Architektur

Kommunikation ist Trumpf

Vorbei sind die Zeiten, als es egal war, wie Gewerbegebiete und Gewerbebauten aussehen. Immer mehr Unternehmer legen Wert auf ansprechende Architektur. Wirtschaft im Profil sprach mit einer Architektin und einer Innenraumgestalterin über Räume, die nicht nur der Produktion, sondern auch der Kreativität, dem Betriebsklima und dem Marketing dienen.

17.02.2017

Von Text: Ulrike Pfeil, Fotos: Yvonne Berardi, Dietmar Strauß

Einen „städtischen Baustein“ setzten die Architekten Dannien Roller Hofmann mit dem Neubau für Kantine und Schulungen in das Areal der Tübinger Medizintechnikfirma Erbe. Das helle, vergleichsweise hohe und transparente Gebäude wird alsBesprechungszentrum zu einem Kommunikations-Knotenpunkt der Firma.

Einen „städtischen Baustein“ setzten die Architekten Dannien Roller Hofmann mit dem Neubau für Kantine und Schulungen in das Areal der Tübinger Medizintechnikfirma Erbe. Das helle, vergleichsweise hohe und transparente Gebäude wird als
Besprechungszentrum zu einem Kommunikations-Knotenpunkt der Firma.

Ein Gespräch mit zwei Tübinger Architektinnen über spannende und neue Seiten des Gewerbebaus.

Was macht den Gewerbebau
für Architekten attraktiv?

Dannien: Gewerbebau ist sehr viel komplexer als Wohnungsbau. Man muss die Abläufe in der Firma analysieren, das Produkt, die Arbeit, die Außendarstellung. Wenn man für Forschung baut, muss man sie auch inhaltlich verstehen und unglaublich viel Technik berücksichtigen. Dafür die richtigen Räume herzustellen, finde ich sehr spannend.

Rapp: Gewerbliche Räume sind für Mitarbeiter, Kunden, Besucher wie öffentliche Räume. Als Innen-Gestalterin muss ich mich dort nicht so sehr dem Geschmack des Auftraggebers unterwerfen. Die Räume sollen ja vielen gefallen. Einem privaten Bauherrn kann ich schlecht sagen, „Lila geht gar nicht“, wenn das zufällig seine Lieblingsfarbe ist.

Wenn man viele Funktionen
berücksichtigen muss, bleibt dann noch Raum für den persönlichen Fingerabdruck des Architekten?

Dannien: Gewerbebau ist eine Art von Städtebau, nicht nur eine Hülle um Funktionsabläufe. Da gibt es Straßen, wo die Produkte rein- und rausgehen. Was passiert mit dem Müll, wo kann es Grünflächen geben? All diese Ströme zu lenken, ist Gestaltung, auch wenn es um Gabelstapler und Tore geht. Es ist auch wichtig, dass ein Mitarbeiter sich nicht fühlt wie ein kleines Rädchen in Metropolis, sondern dazugehörig. Weil es zum Beispiel einen identitätsstiftenden Eingang gibt.

Sie gestalten auch Arbeitsplätze. Welche Trends, welche Veränderungen beobachten Sie dabei?

Dannien: Heute wird oft gewünscht, dass es Bereiche gibt, wo Mitarbeiter unkompliziert zusammenkommen und sich besprechen können. Vor dem Neubau für die Firma Erbe haben wir uns mit dem Bauherrn andere Firmengebäude angeschaut, das war sehr inspirierend. Wir sollten eine Kantine und ein Schulungszentrum bauen. Dabei kamen wir auf die Idee, dass diese beiden Elemente gleichzeitig ein flexibler Besprechungsbereich sein könnten. Wir haben die Betriebsabläufe so verändert, dass jetzt alle Besprechungen in dem Neubau stattfinden können.

Es gibt ja auch schon den
Gedanken, das gute alte Büro ganz aufzulösen.

