Kultur- und Kreativwirtschaft

Kunst = Kapital

Was macht die Kunst? Sie kostet Geld. Aber nicht nur, manchmal bringt sie auch was ein. Eine Kosten-Nutzen-Rechnung am Beispiel Tübingen – und eine Bestandsaufnahme.

23.06.2017

Von TEXT: Wilhelm Triebold, FOTO: Ulrich Metz

In der aktuellen Kunsthallen-Ausstellung „Kapitalströme“ gibt der Bleistiftkünstler Filip Markiewic dem ZahlungsmittelEuro einen ganz neuen,hochpolitischen Sinn.

In der aktuellen Kunsthallen-Ausstellung „Kapitalströme“ gibt der Bleistiftkünstler Filip Markiewic dem Zahlungsmittel
Euro einen ganz neuen,
hochpolitischen Sinn.

Kunst-Schamane Joseph Beuys hat es vielleicht am besten auf den Punkt gebracht. „Kunst = Kapital“ lautet die Gleichung, über die sich so trefflich rätseln oder diskutieren lässt wie über sein noch bekannteres Diktum, dass „jeder Mensch ein Künstler“ sei.

Kunst = Kapital. Das gilt sicherlich in dem Sinn, dass Kunst und Kultur zum Grundvermögen einer zivilisierten Gesellschaft gehören. Sie stellen einen ideellen Wert dar. Aber lassen sie sich auch materiell aufwiegen? Kosten die Künste tatsächlich mehr als dass sie nutzen – und hat dann womöglich jener erzschwäbische Abgeordnete Damian von Mosthaf recht? Von dem stammt nämlich dieser gern und oft zitierte Ausruf, vor 190 Jahren im Stuttgarter Landtag: „Mir brauchet koi Kunscht, mir brauchet Grombiera!“

Doch längst haben Politik und Wirtschaft gerade auch in Baden-Württemberg erkannt, dass Kunst und Kultur durchaus ein wesentliches Lebensmittel ist. Ein sogenannter „weicher Standortfaktor“, nicht zuletzt wegen der Kultur-, Bildungs- und Freizeitbedürfnisse umworbener Fachkräfte. Und spätestens seit die Kultur- und Kreativwirtschaft immer enger miteinander verzahnt ist, darf Kultur eben auch als Wirtschaftsfaktor gelten.

Kunst = Kapital: So mancher Euro, der da investiert wird, fließt dann wieder zurück. Das nennt sich, Achtung Fachbegriff, Umwegrentabilität.

Und doch wird Kulturförderung auch weiterhin gerne als Freiwilligkeitsleistung statt als Pflichtaufgabe gesehen. Entsprechend bescheiden wird sie in den Haushalten veranschlagt. Beispiel Tübingen: Da beträgt der Kulturanteil am 316 Millionen Euro schweren städtischen Etat gerade mal 7,3 Millionen Euro – also etwas mehr als 2,3 Prozent. Selbst wenn bei dieser Zahl viele Personalkosten (etwa bei der Stadtbücherei oder dem Stadtmuseum) eingerechnet sind: Besonders großartig kommt solch eine Summe kaum daher. Von ihr sind knapp 4,4 Millionen Euro als Zuschüsse für Vereine und Institutionen gedacht (siehe Grafik).

Die Stadt, keine Frage, leistet trotzdem einen überaus wichtigen Beitrag zur Kulturförderung vor Ort. Und kann sich, rein finanziell betrachtet, beinahe glücklich schätzen, nicht wie zu Herzog Carl Eugens Zeiten ein Opernhaus unterhalten zu müssen. Diese kunstvolle Form der Sangeskunst ist immer noch bei weitem die teuerste aller Kunstformen. Aber auch in Tübingen geht der weitaus größte Anteil öffentlicher Kulturausgaben in den Theaterbetrieb. 1,57 Millionen Euro ans Landestheater, knapp 411 000 Euro ans überwiegend kommunal getragene Zimmertheater.

