Digitalisierung

Leitartikel: Keine neue Behörde!

Darüber, dass Deutschland digital einigen Nachholbedarf hat, müssen nicht mehr viele Worte verbraucht werden. Funklöcher, Faxgeräte und langsames Internet sind für viele Bürger ein steter Quell des Ärgers, für Unternehmen auf dem Land existenzbedrohend.

21.09.2021

Von IGOR STEINLE

Berlin. Um den Rückstand aufzuholen, schlagen FDP und Union in ihren Wahlprogrammen ein Digitalministerium vor. Das wäre allerdings wenig hilfreich.

So ist die schleppende Digitalisierung der deutschen Verwaltung vor allem dem föderalen System geschuldet. Schaut man sich ein Schaubild mit den Zuständigkeiten der verschiedenen Ebenen für das Mammutprojekt an, bei dem Kanzleramt, Ministerien, Staatskanzleien, Kommunen, Landkreise, Datenschützer und viele mehr beauftragt sind, bis 2022 die 575 wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen auch digital anzubieten, kann einem leicht schwindlig werden.

Sich vorzustellen, dass ein Digitalministerium die Befugnis bekäme, durch all diese Ebenen durchzuregieren und Ländern vorzuschreiben, wie sie mit ihren hoheitlichen Aufgaben umzugehen haben, verlangt einem dann doch sehr viel Fantasie ab. Das ohnehin komplizierte föderale Geflecht würde mit einer zusätzlichen Bundesbehörde noch unübersichtlicher werden.

Ähnlich verhält es sich mit dem schleppenden Ausbau des Glasfasernetzes. Hier muss man sich eingestehen, dass die Fehler der Vergangenheit nicht wiedergutzumachen sind. 1981 beschloss die sozialliberale Regierung unter Helmut Schmidt in einem auf 30 Jahre ausgelegten Plan, Westdeutschland komplett mit Glasfaserkabeln auszustatten. Ein Jahr später legte die Regierung Kohl die Pläne auf Eis, um stattdessen leistungsschwache Kupferkabel fürs Privatfernsehen zu verlegen.

Auch Geld hilft da nicht mehr weiter: Viele Milliarden an Fördermitteln liegen für Glasfaserkabel bereit, abgerufen wird von den Kommunen nur ein Bruchteil. Mit weniger Bürokratie und mehr Personal in leistungsfähigeren Verwaltungen könnte der Prozess zwar bestimmt etwas beschleunigt werden. Doch selbst dann würden ausgelastete Tiefbauunternehmen den Ausbau bremsen. Das erklärte Ziel der Großen Koalition, bis 2025 auch den letzten Winkel der Republik ans Hochgeschwindigkeitsnetz anzuschließen, ist schlichtweg utopisch. Manche Fachleute wären schon glücklich, wenn es noch in diesem Jahrzehnt gelänge.

Besser als ein neues Ministerium wäre es, die Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu stärken, um wenigstens die Verwaltung rascher zu digitalisieren. Der Normenkontrollrat, ein Gremium, das den Prozess seit Jahren kritisch begleitet, schlägt vor, den mit der Koordinierung befassten Beauftragten für Informationstechnik politisch zu stärken, indem dieser direkt vom Kanzler ernannt würde. Schaden würde es sicherlich auch nicht, wenn diesen Posten eine Person mit politischem Gewicht innehätte. Diesen Vorschlag sollte eine künftige Regierung in Erwägung ziehen, bevor sie noch eine Behörde ins Leben ruft.

leitartikel@swp.de

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Erstellt:
21.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 09sec
zuletzt aktualisiert: 21.09.2021, 06:00 Uhr

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