Spätfolgen

Studie zu Covid-Spätfolgen: Kleiner Lichtblick im Coronastress

Kurz vor dem erneuten harten Lockdown macht eine erste breit angelegte Studie ein wenig Mut: In den meisten Fällen scheinen langwierige Covid-Symptome mit der Zeit abzuklingen.

14.12.2020

Von Antje Berg

Reha nach Corona: Frauen und übergewichtige Menschen sind eher von Spätfolgen betroffen als andere Patienten, fanden britische Forscher jetzt heraus. Foto: ©Unai Huizi Photo- graphy/shutterstock.com Foto: ©Unai Huizi Photography/shutterstock.com

Reha nach Corona: Frauen und übergewichtige Menschen sind eher von Spätfolgen betroffen als andere Patienten, fanden britische Forscher jetzt heraus. Foto: ©Unai Huizi Photo- graphy/shutterstock.com Foto: ©Unai Huizi Photography/shutterstock.com

London. Die Spätfolgen einer Corona-Infektion können quälend sein: Jede Treppenstufe kostet Kraft und erschwert das Atmen. Das Herz stolpert, immer wieder schmerzt der Kopf, die Konzentration will nicht gelingen. Wie ein dunkler Schleier liegen Erschöpfung und Depression über dem Alltag. „Long Covid“ nennen es die Ärzte, wenn die Patienten sich nur schleppend erholen, wenn Gesundheit und Wohlbefinden nach der akuten Phase der Erkrankung weiter massiv beeinträchtigt sind.

Doch wie vielen Corona-Betroffenen passiert das tatsächlich? Von 10 bis 30 Prozent, mitunter sogar höheren Werten, sprechen behandelnde Mediziner – und davon, dass die Zahlen nach erst kurzer Erfahrung mit dem Virus nur Schätzungen sein können. Unzureichend auch die Studienlage: In den meisten Fällen wurde bisher entweder nur eine vergleichsweise geringe Zahl von Patienten oder ein bestimmter Patientenkreis befragt, Covid- Erkrankte etwa, die in der Klinik behandelt werden mussten.

Daten von 4000 Patienten

Nun aber haben Forscher des renommierten King?s College London erstmals eine größere Untersuchung vorgelegt. Sie werteten die Daten von mehr als 4000 Covid-Betroffenen aus, die über mehrere Monate hinweg ihr Befinden in einer App protokolliert hatten. Noch wurden die Ergebnisse der Forschergruppe nicht von Kollegen begutachtet, doch der Vorabdruck macht Hoffnung. Denn die gesundheitlichen Beschwerden scheinen in den meisten Fällen mit der Zeit abzuklingen.

Elf Tage dauerte die Erkrankung im Mittel. Die meisten Patienten waren danach beschwerdefrei. 13,3 Prozent litten laut Studie länger als vier Wochen nach Ausbruch der Krankheit noch an mindestens einem Symptom, 4,5 Prozent länger als acht Wochen, 2,3 Prozent länger als 12 Wochen. Laut Studie gilt die Erkrankung nach 28 Tagen als Long Covid. Die häufigsten Symptome waren Ermüdung (97,7 Prozent) und Kopfschmerzen (91,2 Prozent). Es folgten der Verlust des Geruchssinns und Kurzatmigkeit.

Ältere Menschen waren öfter betroffen: 22 Prozent der über 70-jährigen, aber nur 10 Prozent der 18- bis 49-jährigen Patienten. Frauen litten häufiger unter langfristigen Folgen. Die Autoren der Studie fanden auch heraus, dass ein langwieriger Verlauf bei einem höheren Body-Mass-Index wahrscheinlicher ist, ebenso bei einer Asthmaerkrankung. Patienten, die in der ersten Woche der Akutphase mehr als fünf Symptome zeigten, weisen ebenfalls ein erhöhtes Risiko auf. Und: Menschen mit Long Covid droht doppelt so oft einen Rückfall wie Patienten, die nach kurzer Zeit wieder gesund sind.

„Es ist wichtig, dass wir die Erkenntnisse nutzen, die wir während der ersten Welle der Pandemie gesammelt haben, um die langfristigen Auswirkungen der zweiten zu reduzieren“, schreibt die Wissenschaftlerin Claire Steves, die mit dem Epidemiologen Tim Spector die Studie leitete. Sie hebt dabei den großen Beitrag der Patienten hervor, die über die App ihre gesundheitlichen Daten sorgfältig erfasst und dazu beigetragen hätten, „den Weg für Präventions- und Behandlungsstrategien zu ebnen“.

Dass die Genesung lange dauern kann, gilt auch für andere Infektionen. Das RKI schreibt dazu unter Bezug auf Covid-19: „Bei?Infektionen mit Pneumonien werden grundsätzlich längere Genesungszeiten beobachtet, und sie sind prinzipiell nicht ungewöhnlich.“ Auch gewisse Gesundheitsrisiken bleiben: So kann beispielsweise selbst zehn Jahre nach einer Lungenentzündung die Wahrscheinlichkeit für eine Herz-Kreislauferkrankung immer noch erhöht sein.

Zu den kognitiven Spätfolgen der Influenza wiederum haben erstmals zwei Wissenschaftlerinnen der Technischen Universität Braunschweig geforscht. „Wer schon einmal die Grippe hatte, weiß, wie sehr das Denkvermögen im akuten Stadium leidet,“ schreibt das beteiligte Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung.

Was aber geschieht danach? In der Untersuchung mit Testmäusen zeigten Kristin Michaelsen-Preusse und Shirin Hosseini, dass auch noch 30 Tage nach der Infektion mit Influenza-Erregern Defizite „bei Lern- und Gedächtnisaufgaben sowie strukturelle Veränderungen an Nervenzellen im Gehirn“ zu beobachten sind. Erst nach 120 Tagen waren „keine Veränderungen mehr messbar“.

Kein Schwarz oder Weiß

Wie komplex die Frage nach Art und Häufigkeit der Spätfolgen von Covid-19 im Moment ist, darauf verweist das Robert Koch-Institut: „Aufgrund der Neuartigkeit des Krankheitsbildes Covid-19 und den sehr unterschiedlichen klinischen Präsentationen existiert bis jetzt keine einheitliche Definition für den Begriff der Langzeitfolgen.“

Erschwert werden zuverlässige Aussagen auch dadurch, dass von komplizierten Covid-19-Verläufen häufig vorerkrankte Patienten betroffen sind. Daher könnte zumindest ein Teil der Langzeitsymptome auch mit der fortschreitenden Grunderkrankung zusammenhängen.

Kein Schwarz oder Weiß also. Das mag in der öffentlichen Debatte um Spätfolgen verunsichern und auch zu voreiligen, undifferenzierten Schlüssen verleiten. Am derzeitigen Ziel jedoch können die noch offenen Fragen nichts ändern: Es gehe nicht nur darum, sich wegen der Zunahme der Covid-Sterbefälle zu sorgen, sagt Epidemiologe Tim Spector vom King's College. Sondern auch darum, an all jene zu denken, „die von Long Covid betroffen sein werden, falls wir die Pandemie nicht bald unter Kontrolle bekommen“.

2,3 Prozent von mehr als 4000 Covid­Betroffenen, die ihr gesundheitliches Befinden protokollierten, hatten länger als 12 Wochen gesundheitliche Beschwerden.