Batterieforschung

Karliczek: „Ich habe keinen Einfluss genommen“

Bundesforschungsminsterin Anja Karliczek weist den Vorwurf der Vetternwirtschaft zurück und beklagt einen unfairen Umgang im Streit um die Vergabe der Fördermillionen nach Münster.

15.07.2019

Von MATHIAS PUDDIG

„Am Ende war in dem Entscheidungsprozess eine Frage entscheidend: Welches ist unter vielen sehr guten Vorschlägen das beste Konzept?“, sagt Forschungsministerin Anja Karliczek zu den Vorwürfen, sie habe ihre Heimatregion bevorzugt. Foto: Thomas Imo/photothek.net

„Am Ende war in dem Entscheidungsprozess eine Frage entscheidend: Welches ist unter vielen sehr guten Vorschlägen das beste Konzept?“, sagt Forschungsministerin Anja Karliczek zu den Vorwürfen, sie habe ihre Heimatregion bevorzugt. Foto: Thomas Imo/photothek.net

Berlin/Ulm. Die Empörung im Land war groß, nachdem die Bundesforschungsministerin die Fördermillionen für eine Forschungsfabrik für Batteriezellen nicht wie erwartet nach Ulm, sondern nach Münster vergeben hatte. Am Montag kommt Anja Karliczek (CDU) nach Ulm.

Frau Ministerin, mit welchem Ziel reisen Sie nach Ulm? Fahren Sie gerne hin?

Anja Karliczek: Ich freue mich auf den Besuch in Ulm. Meine Kollegin im Bundestag, Ronja Kemmer, hat mich schon im vergangenen Jahr eingeladen. In Ulm gibt es viele hervorragende Forschungseinrichtungen. Schon von daher lohnt sich der Besuch. Wir werden aber auch das Weiterbildungszentrum für Energietechnologien der Handwerkskammer Ulm besichtigen. Weiterbildung ist ja eines meiner Kernthemen. Zum Auftakt werde ich übrigens im Rathaus Ulm als eine der Gewinnerstädte unseres Wettbewerbs Zukunftsstadt auszeichnen. Damit kann Ulm neue Mobilitätskonzepte umsetzen. Dafür stehen in den nächsten drei Jahren eine Million Euro zur Verfügung.

Geht es darum, nach harscher Kritik und einer turbulenten Landtagssitzung die Wogen zu glätten?

Wie gesagt, der Besuch war lange geplant. Aber natürlich weiß ich, dass gerade in Ulm die Entscheidung über den Standort für die Forschungsfertigung Batteriezelle Enttäuschung ausgelöst hat. Das ist ja auch in den Ländern der übrigen Bewerber nicht anders, die am Ende nicht zum Zuge gekommen sind. Insoweit ist es gut, dass mein Besuch gerade jetzt stattfindet. Vielleicht kann ich vor Ort noch die eine oder andere offene Frage klären und Missverständnisse ausräumen, obwohl wir die Gründe für die Entscheidung schon breit kommuniziert haben.

Im Landtag sind Sie von allen Fraktionen kritisiert worden, die Landes-SPD brachte sogar einen Untersuchungsausschuss ins Gespräch – haben Sie mit solch heftigem Widerstand gerechnet?

Die Diskussionen nach der Entscheidung zeigen, dass die Politik die Bedeutung der Batterieforschung und -herstellung überall erkannt hat. Das ist gut, denn die Batterie ist eine Zukunftstechnologie und als Land der Hochtechnologie dürfen wir uns nicht von anderen Anbietern abhängig machen. Wir müssen gerade mit Blick auf unsere Autoindustrie die gesamte Wertschöpfungskette in Deutschland halten. Dass nun viele Länder die Forschungsfertigung Batteriezelle als Schlussstein unserer Innovationspipeline gern bei sich gesehen hätten, war nicht überraschend. Es ist ein großes Projekt. In der Debatte über die Entscheidung hätte ich mir aber etwas mehr Fairness gewünscht. Es ging ausschließlich um die Frage, welches Konzept für die Batterieforschung in Deutschland den höchsten Grad an Exzellenz aufweist – und um nichts anderes.

Rund um die Entscheidung für Münster hat es Durchstechereien und Gerüchte gegeben – haben alle mit fairen Mitteln gespielt?

