Corona

Große Freiheit für Geimpfte: Kommt der „Paradigmenwechsel“?

Der Amtschef des Sozialministeriums fordert einen kompletten Wegfall der Beschränkungen für Geimpfte. Für Nicht-Geimpfte dürfte das Leben dann komplizierter und auch teurer werden.

29.07.2021

Von DAVID NAU

Nur noch mit Impfpass oder mit Test ins Café? Das soll nach Willen des Sozialministeriums ab Mitte September im Südwesten gelten. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Nur noch mit Impfpass oder mit Test ins Café? Das soll nach Willen des Sozialministeriums ab Mitte September im Südwesten gelten. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Stuttgart. Seit einigen Wochen steigen die Coronazahlen in Baden-Württemberg wieder an, einige Städte und Landkreise, wie etwa Lörrach oder Heilbronn, nähern sich langsam einer Inzidenz von 35, bei der wieder Einschränkungen für das öffentliche Leben vorgesehen sind. Der Hohenlohekreis kam am Mittwoch sogar auf 47,9. Zugleich sind aber immer mehr Menschen auch zwei Mal geimpft – entsprechend wenige Covid-Patienten liegen auf den Intensivstationen. Ist die Fixierung auf die Inzidenz daher aktuell noch sinnvoll? Darüber wird heftig gestritten, auch in Baden-Württemberg.

„Es ist richtig, dass sich die Inzidenz und die Zahl der Krankenhauseinweisungen zunehmend voneinander entkoppeln“, sagt Uwe Lahl, Amtschef des Sozialministeriums. „Wir wollen deswegen in der nächsten Corona-Verordnung einen Paradigmenwechsel vornehmen“, sagt Lahl. Der solle zum 15. September in Kraft treten. Bis dahin habe man jedem Bürger und jeder Bürgerin in Baden-Württemberg ein Impfangebot gemacht. „Wer dann nicht geimpft ist, der will sich nicht impfen lassen. Das ist das gute Recht dieser Menschen aber auch verbunden mit der Übernahme eines gewissen Risikos.“

Aber was bedeutet Paradigmenwechsel konkret? „Wir sollten alle Beschränkungen für Geimpfte fallenlassen“, fordert Lahl. Es werde keine Kontaktbeschränkungen mehr geben und mit Impfausweis Zugang zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens. „Für Nicht-Geimpfte wird der Zugang zu Restaurants, zu Kultur oder zu Sport dann nur mit einem negativen Testergebnis möglich sein“, sagt Lahl. Die Kosten für die Tests müssten die Menschen dann selbst tragen, schließlich würden diese aktuell aus Steuergeldern finanziert. „Man kann doch nicht die Tests für diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, von den Geimpften mitbezahlen lassen.“

Ab dem 15. September soll nach Willen des Sozialministeriums dann auch die Bedeutung des aktuell allentscheidenden Inzidenzwertes sinken. „Die Inzidenz wird dann in den Hintergrund treten und keine Basis für Beschränkungen mehr sein“, sagt Lahl. Sie bleibe aber eine wichtige Informationsquelle und sollte aus seiner Sicht um einen Grenzwert ergänzt werden, der die Krankenhäuser vor einer Überlastung schützen soll. „Dieser sollte sich an der Belegung der Intensivstationen orientieren“, fordert Lahl. Übersteige dieser Wert eine gewisse Schwelle seien Beschränkungen wieder möglich – allerdings wieder nur für ungeimpfte Menschen.

Und bis dahin? Drohen Städten und Kreisen mit einer Inzidenz von über 35 oder sogar über 50 Neuinfektionen pro 100?000 Einwohnern binnen einer Woche erst einmal wieder Einschränkungen? „Nach derzeitiger Rechtslage ist es so, dass in diesen Gemeinden wieder strengere Regeln gelten“, bestätigt Lahl. Man könne die neue Strategie nunmal erst im September in Kraft setzen, wenn auch wirklich jeder ein Impfangebot erhalten hat. Für die Übergangszeit arbeite man aber zum Beispiel gerade an Ausnahmeregelungen etwa für den Freizeitsport.

Im Hohelohekreis, der gestern mit 47,9 erstmals über einer Inzidenz von 35 lag, könnten damit demnächst wieder strengere Regeln gelten. Dann würde etwa in der Innengastronomie, in Galerien und Museen oder in Hotels wieder gelten: Rein darf nur, wer geimpft, getestet oder genesen ist. Bordells müssten ganz schließen, und im Einzelhandel dürfte nur noch ein Kunde pro 10 Quadratmeter ins Geschäft.

Ob das vom Sozialministerium bevorzugte Konzept aber tatsächlich so kommt, hängt auch vom Verlauf der Ministerpräsidentenkonferenz ab, die am 10. August stattfinden soll. Zwar könnte das Land die Regelungen auch in Eigenregie erlassen, man setze aber auf eine bundesweit einheitliche Lösung.