Körper und Seele

Körper und Seele

In dem mit dem Goldenen Bären dekorierten Film haben ein Mann und eine Frau identische Träume. Sind sie deswegen auch füreinander geschaffen?

23.09.2017

Von Ulla Steuernagel

Ausgerechnet in einem Schlachthof entwickeln sich zarte Bande zwischen der rätselhaften Maria (Alexandra Borbély) und Endre (Géza Morcsányi), dem introvertierten Direktor. Mitten in der Tötungsfabrik keimt sehr langsam eine fast unmögliche Liebe. Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi hat nach ihrem preisgekrönten Filmdebüt („Mein 20. Jahrhundert“) rund 30 Jahre auf ihr nächstes großes Werk warten lassen. Mit „Körper und Seele“ räumte sie bei der diesjährigen Berlinale dann aber gleich den Goldenen Bären ab.

Die Geschichte klingt zunächst wie ein Stück überinterpretierter Freudscher Traumdeutung. Da haben zwei, die sich nur vom Sehen kennen, Nacht für Nacht den gleichen Traum. Durch einen Winterwald springen ein Hirsch und eine Hirschkuh, sie fressen Blätter und trinken aus dem See. Maria und Endre träumen den Traum nicht nur gleichzeitig, sie träumen ihn auch in Fortsetzungen. Und man ahnt bald, dass dieser Traum die Vision eines neuen Glücks ist. Noch bevor sie sich im Leben erkannt haben, hat ihre Liebe schon begonnen. Das Unbewusste spielt sie einander zu.

Doch auf die Welt kommt ihre Liebe nur dank der Geburtshilfe einer impertinent sexbesessenen Psychologin. Dieser melancholische Film wird von schöner Komik getragen. Gerade die tastenden schüchternen Begegnungen von Maria und Endre sind rührend und komisch zugleich. So mündet etwa der Versuch, eine Nacht lang analog nebeneinander liegend zu träumen, in beider Schlaflosigkeit. Im Traum sind die beiden Liebenden schon viel weiter als im Leben, das sich so störrisch anstellt und ihnen immer wieder in die Quere kommt.

Endre hatte sein Liebesleben schon längst eingeschläfert, überhaupt scheint er ein Leben im Standby-Betrieb zu führen. Maria, die rationale und hyperpräzise Qualitätskontrolleurin, neigt zu roboterhaftem Verhalten. Sie leidet an einer Form von Autismus und ist im Zwischenmenschlichen die totale Anfängerin. Wie also übt sie, Berührung auszuhalten? Sie drückt ihre Hand in Kartoffelpüree. Und um zu sehen, wie Sex geht, schaut sie Pornos als Lehrfilme an.

Viele Bilder dieses Films bleiben hängen: Maria, wie sie hinter einer Glasscheibe steht und unverwandt schaut. Oder Endre, der mit milder Teilnahmslosigkeit seine Kollegen betrachtet. Aber auch die Bilder von den finalen Momenten einer Kuh bleiben haften. Man sieht in einer langsamen Ansicht der sterbenden Kuh, wie ihr Auge bricht. Danach bricht sofort grausame Routine aus: Das Tier wird geköpft und zerlegt. Der dokumentarischen Schlachtszene setzt die Regisseurin die Traumbilder vom Wild in freier Wildbahn entgegen: geknechteter Körper und befreite Seele. (Arsenal).

Die Melancholie, die Komik, die schönen Bilder - alles spricht für die Geschichte dieses Traumpaares.