Während früher nur der Bund, die Länder und Kommunen für die kulturellen Belange der Bevölkerung zuständig schienen, schlich sich in Zeiten der Privatisierungen der Tatbestand der „Ökonomisierung der Kultur“ ein und damit der Begriff der Kreativwirtschaft, die Kultur mit Werbung, IT, Verlagswesen, Architektur und vielem anderen in Verbindung brachte.

Volkswirtschaftlich bedeutetet diese Umorientierung, dass eine neue und weiterhin wachsende Branche plötzlich vorzeigbare Umsätze vorzuweisen hat – 2015 schätzungsweise 150 Milliarden Euro bei deutschlandweit etwa 250 000 Unternehmen. Zur Bruttowertschöpfung trug die Kultur- und Kreativwirtschaft im Jahr 2015 mit 65,5 Milliarden Euro rund 2,2 Prozent bei. Im Südwesten arbeiten laut Netzwerk Kreativwirtschaft Baden-Württemberg 387 000 Beschäftigte in diesem Bereich – mehr als im Maschinen- oder Fahrzeugbau.

Dabei ist die Branche auch in Baden-Württemberg bunt und vielfältig aufgestellt. Die meisten Beschäftigten finden sich in der Software- und Game-Industrie (33 Prozent), gefolgt vom Pressemarkt (14 Prozent) und der Designwirtschaft (11 Prozent. Am überschaubarsten bleibt der Kunstmarkt (1 Prozent).

Manche Zahlen des Statistischem Landesamts sind schon etwas älter. Im Jahr 2010 lag der Anteil der Kultur- und Kreativ-Unternehmen im Vergleich zur regionalen Gesamtwirtschaft in der Region Neckar-Alb bei 2,85 Prozent. Das liegt unterm Landesschnitt von 3,55 Prozent und schien damals schon ausbaufähig, vergleicht man die Zahl etwa mit den Regionen Stuttgart (4,13 Prozent), dem Mittleren Oberrhein (5,03 Prozent) oder gar dem Rhein-Neckarraum (5,36 Prozent). Die Szene vernetzt sich zusehends, etwa im Netzwerk Kreativwirtschaft, einer Plattform für 54 Mitglieder (darunter auch Reutlinger und Tübinger). Im TüBI (Tübinger Bildungsnetzwerk) haben sich Netzwerker wie das Deutsch-Amerikanische Institut, die Familienbildungsstätte und die Hirsch-Begegnungsstätte, das Institut Culturel Franco-Allemand und das Unimuseum MUT zusammengeschlossen. Außerdem InFö, die Stadtbücherei und das Stadtmuseum, die Tübinger Musikschule und die Volkshochschule.

Ein Pionier der Kultur- und Kreativwirtschaft ist zweifellos das soziokulturelle Zentrum Sudhaus. Als es den schönen neuen Begriff – auf neudeutsch: „creative industries“ – noch nicht gab, da fanden sich im wilden Tübinger Süden an der B27 in der einstigen Brauerei am Waldhörnle Kulturisten und Kreative zum „Kultur- und Gewerbezentrum“ zusammen. Es existiert noch heute. Und zahlt praktisch der Stadt ihren Zuschuss als Miete zurück. Ein Nullsummenspiel. Oder auch: eine win-win-Situation.

Kunst = Kapital? Wo die Stadt allerdings im größeren Umfang in die Kultur investieren und auch Visionen folgen müsste, da tut sie sich schwer. Es wird in Tübingen weiterhin leichter sein, 15 Millionen Euro für eine Kläranlage locker zu machen als für einen Konzertsaal. Es scheint, die Verantwortlichen sehen im Finanzieren von Kunstrasen ihre Kulturpflichten hinreichend erfüllt. Und so werden sich die Kreativen, zumindest in der Kulturbranche, wohl mehr auf sich selbst als auf andere verlassen müssen.

Kunst = Kapital