Reutlingen · Reutlinger Begegnung

Karl Grüner: 22 Jahre gemeinsam unterwegs

Mit Karl Grüner verlässt ein Pionier der ersten Stunde das soziokulturelle Zentrum: Erst im Nepomuk, dann im franz K.-Kulturverein aktiv.

11.10.2020

Von Uschi Kurz

Erst im Nepomuk, dann im franz.K aktiv: Jetzt verabschiedet sich Karl Grüner aus dem Aufsichtsrat des Kulturzentrums. Bild: Horst Haas

Erst im Nepomuk, dann im franz. K aktiv: Jetzt verabschiedet sich Karl Grüner aus dem Aufsichtsrat des Kulturzentrums. Bild: Horst Haas

Eigentlich hätte es schon am 5. Juli im franz. K ein rauschendes Abschiedsfest für Karl Grüner geben sollen. Er hat die Geschichte des soziokulturellen Zentrums nicht nur von Anfang an begleitet, sondern mitgeschrieben. Und sogar die Vorgeschichte im Café Nepomuk hat der 71-Jährige einst mitgestaltet. 22 Jahre widmete er seine Freizeit der Kultureinrichtung. Ende Juni hat sich Karl Grüner bei der Mitgliederversammlung des Kulturvereins aus dem Aufsichtsrat verabschiedet. Gründe genug also für eine richtig große Sause – aber dann kam Corona. Am 18. Oktober, hofft franz. K-Geschäftsführer Andreas Roth, könne die Feier endlich mit gebührenden Vorsichtsmaßnahmen nachgeholt werden. „22 Jahre gemeinsam auf dem Weg“ lautet das Motto der Einladung.

Grüner selbst nennt seine Begeisterung für die lateinamerikanische Musik als Ursprung für sein Engagement. Über die Musik stieß er 1998 zum Kreis der Kulturschaffenden des Café Nepomuk, die seit 1993 im ehemaligen Franzosenkino Unter den Linden Theater und Kleinkunst machten. Erst organisiert von der städtischen Theateroffensive, später vom Trägerverein KU 3 mit Andreas Roth und Ralf Spacca vom Nepomuk. Die Indie-Rock-, Latin- und Weltmusikkonzerte waren rasch in der Region ziemlich einzigartig. Grüner, der damals als freigestellter Betriebsrat bei Bosch arbeitete, organisierte die Noche Latina, später das Café Cantante. Schon damals, sagt Grüner, habe die Idee eines soziokulturellen Zentrums Gestalt angenommen. Es gab im Nepomuk regelmäßige Treffen. „Andreas war der Kopf der Klasse“, beschreibt er die Rolle des späteren franz. K-Geschäftsführers Roth.

Der politische Anspruch sei von Anfang an dagewesen: „Wir wollten Kultur von allen für alle machen.“ Und in Reutlingen hätte es da einen großen Nachholbedarf gegeben. Erst die Kulturkonzeption, die lange gefordert und 2005 fertiggestellt wurde, habe auch der Soziokultur den Weg geebnet.

Grüner setzte sich nicht nur für Veranstaltungsräume ein, er war auch selbst als Musiker aktiv. Er lernte den Tenor Juan Remon kennen, der einen Pianisten suchte, und reiste mit ihm durch halb Europa. Immer wieder gab es auch in Reutlingen gemeinsame Auftritte. Das Nepomuk und die Noche Latina wurde zu der Adresse für die Salsa-Szene in der Region. Ungefähr 200 Gäste kamen zu jedem Live-Event, manche von weit her.

Mit der Kulturkonzeption und ihren drei Säulen (franz. K, Stadthalle, Tonne-Neubau) wurde das soziokulturelle Zentrum 2008 Realität. Kultur von vielen für viele. Am 22. Dezember 2008 wurde das franz. K mit einem bunten Veranstaltungsmix eröffnet. Am Tag darauf trat der Ruhr-Rock-Poet Stoppok als Top-Act auf. „Das war ein tolles Gefühl, das war großartig“, erinnern sich Grüner und seine Frau Burga. Das erste Jahr übertraf gleich alle Erwartungen: 280 Veranstaltungen mit rund 40 000 Besucher(inne)n.

„Bezahlbar, offen für alle Generationen und bewusst interkulturell“, so beschreibt Grüner die Vorstellungen, mit denen damals der Förderverein gegründet wurde. „Er hatte zunächst 25 Mitglieder, heute hat er 550“, sagt er nicht ohne Stolz. Für Grüner, der davor nie in einem Verein tätig gewesen war, ist damals eines klar gewesen: „Wenn wir das machen, dann richtig professionell.“ Ohne Grüners Mitarbeit hätte sich das Zentrum wohl nie so rasch entwickelt. Er war zunächst Vorsitzender, später Aufsichtsratssprecher des Kulturvereins: „Kein anderes Kulturzentrum hat so viele Mitglieder wie wir, die ehrenamtlich mitarbeiten.“

Um das franz. K finanziell besser abzusichern, trat Grüner den Marsch durch die Institutionen an. Er führte Gespräche mit allen Fraktionen und warb unermüdlich für mehr Zuschüsse. Gleichzeitig wurden Spenden akquiriert. Auf jeden Euro, der eingeht, legt das Land einen weiteren drauf. Das erklärte Ziel war es von Anfang an, den Beschäftigten möglichst einen Stundenlohn zu bezahlen, der an den Tarif des Öffentlichen Diensts angelehnt ist. Ein Ziel, das nach 12 Jahren fast erreicht ist.

Sein letzter großer Coup war eine neue tragfähige Satzung, die gleichzeitig die Struktur des Zentrums veränderte. Anregungen holte der Förderverein bei anderen soziokulturellen Zentren. Grüner: „Das ‚Tollhaus‘ in Karlsruhe hat Pate gestanden.“ Schließlich entmachtete sich der Trägerverein quasi selbst: Die neue Satzung, die im März 2017 einstimmig verabschiedet wurde, siedelt künftig die Verantwortung dort an, wo sie ohnehin liegen sollte – bei den hauptamtlichen Geschäftsführern.

Davor haftete der ehrenamtliche Vereinsvorstand für die Geschäfte des soziokulturellen Zentrums – teils mit dem Privatvermögen. Trotzdem, betont Grüner, sei das neue Konstrukt durchlässig für Impulse und Ideen der Mitarbeiter und Ehrenamtlichen. Wie bisher sollen Dinge nicht von oben diktiert, sondern ausdiskutiert werden: „Wir haben da viel Hirnschmalz reingesteckt.“

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Erstellt:
11.10.2020, 17:22 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 16sec
zuletzt aktualisiert: 11.10.2020, 17:22 Uhr

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