Dannien: Besonders im Bereich Forschung und Entwicklung wird heute von Auftraggebern gewünscht, dass Büroräume sich in Bürolandschaften verwandeln, in Arbeitswelten. Das Einzel-Kabuff mit geschlossener Tür zum Flur ist passé. Man arbeitet nicht mehr isoliert, sondern quasi öffentlich vor den anderen, man kooperiert im Verbund. Dafür werden Arenen gebaut, wo sich Teams kurz treffen, Ideen an die Wand gepinnt werden können, die Wände drehbar sind. Oder Teeküchen neben Sofalandschaften, die dazu animieren, dass man sich zusammensetzt und austauscht. Wenn am Arbeitsplatz zunehmend Kreativität erwartet wird, gilt das Kollegengespräch nicht mehr als vergeudete Zeit.

Dannien: Ja, Kommunikation ist heute das wichtigste. Das größte Problem ist, wenn jeder vor sich hinarbeitet und nicht weiß, was der andere macht. Dann kann man das Wissen des anderen nicht mitnehmen. Im Gewerbe sind die Bereiche mitunter noch sehr separiert: Da gibt es die Abteilung für den Vertrieb, eine andere für die Zulassung, eine für den Zoll, wieder eine andere kümmert sich um das Material für die Produktion. Wenn die nicht kommunizieren, wird es ganz schwierig.

Rapp: Natürlich haben diese neuen Arbeitslandschaften mit dem Internet und den Laptops zu tun. Damit sind die Beschäftigten nicht mehr an einen festen Arbeitsplatz gebunden. Im Innenausbau liegt der Ansatz für größere, gemeinsame Arbeitsräume aber schon weiter zurück. Die Firma Vitra Möbeldesign in Weil am Rhein hatte als erste solche sehr großen Schreibtische in ihrem Programm. Die sahen unglaublich schön aus. Diese Bilder, meine ich, haben in den Köpfen der Architekten den Traum ausgelöst, sowas mal umsetzen zu dürfen. Und dann natürlich die Bürolandschaften von Google, die man überall im Internet besichtigen kann: In einer Ecke steht eine alte Seilbahngondel, es gibt eine Hängematte und vielleicht noch Tischkicker – eigentlich Erwachsenenspielplätze. Jeder, der das sieht, will so arbeiten.

Wirklich jeder? Man hört doch
oft, dass Arbeitnehmer sich gegen diese Kollektivität sperren.

Rapp: Ja, weil man nun versucht, diese Offenheit von der IT-Branche auf andere Berufsfelder zu übertragen. Viele hätten gern die anregende Umgebung, aber gleichzeitig auch noch ihr Sechs-Quadratmeter-Büro, wo sie ihre Ruhe haben. Beides geht nicht, das geben die Flächen nicht her. Ich höre oft, auch in innovativen Betrieben: Da sagt ein Mitarbeiter, er könne nicht telefonieren, wenn zwei andere daneben reden. Aber jeder Innenarchitekt träumt davon, dass er mal so eine schöne Bürolandschaft durchgestalten dürfte.

Dannien: Bei einem Besuch der Firma Aeskulap, einem Medizintechnikunternehmen in Tuttlingen, haben wir das Arbeitsplatz-freie Büro kennengelernt. Dort hat jeder seine Arbeitsmittel in einem Container. Nicht jeder arbeitet jeden Tag, manche bleiben zu Hause im Home Office. Wenn sie ins Unternehmen kommen, haben sie keinen eigenen Arbeitsplatz, sondern greifen sich ihren Container und schauen, wo sie sich hinsetzen können. Es ist total hierarchielos. Man muss aber respektieren, wenn es in anderen Firmen dafür keine Akzeptanz gibt.

Was sind typische Gründe
für solche Ablehnung?

Dannien: Ein Problem ist, dass Animations-Elemente wie der Tischkicker eher nur zur jungen Kreativszene passen; damit ködert man die jungen Leute, die noch von morgens acht bis abends elf in der Firma sind. Aber sobald sie Familie haben, ist das auch vorbei, und sie wollen reguläre Arbeitszeiten.

