Finanzen

Künstlich arm gerechnet?

Die Opposition im Landtag sieht wegen Ausgabenresten und Überschüssen Milliarden-Spielräume im Haushalt. Das Agieren von Grün-Schwarz sei ein „billiger Trick“.

21.09.2021

Von ROLAND MUSCHEL

Wie viel Geld schlummert in den Untiefen des Haushalts? Ende September muss Finanzminister Danyal Bayaz (links) dem Landtag mitteilen, wie viele „Reste“ aus 2020 ins Haushaltsjahr 2021 übertragen werden. Foto: Lino Mirgeler/dpa

Wie viel Geld schlummert in den Untiefen des Haushalts? Ende September muss Finanzminister Danyal Bayaz (links) dem Landtag mitteilen, wie viele „Reste“ aus 2020 ins Haushaltsjahr 2021 übertragen werden. Foto: Lino Mirgeler/dpa

Stuttgart. Die SPD wirft der Landesregierung mit Verweis auf von ihr abgefragte Zahlen zu den Mittelabflüssen bei den Corona-Hilfsprogrammen vor, sich künstlich arm zu rechnen. „Die Regierung stellt die finanzielle Lage des Landes viel dramatischer dar als sie in Wirklichkeit ist. Offenbar wollen Grüne und CDU ihr Handeln überhöhen und es als besondere Leistung herausstreichen, dass sie 2022 keine neuen Kredite aufnehmen“, sagte der SPD-Finanzexperte Nicolas Fink.

Zugleich wolle sich das Land so gegenüber den Kommunen, mit denen die Finanzverhandlungen noch ausstehen, in eine bessere Verhandlungsposition begeben. Getreu dem Motto: Wer nichts hat, kann auch nichts geben. Tatsächlich stünden aber noch Milliardensummen frei zur Verfügung.

Fink hat dabei unter anderem nicht abgeflossene Corona-Hilfsmittel im Visier. 4,5 Milliarden Euro hat das Land 2021 für Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen im Etat vorgesehen. Kurz vor Ende des dritten von vier Quartalen sind aber erst 1,1 Milliarden Euro abgeflossen, wie aus einer Auflistung des Finanzministeriums hervorgeht. Das entspricht in etwa einem Viertel der Gesamtsumme. Im Jahr 2020, auch das hat die SPD abgefragt, lag die Quote der Mittelabflüsse bei den Corona-Hilfsmaßnahmen am Ende bei 48 Prozent. Würde man diese Quote auf den aktuellen Haushalt übertragen, wären 2,1 Milliarden Euro mehr in den Töpfen als benötigt.

Dass vom Landtag genehmigte Mittel nicht im dafür vorgesehenen Haushaltsjahr in Anspruch genommen und dann als „Reste“ in den Haushalt des Folgejahres übertragen werden, wird vom Landesrechnungshof seit Jahren kritisiert. Ende September muss das Finanzministerium dem Landtag mitteilen, wie viele „Reste“ aus dem Haushaltsjahr 2020 in den Haushalt 2021 übertragen werden sollen.

Laut Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen, steht mit 6,7 Milliarden Euro eine neue Rekordsumme im Raum. Im Nachtragsetat für 2021 hatte Grün-Schwarz noch mit Verweis auf eine angespannte Finanzlage bei hohem Mittelbedarf für die Bekämpfung der Pandemie 1,2 Milliarden Euro an neuen Krediten beantragt. Die Gesamthöhe der bewilligten Neuverschuldung im Doppelhaushalt 2020/21 stieg damit auf die Rekordhöhe von 14,7 Milliarden.

Erst am Wochenende haben die Spitzen von Grünen und CDU eine Einigung auf den Haushaltsentwurf für 2022 bekanntgegeben. Danach sollen insgesamt 1200 Stellen neu geschaffen, 915 Millionen Euro zusätzlich investiert und zugleich 474 Millionen Euro an Corona-Verbindlichkeiten getilgt werden. Für die Tilgung wird rund die Hälfte der Summe verwendet, die nach der beschlossenen Auflösung des praktisch nicht nachgefragten, mit 1,0 Milliarden Euro gespeisten Beteiligungsfonds des Landes zur Verfügung steht. Mit der anderen Hälfte stockt die Regierung die Vorsorge-Töpfe für mögliche Haushaltsrisiken auf.

Es handele sich um „aktive Wählertäuschung“, wenn man die Rückgabe von nur der Hälfte der nicht genutzten Verschuldungsrechte aus dem Beteiligungsfonds als Schuldentilgung preise, wetterte der FDP-Finanzexperte Stephen Brauer am Montag. „Im Sommer 1,2 Milliarden Euro Schulden aufzunehmen, um jetzt nahezu eine halbe Milliarde Euro zu tilgen und den Rest zu verausgaben, ist ein billiger Trick“, so Brauer weiter.

Ähnlich klingt die Kritik von SPD-Fraktionschef Andreas Stoch. „Wer vorhher ohne Not Schulden aufnimmt, braucht sich jetzt nicht mit Schuldentilgung zu brüsten“, schimpft SPD-Partei- und Fraktionschef Andreas Stoch. Die „vermeintlich klammen Kassen“, sagt auch der SPD-Finanzexperte Fink, seien in Wahrheit gefüllt bis zum Rand.