Volker Derbogen: Der Erste, der immer gerne Zweiter war

Kommentar: Rottenburgs Bürgermeister geht in den Ruhestand

Volker Derbogen, der Ende des Monats als Rottenburgs Erster Bürgermeister in den Ruhestand geht, war stets ein nahezu perfekter Bürokrat.

06.08.2016

Von Gert Fleischer

Man hätte ihn wohl auch nachts aus dem Schlaf telefonieren können und hätte auf Fragen zu seinem Sachgebiet sofort eine präzise Antwort erhalten – mit Tag, Monat und Jahr, mit mindestens der ersten Stelle nach dem Komma bei Geldbeträgen, mit den Namen aller wichtigen Beteiligten. Wir von der Zeitung können solche Leute gut gebrauchen. Es ist klar, dass so jemand auch einen neu gewählten Oberbürgermeister einarbeiten kann. Nicht selten hieß es in den Anfangsjahren des jungen Rottenburger OBs Stephan Neher deshalb, Derbogen sei der wahre Chef.

Starken Einfluss haben Finanzbürgermeister in der Kommunalpolitik immer, so wie ihn Finanzminister in den Regierungen haben. Trotzdem konnten sich sowohl Klaus Tappeser als auch Stephan Neher stets auf Derbogens Loyalität verlassen. Derbogen war keiner, der es nicht zum OB geschafft und deshalb auf den Moment gelauert hätte, auf die Überholspur zu schwenken. Er wollte als Erster Bürgermeister immer zweiter Mann sein, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Er machte seinen Job richtig gut, was keineswegs heißt, dass er nicht auch mal Fehler gemacht hätte.

Es sind in der Regel die OBs, die Erfolge für sich reklamieren, denn sie müssen sich vom Volk wählen lassen. Dass Rottenburg trotz der immer noch viel zu geringen Gewerbesteuer-Einnahmen seine Schulden so stark abgebaut hat, hat etwas mit Tappeser und mit Neher zu tun und auch mit der Konjunktur. Es ist zwangsläufig davon auszugehen, dass auch Derbogen seinen Anteil hat in den zurückliegenden 18 Jahren.

Obwohl aus Betzingen nach Rottenburg zugeheiratet, war Volker Derbogen immer Lokalpatriot. Mehr als ihn sein Amt dazu verpflichtete, verbreitete er Stolz unter den Leuten auf das, was diese Stadt leistet und bietet. Derbogen ist schlagfertig, hat Witz, und wenn er sein breites Lachen aufsetzt, scheint die Sonne aufzugehen. Wer ihn näher kennt, weiß, wie verletzlich er ist, wie er leiden kann, wenn er Vorwürfe ertragen muss, seien sie berechtigt oder nicht. Dann wird sein Gesicht so grau wie sein Anzug. Meistens schafft es Derbogen, ziemlich schnell direkt auf den anderen zuzugehen, um ein Problem aus der Welt zu schaffen. Doch dazu gehören zwei.

Ruhestand mit 61. Derbogen freut sich auf seine Familie, der er in den nächsten Jahren etwas zurückgeben will. Er verlässt das Rathaus ohne Pomp, wollte keine würdigenden Reden hören. Von den Mitarbeitern hat er sich vor seinem Rest-Urlaub mit einem Fest in den Stadtwerke-Garagen verabschiedet. Der Rottenburger Marktplatz verliert eine vertraute Szene: Volker Derbogen, zur Mittagszeit vom Bäcker zurück dem Rathaus zustrebend, in der Hand eine Papiertüte. Drinnen eine Brezel: sein Mittagessen.

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Erstellt:
06.08.2016, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 21sec
zuletzt aktualisiert: 06.08.2016, 12:00 Uhr

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