Rapp:Bei der Gestaltung des Tübinger Bürgeramts haben wir uns vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitsorganisation beraten lassen, wie offene Arbeitsplätze funktionieren. Aber die Mitarbeiter wollten es nicht. Es gibt schon noch einen großen Hang zum eigenen Arbeitsplatz, wo man seine Familienfotos aufstellt und das Gefühl hat: Hier gehöre ich hin. Manche fühlen sich in einem größeren Kollektiv von anderen beobachtet; diese Verunsicherung habe ich auch schon an mir selbst erlebt.

Dannien: Es ist immer schwer, Leuten eine neue Arbeitsumgebung zu präsentieren und sie dafür zu begeistern. Man muss sie mitnehmen. Bei Erbe haben wir den Betriebsrat eingebunden, damit die Akzeptanz groß ist.

Also, es genügt nicht, dass der Neubau dem Chef gefällt?

Dannien: Der Boss, der Druck macht – das war gestern. Die Hierarchien sind heute flacher, Teambildung und Austausch stehen im Vordergrund.

Rapp: Ich fände es trotzdem gut, wenn der Chef sagen würde, es gibt jetzt eben Gruppenarbeitsbereiche, und er selbst steht dazu. Sonst sind wir Gestalter und Architekten die Bösen, die den Mitarbeitern etwas aufdrängen. Mir wäre auch wichtig, dass ein Chef sagt: Halt, die Blumen-Übertöpfe besorge ich! Einheitlich weiß und glatt, nicht hier Terracotta, da rot, grün, klein, groß. Ein Arbeitsplatz ist keine Privatwohnung, es sollte in einer Behörde oder einer Firma professionell aussehen. Drei verschiedene Abreißkalender in einem Büro – gruselig!

Dannien: Ah, da spricht die Gestalterin. Aber ich finde, starke Architektur muss auch etwas aushalten. Wir bauen für Menschen, und sie müssen sich wohlfühlen. Hauptsache, die Idee bleibt lesbar.

Rapp: Ja, das ist das Schöne am Einrichten für die Gastronomie: Theke und Küche, okay, das sind Arbeitsplätze, wo die Beschäftigten mitzureden haben. Aber beim Gastraum habe ich Gestaltungsfreiheit. Und ich stimme zu: Der muss die Weihnachts- und die Halloween-Deko aushalten.

Ist es Unternehmern heute wichtiger als früher, dass das Gewerbe auch baulich gut aussieht?

Dannien: Ja, da ist ein Sinneswandel eingetreten. In Tübingen wird er dadurch begünstigt, dass wir wenig Platz haben. Die Industrie kann nicht mehr als eingeschossiger Pfannkuchen hingelegt werden. Jetzt muss man in die Höhe und mit dem Raum, den Abläufen, den Funktionen ganz anders umgehen. Dieser Zwang führt, wenn man ihn gut aufgreift, zu guter Architektur. Aber der Aspekt „Corporate Identity“ spielt auch eine Rolle.

Dannien: Dadurch, dass Gewerbegebiete in den Stadtraum hineinwachsen – wie in Tübingen –, wird stärker bemerkt, dass gute Bauten fürs Marketing etwas bringen. Das Produkt und das Selbstverständnis des Unternehmens sollen von außen ablesbar sein. Ein Medizintechnikunternehmen muss clean und technisch aussehen. Die Architekten entdecken Gewerbebau zunehmend als Bauaufgabe, und die Unternehmer entdecken, dass sie damit ihr Produkt repräsentieren können. Außerdem: Ein Indu-striebau braucht viel Unterstützung im Unterhalt. Da ist es gut, wenn man einen Hausarchitekten hat.

Begegnen Sie als Frauen
eigentlich noch Vorbehalten? Schließlich haben Sie im
Gewerbebau mit vorwiegend männlichen Unternehmern
und Handwerkern zu tun.

Dannien: Es stimmt, dass auf Baustellen überwiegend Männer arbeiten. Aber: Ich bin als Frau zur Welt gekommen. Mir war immer klar, dass ich arbeiten möchte, ich habe mich selbst nie in Frage gestellt, und das passiert mir auch von anderen nicht. Wenn Konflikte auftauchen, versuche ich immer, sie mit Charme zu lösen, nicht mit Auftrumpfen. Aber meistens ist der Ton sehr wertschätzend.