Am Ende war in dem Entscheidungsprozess eine Frage entscheidend: Welches ist unter vielen sehr guten Vorschlägen das beste Konzept? Um es klarer zu machen: Zu den Konzepten, die im Wettbewerb über den Standort vorgelegt wurden, hat zwischen meinem Haus und dem Bundeswirtschaftsministerium ein enger Austausch stattgefunden. Mein Haus hat unter Hinzuziehung der Bewertungen der Fraunhofer-Gesellschaft, im Anschluss an die Diskussion in der Gründungskommission und die Gespräche mit dem Wirtschaftsministerium auf Fachebene in der zuständigen Abteilung des Ministeriums die Entscheidung getroffen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat dabei deutlich gemacht, dass es die getroffene Auswahl aus industriepolitischer Sicht mitträgt. Ich hatte schon den Eindruck, dass einige unterwegs waren, die sich zumindest nicht die Mühe gemacht haben, diesen Entscheidungsprozess sauber darzustellen, warum auch immer.

Alle Parteien im Land kritisieren mangelnde Transparenz. Welche Kriterien waren es konkret, die für Münster und gegen Ulm sprachen?

Es gab mehrere sehr gute Bewerbungen. Ausschlaggebend war für mein Haus unter anderem ein Punkt: Das Konzept von Professor Winter, Professor Kampker und Professor Schuh enthält einen überzeugenden und rechtlich realisierbaren Kreislaufansatz. Es berücksichtigt den gesamten Lebenszyklus einer Batteriezelle. Die testweise produzierten Batterien sollen beispielsweise in einem stationären Speicher, einem so genannten Netzbooster, optimal genutzt und anschließend über ein Recycling-System wiederverwertet werden. Dies ist angesichts der hohen Zahl von experimentellen Batteriezellen, die nach dem EU-Beihilferecht nicht einfach verkauft werden dürfen, eine sehr wichtige Frage.

Hatte Ulm im Laufe des Verfahrens die Nase vorn?

Die Gründungskommission hat zu keinem Zeitpunkt eine Empfehlung für einen Standort abgegeben. Leider wurde das in den Medien teilweise falsch dargestellt.

Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut hebt hervor, dass das Thema Nachhaltigkeit auch beim Ulmer Antrag eine Rolle gespielt hat. Was sagen Sie dazu?

Natürlich haben auch die anderen Standorte ein ökologisches und energetisches Konzept vorgelegt. Das war in den Bewerbungsunterlagen ausdrücklich gefordert. Aber das Konsortium aus Nordrhein-Westfalen hat eben ein echtes Kreislaufkonzept von der Produktion bis zur Wiederverwertung der Batterien vorgelegt. Hinzu kommt, dass das Konsortium von hervorragenden Wissenschaftlern geführt wird, von denen einige sogar Erfahrungen mit dem Aufbau einer solchen Fabrik haben. Und dem Wirtschaftsministerium war auch die Anschlussfähigkeit zur geplanten Batterieproduktion wichtig.

Spielte Ulms Nähe zu den Automobilstandorten in Stuttgart und Neckarsulm denn gar keine Rolle?

Die Forschungsfertigung Batteriezelle ist ein nationales Projekt. Ausschlaggebend war allein die Gesamtqualität der Standortbewerbung, es war keine strukturpolitische Entscheidung. Es gibt übrigens auch anderswo in Deutschland bedeutende Automobilstandorte. Das darf man auch nicht vergessen.

Sie haben Ihren Wahlkreis nahe Münster, ihre Heimatstadt Ibbenbüren wird massiv von der Forschungsfabrik profitieren. Verstehen Sie, dass manche Ihnen „Vetternwirtschaft“ vorwerfen? Und was entgegnen Sie denen?

Als Bundesministerin habe ich den Wettbewerb gestartet, dann aber keinen Einfluss auf das Verfahren genommen. Durch den regionalen Bezug einer Bewerbung zu meinem Wahlkreis wäre für mich jedes andere Verhalten unangemessen gewesen. Die Sensibilität der Angelegenheit war mir von Anfang an bewusst. Aber ich stelle einmal auch umgekehrt die Frage: Hätte ich die Entscheidung für Münster nicht verkünden sollen, um mir Ärger zu ersparen, obwohl dieses Konzept das beste unter den sehr guten ist? Für eine Forschungsministerin ist das sicher kein Weg.

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Erstellt:
15.07.2019, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 55sec
zuletzt aktualisiert: 15.07.2019, 06:00 Uhr

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