Tennis

Karriere ist nach dem Wimbledon-Sieg komplett

Angelique Kerber gibt sich bei ihrer Stippvisite in Stuttgart gelöst und unkompliziert. Nun wird sie sich ganz bewusst zurücknehmen.

18.07.2018

Von JÖRG ALLMEROTH

Gut gelaunt und entspannt kam Angelique Kerber zum Pressetermin in Stuttgart. Foto: Marijan Murat/dpa

Gut gelaunt und entspannt kam Angelique Kerber zum Pressetermin in Stuttgart. Foto: Marijan Murat/dpa

Stuttgart. Der Rausch ist noch nicht ganz verflogen, der Rausch nach diesem Schlag in die Unsterblichkeit. Und so hat Angelique Kerber auch drei Tage nach ihrem Wimbledon-Triumph nicht ihr strahlendes Lächeln verloren, nicht die tiefe Zufriedenheit, auch nicht die Gelassenheit, die nicht ganz neuen Fragen mit den nicht ganz neuen Antworten zu versehen. Kerber ist in Stuttgart angekommen, bei ihrem ältesten Sponsorenpartner Porsche. Sie hat wieder deutschen Boden betreten für das Blitzlichtgewitter der Fotografenmeute. Für schöne Posen mit der berühmten Siegerschale. Und fürs allerfrischeste Update, wie es einer Wimbledonsiegerin so geht: „Ich begreife so langsam, was passiert ist. Und ich weiß, dass dieser Moment auf dem Centre Court für ewig in mir sein wird“, sagt Kerber.

Sie ist ein bisschen zu spät gekommen zu diesem gediegenen Treff im Porsche-Museum, denn Angelique Kerber kann zwar hin und wieder selbst die titanische Serena Williams bezwingen. Aber gegen den Stuttgarter Verkehr ist auch die 30-Jährige machtlos, die mit dem Privatjet aus Posen eingeschwebt ist. Hier dann noch schnell ein Interview fürs Fernsehen, da noch eine Fotosession vor einem der schicken Automobile – und dann kann Kerber endlich berichten, wie das so war in Wimbledon.

Interesse am roten Kleid

Sie hat so ein Frage-und-Antwort-Spiel schon einmal absolviert, damals nach der Grand Slam-Titelpremiere in Melbourne im Januar 2016 – da musste Kerber auch ein paar sehr ungewöhnliche Fragen vom aufmarschierten Zeitungsboulevard beantworten. Da kommt sie in Stuttgart nun besser weg, es ist alles sehr gesittet, sehr ordentlich, sehr rücksichtsvoll. Aber natürlich müssen auch hier und da ein paar wichtige Dinge geklärt werden, wie etwa die Sache mit dem roten Kleid vom Champions Dinner: Durfte sie das denn behalten, die Königin von Wimbledon? Sie durfte. Es kann allerdings auch sein, dass das Haus der Geschichte mal anfragt und nach dem roten Dress fragt, so wie einst nach Schuhen und Schlägern des Herrn Becker.

Da Kerber schon bei Oma und Opa in Polen vorbeigeschaut hatte – dort führte sie nämlich der erste Flugabschnitt von London hin – ist auch dies zu ermitteln: Wurde schon was Deftiges aufgetischt, als Belohnung für die Enkelin? Das muss die Queen des Centre Court verneinen, es sei spät geworden am Montag, es habe nur ein kleines Essen gegeben, dafür einen umso herzlicheren Empfang. Aber am Dienstag wird nun endlich gegrillt, draußen an der frischen, warmen Luft – wenn Kerber wieder zurückgeflogen ist nach Posen: „Das habe ich mir so gewünscht, ein Essen im Freien.“

Und sonst, welche Wünsche sind denn jetzt noch offen, nachdem der Hauptpreis verteilt worden ist, der Sieg, über den Kerber sagt, sie habe 30 Jahre darauf warten müssen? „Eigentlich gibt es keine Rechnungen mehr, die zu begleichen sind“, sagt Kerber, „ich kann für mich sagen, dass meine Karriere komplett ist.“ Andererseits gebe dieser Lebenstraum auch Motivation und Antrieb: „Ich weiß, dass ich noch vieles gewinnen kann. Aber ich setze mich da nicht mehr großartig unter Druck“, so Kerber weiter: „Es wird nicht so sein, dass ich in ein großes, schwarzes Loch falle. Auch Roger Federer gewinnt ja immer noch. Und ist auch immer noch da.“

Ein Grand-Slam-Titel fehlt Kerber in der exklusiven Sammlung noch: der von Paris, bei den French Open. Sind nun also alle Aufmerksamkeit und Konzentration darauf gerichtet? Das wehrt Kerber ab, schließlich gibt es nicht gerade eine große Liebesbeziehung zwischen den Sand-Festspielen und ihr selbst: „Aber wer weiß. Vielleicht kommt der Sieg noch mal dazu. Ich gehe es jedenfalls gelassen an.“

Es ist aber keineswegs so, dass Kerber diese ersten Stunden in Deutschland noch irgendwie rumkriegen müsste, als lästige Pflicht. Sie freut sich auf die beginnenden Sommerferien („Ich weiß noch nicht, wie lang sie sein werden“), aber sie genießt schon ein wenig die Nachfrage, den Rummel.

Terminhatz vermeiden

Gut 60 Journalisten und diverse Kamerateams sind aufmarschiert, es ist noch einmal ein Kerber-Tag in den Medien, bei Presse, Funk und Fernsehen. Bevor nicht nur einfach der Urlaub ansteht, sondern auch ein wenig die Rückkehr in vorübergehend etwas mehr Normalität: „Am wichtigsten für mich ist nun, dass ich Zeit für mich habe. Zeit ist kostbar, das habe ich gelernt.“ Lernen müssen will Kerber damit auch sagen. Und zwar in der Zeit nach der ersten Euphoriewelle, vor zwei Jahren, als sie zwei Grand Slams gewann und die Nummer 1 wurde. Danach aber abstürzte, weil sie sich auch in der Terminhatz verlor, zu sehr aufgerieben wurde in den Pflichten neben dem Centre Court.

Kerber fühlt sich gerüstet für das, was noch kommt. Ein paar Jahre will sie noch spielen, „ganz sicher“. Und dabei ist ihr auch eines besonders wichtig: „Ich will die gleiche Angie bleiben. Die Leute sollen spüren, dass ich mich nicht verändert habe durch den Erfolg.“ Vielleicht ist das sogar mindestens so wichtig wie noch so manch großer Titel und großer Pokal, der ins Wohnzimmer kommt neben die Wimbledon-Schale.