Börstingen · Gutenachtgeschichte

Kulinarische Abenteuer

Der rote TAGBLATT-Lesesessel stand am Donnerstagabend im Alten Rathaus in Börstingen. Lamm-Wirt Ralf Striebel und Michael Dietz lasen.

31.08.2019

Von Thomas Ziegner

Koch Ralf Striebel las über Speisenzubereitung. Börstinger Musiker versorgten die Ohren. Bild: Thomas Ziegner

Koch Ralf Striebel las über Speisenzubereitung. Börstinger Musiker versorgten die Ohren. Bild: Thomas Ziegner

Gut, dass es in der Pause Schmalzbrote gab, um den durch Vorleser und Koch Ralf Striebel angeregten Appetit zu stillen. Beide Vorleser der hatten sich auf ein gemeinsames Thema geeinigt: Im weitesten Sinn kulinarische Wahrnehmungen sollten behandelt werden. Moderatorin Monika Laufenberg vom Verein Kulturtankstelle kündigte demgemäß ein literarisches Menü an, mit Textausschnitten aus dem Roman „Der Bauch von Paris“ von Emile Zola, dem Buch „Französisch Kochen“ von Julia Child und schließlich die drastische Schilderung reichlich ungewöhnlicher Mahlzeiten aus „Immer dem Bauch nach“ vom Koch und Gastrosophen Vincent Klink, der auch achtbarer Schriftsteller und Musiker ist.

Nach knappen Erläuterungen zum Werk des hierzulande fast nur noch als mutiger investigativer Enthüller der berüchtigten „Dreyfus-Affäre“ bekannten Dichters Zola las Striebel die beschreibenden Passagen aus „Der Bauch von Paris“. So wurden die mittlerweile abgerissenen Pariser Markthallen genannt, in denen alles zu haben war, was die Metropole an essbaren Genüssen begehrte. Verschiedene Sorten herrlicher Kirschen kamen vor, vom Dichter verherrlicht als Frauenlippen ähnelnd.

Seine sozialkritische Haltung deutet Zola manchmal nur mit einer originellen Assoziation an. Zur farblich sonderbaren Marmorierung des Roquefort fiel ihm 1873 ein: „Auch die Roqueforts unter ihren Kristallglocken setzten fürstliche Mienen auf, marmorierte und feiste, blau und gelb geäderte Gesichter, gleichsam von einer schändlichen Krankheit reicher Leute angegriffen, die zu viel Trüffeln gegessen haben“.

Olfaktorische Sensationen


Ungeheuer groß ist dieser Bauch von Paris, erscheint aus der Perspektive des Helden Florent, der dort als Marktkommissar arbeiten muss, wie eine ganze Stadt mit Straßen und Gassen. Ein Stadtviertel ist den Käsesorten, ihren Farben und Düften vorbehalten. Camemberts gibt es, Chester, Livarots und Olivets. Und „hinter der Waage verströmte ein mit Anis gewürzter Géromé in seiner dünnen Schachtel eine solche Verpestung“, dass rings um ihn Fliegen auf den graugeäderten roten Marmor gefallen waren.

Vor knapp zwei Jahren erschien auf deutsch das 1961 in den USA mit großem Erfolg publizierte Buch „Französisch Kochen“, konzipiert für „die amerikanische Dame ohne Dienstpersonal“. Die Autorin war Diplomatengattin in Paris, besuchte dort mit Erfolg die Kochschule „Le Cordon Bleu“ und gab ihr Wissen nach der Rückkehr in die USA als Fernsehköchin weiter. Ihre Verlagslektorin war überzeugt, als sie nach Childs Rezept endlich ein schmackhaftes „Boeuf Bourgignon“ zustande brachte.

Vorleser Striebel, er betreibt das Börstinger „Lamm“, hat Rezepte Childs nachgekocht und rühmte die Ausführlichkeit und Vollständigkeit, mit der sie die Zubereitung eines Omelettes erläutert.

Viel Aufwand für ein Omelette


Keinesfalls darf die Masse auch nur für Sekunden am Pfannenboden anhaften. Geruckelt werden muss die Pfanne für den Stockungsprozess, nachdem die Butter genau den richtigen Hitzegrad erreicht hat (kurz bevor sie braun wird). Ferner ist der Pfannengriff nach einigen Sekunden mit der linken Hand zu greifen, während mit der rechten kurze Schläge ans Griffende ausgeführt werden. Fürs Abkippen des Produkts auf den Teller empfiehlt die Chefköchin einen Kippwinkel von 45Grad. Die französische Redewendung „Tant de bruit pour une omelette - Viel Lärm um nichts“ gewinnt neue Bedeutung.

Gebratene Ziegenleber mit Zwiebeln verzehrte der auf Reisen immerfort nach neuen Geschmackssensationen suchende Vincent Klink im Jemen. Vor den Fliegen, die sich auf den Fleischständen des lokalen Marktes tummelten, hatte er keine Angst. „Als Koch weiß ich, dass ordentliche Hitze ausreicht, um Bakterien und andere Lebewesen abzutöten.“ Michael Dietz hatte aus „Immer dem Bauch nach“ sehr zur Erheiterung der 70 Zuhörer drei exotische Mahlzeiten ausgewählt, die dem Autor teils schwer im Magen lagen. Am schlimmsten wohl war eine „infernalisch stinkende“, wochenlang in einer Blechdose aufbewahrte Robbenflosse, während ihm der rohe Robbenspeck durchaus mundete.

Fast 200 Euro spendeten die Zuhörer. Das Geld ist für die Jugendarbeit der Musikkapelle bestimmt, die in Oktett-Formation die Lesung musikalisch umrahmte. Laufenberg überreichte den Vorlesern einen Gutschein der Osianderschen Buchhandlung die Co-Veranstalter war.

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Erstellt:
31.08.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 58sec
zuletzt aktualisiert: 31.08.2019, 01:00 Uhr

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