Rapp: Ich komme aus einer Handwerksfamilie und habe als Schreinerin, als Zimmerin auf dem Bau gearbeitet. Schon für meinen Vater stand immer fest: Klar kannst du das.

Wie eine Firma gebaut und gestaltet ist, sagt auch viel über die Arbeitsatmosphäre und die Beziehung zu Kundenund Geschäftspartnern aus. Darüber machten sich die Innenraumgestalterin Renate Rapp (links) und dieArchitektin Maren Dannien im WiP-Gespräch Gedanken.

Wie eine Firma gebaut und gestaltet ist, sagt auch viel über die Arbeitsatmosphäre und die Beziehung zu Kunden
und Geschäftspartnern aus. Darüber machten sich die Innenraumgestalterin Renate Rapp (links) und die
Architektin Maren Dannien im WiP-Gespräch Gedanken.

Arbeitsplatz und halb-öffentlicher Aufenthaltsort: Ein Restaurant istbeides. Eine klare, neutrale Ästhetik wie in der Trattoria in der Alten Weberei in Lustnau (Innenarchitektur:Renate Rapp) passt sich vielen Stimmungen, Jahreszeiten, Anlässen an.

Arbeitsplatz und halb-
öffentlicher Aufenthaltsort: Ein Restaurant ist
beides. Eine klare, neutrale Ästhetik wie in der Trattoria in der Alten Weberei in Lustnau (Innenarchitektur:
Renate Rapp) passt sich vielen Stimmungen, Jahreszeiten, Anlässen an.

 Das Architekturbüro Dannien Roller Hofmann praktiziert selbst ein offenes Raumkonzept auf mehreren Ebenen.

Das Architekturbüro Dannien Roller Hofmann praktiziert selbst ein offenes Raumkonzept auf mehreren Ebenen.

 Das Eingangsfoyer des Erbe-Neubaus lädt zum Gespräch ein.

Das Eingangsfoyer des Erbe-Neubaus lädt zum Gespräch ein.

In der „Ideenarena“ der Firma Erbe können Mitarbeiter auf den Sitzstufen diskutieren und ihre Einfälle gleich an die Wand gegenüber pinnen oder schreiben.

In der „Ideenarena“ der Firma Erbe können Mitarbeiter auf den Sitzstufen diskutieren und ihre Einfälle gleich an die Wand gegenüber pinnen oder schreiben.

Maren Dannien, Architektin

Geboren 1965, aus Lübeck, studierte Architektur in Berlin und Delft. Seit 2004 in Tübingen tätig, seit 2011 als Partnerin im Büro Dannien Roller Hofmann. Projekte des Büros unter anderem: Neubau und Umbau Büro- und Laborräume für die Entwicklungsabteilung der Medizintechnikfirma Erbe, Tübingen; Labor für präklinische Bildgebung der Werner-Siemens-Stiftung, Universitätsklinikum Tübingen; Umbau der „Villa Wandel“, Reutlingen, zu einem Tagungshaus der Industrie- und Handelskammer; Sanierung Wohn- und Geschäftshaus Hörgeräte Kaipf in Tübingen; bauliche Betreuung der Max-Planck-Institute Tübingen.

Renate Rapp, Innenarchitektin

Geboren 1956, aus Tübingen, machte nach einer Schreinerlehre ein Ingenieurdiplom in Innenarchitektur. Eigenes Büro für Innenraumgestaltung in Tübingen. Gewerbliche beziehungsweise öffentliche Projekte unter anderem: Inneneinrichtung des Tübinger Bürgeramts; Achalm-Restaurant, Reutlingen; Trattoria in der Alten Weberei, Lustnau; Praxis für Oralchirurgie, Metzingen; Schnellimbiss „X“ und andere Lokale, Tübingen. Beratend ist sie zur Zeit an der Planung des „Schwanen“ in Nehren beteiligt.

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Erstellt:
17.02.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 51sec
zuletzt aktualisiert: 17.02.2017, 01:00 Uhr

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