?“, fragt sich Autor Axel Hacke, der das Programm des Abends bestimmt. Abwechselnd lesen Wittke und Bernd Selbmann, beide Kusterdinger, Kurzgeschichten des Schriftstellers vor.

Im Klosterhof legt sich langsam eine angenehme Kühle nieder, lange Schatten zeichnen sich durchs Gebälk des Nachbarhauses. Hackes kurzweilige, humorvolle Erzählungen scheinen wohl den Auftrag der übers Land wandernden Gutenachtgeschichte zu erfüllen: Sie soll „zur Erheiterung der Menschen“ beitragen, erklärt Jonas.

Während der eine lachend in sich hinein grummelt, krümmt sich die andere schon auf dem Stuhl. Hacke verblüfft, macht gute Laune – und „trifft den Nagel auf den Kopf“, wie Wittke beschreibt. „Statt zu polemisieren, pointiert er.“ Hacke kriegt es irgendwie hin, dass man selbst den Geflügelzüchterverein Niederdorla ins Herz schließt. Weil er einfühlsam die Begeisterung für Rassehühner wie Berliner Langlatschige Tümmler oder Bergische Zwerg-Schlotterkämme transportiert.

Man bekommt Mitleid mit den deutschen Männern, die das weibliche Prinzip, das das Meer verkörpern soll, auf Luftmatratzen versuchen zu erforschen. Zugleich ist es fast rührend, wie Hacke sie davor warnen will. Die Groteske macht so manchen Text nicht sofort eingängig, doch durch die gute Betonung Wittkes und Selbmanns ist es leicht zu folgen. Und für das Kusterdinger „kultivierte, Kalauer-nicht-verachtende“ Publikum, wie Jonas die Zuhörerinnen und Zuhörer nennt, ist das sicher kein Problem gewesen.

440 Euro gehen an den Waldkindergarten

Die Kusterdinger Eleonore Wittke, Journalistin und Autorin, und Bernd Selbmann, früherer Leiter vom „Amt Tübingen des Landesbetriebs Vermögen und Bau Baden-Württemberg“ lasen Gutenachtgeschichten aus zwei Büchern des SZ-Kolumnisten und Journalisten Axel Hacke: „Deutschlandalbum“ und „Nächte mit Bosch“. Die beiden Hüte, die noch aus dem Nachlass des ehemaligen TAGBLATT-Chefredakteurs Christoph Müller stammen und an dem Abend herumgingen, brachten 440 Euro ein. Das Geld geht an den Kusterdinger Waldkindergarten, das haben Selbmann und Wittke entschieden. Denn in der Pandemie würden Kinder besonders leiden.

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Erstellt:
12.08.2021, 19:18 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 52sec
zuletzt aktualisiert: 12.08.2021, 19:18 Uhr

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