Interview

TV-Krimis: „Kein harmloses Vergnügen“

Der Kriminologe Christian Pfeiffer warnt vor zu intensivem Konsum. Mit brutalen Gewaltdarstellungen wächst die Angst.

23.06.2021

Von ELISABETH ZOLL

Der Kriminologe Christian Pfeiffer. Foto: dpa;Henning Kaiser

Der Kriminologe Christian Pfeiffer. Foto: dpa;Henning Kaiser

Die Liebe zu Fernsehkrimis hat auch Christian Pfeiffer nicht verloren. Doch der Blick des langjährigen Leiters des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen gilt auch den Auswirkungen dieser Filme. Vor kurzem hat er eine neue Studie dazu verfasst. Sie offenbart eine tiefe Kluft zwischen der gespielten und der realen Welt.

Herr Pfeiffer, allabendlich werden uns Krimis auf fast allen TV-Kanälen präsentiert. Hat das Folgen?

Christian Pfeiffer: Ja, wir haben in einer Studie untersucht, wie sich die Wahrnehmung von Menschen verändert, die sehr viele Krimis schauen. Ob sie die Gefährlichkeit der Welt anders einschätzen, ihre Angst vor Mord und Todschlag zunimmt. Das hat sich in unserer Untersuchung klar bestätigt. Je mehr Zeit Menschen mit visuellem Mord und Todschlag verbringen, desto eher glauben sie, dass diese Delikte zunehmen.

Damit ist das abendliche Gruselvergnügen nicht mehr harmlos . . .

Nein, keineswegs. Denn Menschen verändern auch ihre kriminalpolitischen Vorstellungen. Sie fordern mehr Härte. Wir sahen auch: Werden eher Privatsender bevorzugt, die Brutalität stärker zelebrieren, und werden solche Filme intensiv konsumiert, dann orientiert sich die Vorstellung von der realen Welt an diesen Szenarien. Kaum jemand weiß, dass seit der Wiedervereinigung in Deutschland die Zahl der Schusswaffen-Tötungen um circa 80 Prozent abgenommen hat. Kaum jemand bedenkt, dass Sexualmorde in den vergangenen 30 bis 40 Jahren um 90 Prozent zurückgegangen sind. Der Eindruck, dass alles gefährlicher wird, ist grundfalsch. Je schwerer die Delikte sind, desto stärker ist der Rückgang. Die einzige Ausnahme: Während Covid-19 hat die innerfamiliäre Gewalt zugenommen.

Aber könnte man die Gruselgeschichten der heutigen Zeit nicht auch anders lesen: Die Staatsmacht ist stark, denn am Ende der Krimis siegt das Gute?

Natürlich. Auch das gibt es. Doch die meisten Zuschauer identifizieren sich mit den Opfern. Und deren Leiden werden in manchen Filmen sehr, sehr detailliert präsentiert. Ein Hinweis sind Altersempfehlungen im Vorspann. Bei Krimis ab 16 Jahren dominiert oft die exzessive Lust am Zeigen von Brutalität. Das löst Ängste aus. Selbst der „Tatort“ ist brutaler geworden. Von anderen Krimis ganz zu schweigen.

Sind Krimi-Konsumenten dem Grusel ausgeliefert?

Nicht alle. Wir wissen: Je höher der Bildungsgrad, desto weniger werden die Menschen von solchen Filmen überfordert. Sie scheinen Schutzmechanismen zu haben. Je niedriger die Bildung und je höher das Alter, desto eher färben diese Filme auf das eigene Grundgefühl ab. Dann entsteht Unsicherheit. Wir haben festgestellt, dass Menschen in Ostdeutschland häufiger private TV-Sender bevorzugen und sie eine größere Neigung zu brutalen Filmen haben. Ich glaube, wer eine vernünftige Mitte hält zwischen solider Information und der Zeit für Krimis und sich nicht abkoppelt vom realen Leben, der ist geschützt. Das bedeutet, dass Ältere und Schwächere mit weniger Außenkontakten eher gefährdet sind.

Was macht den Reiz am Grusel vom Sofa aus?

Die Spannung, in die man versetzt wird.

Welchen Niederschlag auf unser Staatsverständnis hat der Fakt, dass am Ende des Krimis die Schurken meist gefasst werden?

Einen positiven. Wenn wir wahrnehmen, dass ein Verbrecher gefasst wird und vor Gericht kommt, stellt sich das Gefühl ein: Die Welt ist in Ordnung, die Polizei hat die Sache im Griff. Deshalb sehe ich mit Sorge, dass ein Teil der Gewaltfilme genau dieses Happy-End gar nicht mehr bietet. Das könnte abfärben und zu Fehleinschätzungen im politischen Bereich führen. Es könnte Kräfte wie die AfD stärken, die von Übertreibungen lebt. Deren kriminalpolitische Aussagen basieren auf Ängsten. Damit lassen sie Law-and-Order-Maßnahmen als einzig Rettendes erscheinen.

Filme zeigen uns die Exotik fremder Milieus. Wir sind nicht selten konfrontiert mit Minderheiten wie Migranten oder psychisch Kranken. Verändert das unseren Blick?

Eindeutig ja. Alles, was einseitig übertreibend dargestellt wird, verändert unseren Blick. Da arbeitet Fernsehen Hand in Hand mit Boulevardmedien. Ich habe schon die Angst, dass der lange Lockdown etwas verschoben hat. Die Rückkehr zur Normalität kann da etwas zurechtrücken.

Schauen Sie selbst noch Krimis?

Ja. Auch aus Neugierde, weil es mein Forschungsthema ist. Doch gut gemachte Krimis sind spannend. Ich lese Krimis und ich schaue sie. Aber beides in einem überschaubaren Maß.

Dauergast im deutschen Fernsehen: Krimis der Reihe „Tatort“. Foto: Revierfoto via www.imago-images.de

Dauergast im deutschen Fernsehen: Krimis der Reihe „Tatort“. Foto: Revierfoto via www.imago-images.de