Afghanistan

Kommando zurück am Hindukusch

Der Abzug der internationalen Truppen wird dramatische Folgen haben: Nicht nur für das Land, sondern auch für die?Nato und die?Bundeswehr.

15.04.2021

Von ELLEN HASENKAMP UND STEFAN KEGEL

Zwei US-Soldaten begrüßen sich in Afghanistan: Bis zum 11. September sollen die US-Truppen das Land verlassen haben. Foto: Grovert Fuentes-Contreras/dpa

Zwei US-Soldaten begrüßen sich in Afghanistan: Bis zum 11. September sollen die US-Truppen das Land verlassen haben. Foto: Grovert Fuentes-Contreras/dpa

Berlin. Seit 20 Jahren versuchen internationale Truppen, in Afghanistan eine erneute Machtübernahme der radikalislamischen Taliban zu verhindern. Nun hat US-Präsident Joe Biden den Abzug der US-Truppen aus dem südasiatischen Land angekündigt. Was bedeutet das?

Warum sind die Bundeswehr und andere Truppen überhaupt dort? Nach den Anschlägen am 11. September 2001 war schnell klar, wer dahintersteckte: die Terrororganisation Al-Kaida des saudischen Millionärs Osama bin Laden. Sein Versteck waren die Berghöhlen von Tora Bora im Osten Afghanistans, das unter dem islamischen Schreckensregime der Taliban stand. Zusammen mit anderen Nato-Verbündeten entmachteten die USA die Taliban, es folgten mehrere Nato-geführte Missionen, um das Land zu stabilisieren.

Dennoch erstarkten die Taliban wieder. Ein unter US-Präsident Donald Trump ausgehandeltes Abkommen sah den Abzug der internationalen Truppen bis Ende April sowie Friedensverhandlungen zwischen afghanischer Regierung und Taliban vor. Nun soll der Abzug bis September abgeschlossen sein.

Was bedeutet der Abzug für die USA? Der Blutzoll Amerikas war hoch: 2300 US-Soldaten ließen ihr Leben. „Wir wissen seit langem, dass es keine militärische Lösung für die Probleme gibt, die Afghanistan plagen“, sagt ein Vertreter des Nationalen Sicherheitsrates der USA. Nun müsse der Friedensprozess auf diplomatischer Ebene unterstützt werden. Das Argument für den Rückzug ist nüchtern: Die Bedrohung für die Sicherheit der USA von Afghanistan aus sei „nicht Null, aber im Moment ist sie kleiner als in anderen Teilen der Welt“, erläuterte der Vorsitzende des US-Geheimdienstausschusses Adam B. Schiff.

Wie geht die Nato mit dem Abzug um?

„Gemeinsam rein – gemeinsam raus“: Das war über Jahre das Leitmotiv der Nato. Mit dem Abzug bis zum 11. September wollen die USA den Verbündeten offenbar die nötige Zeit geben, sich anzupassen und einen schlecht koordinierten Abzug vermeiden.

Die Nato habe mit ihrem Einsatz in Afghanistan viel erreicht, sagt der SPD-Außenexperte Nils Schmid. „Wir müssen uns nun aber dafür einsetzen, dass die politischen Errungenschaften der vergangenen 20 Jahre nicht preisgegeben werden.“ Dazu zählt er zum Beispiel die Rechte von Frauen, die Einführung eines Wahlsystems – und den Schulbesuch von Kindern. Heute gehen dort 9,2 Millionen Kinder zur Schule, zehnmal mehr als 2001. Es sei entscheidend, dass es zu einem Friedensvertrag komme.

Was heißt der Abzug für die Bundeswehr? Erst vor wenigen Wochen hatte der Bundestag das Mandat für den deutschen Einsatz erneut verlängert und zwar für zehn Monate. Es handelte sich aber eher um eine Art Vorsorgebeschluss, der Abzug der USA stand schon damals im Raum. Nun also geht es tatsächlich früher raus aus dem Land am Hindukusch.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte am Mittwochmorgen, dass Deutschland seine Planungen mit denen der USA „synchronisieren“ werde. Was nichts anderes heißt als: Am 11. September wird auch die Bundeswehr draußen sein. Die Vorbereitungen für einen möglichen Abzug der deutschen Truppen laufen schon länger. Noch sind rund tausend deutsche Soldaten vor Ort.

Für die Bundeswehr geht ihr wohl prägendster Einsatz zu Ende: 59 deutsche Soldaten ließen in Afghanistan ihr Leben, 35 von ihnen starben bei Gefechten oder Anschlägen. Das Wort „Gefallene“ hielt Einzug in die deutsche Politik.

Wie geht es nun weiter in Afghanistan? Viele Menschen vor Ort und viele Beobachter befürchten das Schlimmste. Sie gehen davon aus, dass die mühsamen Erfolge der vergangenen Jahre zum Beispiel in Sachen Frauenrechte, Schulbildung und Meinungsvielfalt nach Abzug der internationalen Truppen zunichtegemacht werden und auch die Gewalt weiter zunehmen wird.

Die UN-Mission in Afghanistan meldete am Mittwoch erneut ernüchternde Zahlen: Danach wurden in den ersten drei Monaten des Jahres 573 Zivilisten getötet und 1210 verletzt – 29 Prozent mehr als im ersten Quartal 2020. „Die bittere Erfahrung der Vergangenheit wird sich wiederholen“, schwant dem afghanischen Parlamentspräsidenten Mir Rahman Rahmani.

Auch die Bundesregierung hatte erst vor wenigen Wochen für eine Verlängerung des Einsatzes mit dem Argument geworben, man dürfe das bisher Erreichte nicht aufs Spiel setzen.

Foto: Grafik: SWP

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