Corona

Kritik am Impfplan: Langes Warten auf den Piks

Die Kritik am langsamen Impffortschritt in Baden-Württemberg wird lauter. Der Minister verweist auf eine besondere Strategie, die auf Sicherheit setzt.

20.01.2021

Von DAVID NAU

Ein begehrtes und ein sehr knappes Gut: Die Impfung gegen das Coronavirus. Foto: Marijan Murat/dpa

Ein begehrtes und ein sehr knappes Gut: Die Impfung gegen das Coronavirus. Foto: Marijan Murat/dpa

Stuttgart. Mit großem Medienauflauf begann das Land Ende Dezember in den zehn zentralen Impfzentren mit den Impfungen gegen das Coronavirus. Die Hoffnungen sind groß, dass mit dem Piks ein großer Schritt in Richtung Normalität gemacht werden kann. Dann kamen Probleme bei der Vergabe von Impfterminen, die geringe Verfügbarkeit des Impfstoffs und ein schleppender Beginn der Impfkampagne – vor allem in Pflegeheimen. Was ist das Problem? Ein Überblick über die wichtigsten Fragen und Antworten zur Corona-Impfung in Baden-Württemberg.

Wie viele Menschen in Baden-Württemberg sind bereits geimpft worden? Nach Angaben des Robert Koch-Instituts sind im Südwesten bis einschließlich Montag knapp 126?000 Menschen mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer geimpft worden. Damit liegt Baden-Württemberg aktuell auf Platz drei in Deutschland. Nur in Bayern und Nordrhein-Westfalen wurden mehr Menschen geimpft.

Setzt man die Zahl der Impfungen aber ins Verhältnis zur Einwohnerzahl, sieht die Lage anders aus. Im Vergleich mit den anderen Bundesländern ist Baden-Württemberg Schlusslicht. So wurden im Südwesten erst 1,1 Prozent der Bevölkerung geimpft. Spitzenreiter sind aktuell Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein mit 2,4 Prozent. In Bayern wurden 1,7 Prozent der Bevölkerung geimpft, in Rheinland-Pfalz 2,2 Prozent.

Warum ist die Impfquote in Baden-Württemberg so niedrig? Das Sozialministerium verweist darauf, dass man eine andere Strategie verfolge als andere Bundesländer. „Baden-Württemberg ist eines der wenigen Länder, die heute garantieren können, dass die notwendige zweite Dosis für jeden Geimpften zurückgelegt ist“, sagt Sozialminister Manne Lucha (Grüne). Weil man hierzulande die Hälfte aller Impfdosen zurückhalte, um die Zweitimpfung sicherzustellen, steige die Zahl der Geimpften langsamer. „Wenn ein anderes Land alles verimpft, was da ist, wird die nächste Charge für die zweite Impfung genutzt werden müssen. Dann fällt das andere Land zurück, und wir ziehen hoch“, erklärte das Sozialministerium. Man gehe davon aus, dass sich die Unterschiede zwischen den Bundesländern bald angleichen werden.

Wie sieht es bei den besonders gefährdeten Pflegeheimbewohnern aus? Nicht sonderlich gut. Rund 24?400 Bewohnerinnen und Bewohner solcher Einrichtungen sind bislang geimpft worden. Zum Vergleich: Im deutlich kleineren Berlin sind es bereits mehr als 25?000, im etwas bevölkerungsreicheren Bayern fast 66?000. Das Sozialministerium geht davon aus, dass ab Freitag mehr Menschen in Pflegeheimen geimpft werden können. Aktuell gebe es an den zehn Zentralen Impfzentren im Land je fünf mobile Impfteams, die in Alten- und Pflegeheime fahren. Mit der Inbetriebnahme der 50 Kreisimpfzentren (KIZ) am Freitag steigt auch die Zahl der mobilen Teams. Dann könnte auch in mehr Pflegeheimen gleichzeitig geimpft werden.

Wie geht es jetzt weiter? Am Freitag gehen wie geplant die Kreisimpfzentren in den Landkreisen in Betrieb. Die Termine für Impfungen waren bereits nach wenigen Stunden komplett vergeben. „Wir verwalten weiterhin einen riesigen Mangel“, sagt Minister Lucha. Es gebe viel zu wenig Impfstoff. Jedes KIZ bekommt laut Ministerium in den ersten beiden Wochen nur jeweils 585 Impfdosen, die sich das Zentrum und die mobilen Teams teilen müssen. Hinzu kommt, dass der Pharmakonzern Pfizer wegen Umbauten in seinem Werk in Belgien deutlich weniger Impfstoff liefern wird, als ursprünglich gedacht. Laut Ministerium bekommt Baden-Württemberg in der kommenden Woche nur etwas mehr als die Hälfte des versprochenen Impfstoffs.

Wann werden die am stärksten Gefährdeten geimpft sein? Laut Ministerium können derzeit 7000 Menschen pro Tag im Südwesten geimpft werden. Dem stehen etwa eine Million Anspruchsberechtigte gegenüber. Komme nicht mehr Impfstoff, dauere es fast fünf Monate, bis alle Menschen geimpft wären, die aktuell einen Anspruch haben.

Wie kommt die Impfstrategie von Lucha im Land an? Die Opposition im Landtag kritisiert den Sozialminister. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch spricht etwa von „groben handwerklichen Fehlern“ und einem „planlosen Krisenmanagement Luchas“. Auch die FDP fällt ein hartes Urteil: „Dieser Minister ist überfordert und muss dringend von der Impforganisation abgezogen werden“, sagt Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.

Rückendeckung bekommt Lucha vom Landkreistag. Man unterstütze die „nicht unumstrittene, konservative und wenig spektakuläre Strategie“, sagt Präsident Joachim Walter (CDU). Die CDU im Landtag fordert Fahrdienste, um nicht mobile Menschen zur Impfung zu bringen. „Solange eine Impfung bei den Hausärzten noch nicht möglich ist, müssen wir auch Unterstützung für Menschen anbieten, die nicht in einem Heim leben, aber dennoch nicht mobil sind“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher Stefan Teufel.

Foto: GRAFIK SCHERER / QUELLE: ROBERT KOCH-INSTITUT /EIGENE BERECHNUNG

Foto: GRAFIK SCHERER / QUELLE: ROBERT KOCH-INSTITUT /EIGENE BERECHNUNG

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Erstellt:
20.01.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 11sec
zuletzt aktualisiert: 20.01.2021, 06:00 Uhr

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