Einen Nerv getroffen

Karin Zäh, Klaus Kupke und das Reutlinger Genossenschaftskino Kamino

Seit bald einem Jahr hat Reutlingen das Programmkino Kamino. Karin Zäh und Klaus Kupke vom Vorstand erzählen im TAGBLATT-Gespräch, wie die Idee zur Genossenschaft aufkam und bald zum Selbstläufer wurde.

06.08.2016

Von Matthias Reichert

Karin Zäh, Klaus Kupke und das Reutlinger Genossenschaftskino Kamino

Reutlingen/Tübingen. Die Idee zum Reutlinger Genossenschaftskino ist im Herbst 2012 entstanden. Zwei Leute trafen sich, redeten und sagten: Wir sollten es selber machen. Die beiden Leute waren Event-Organisatorin Karin Zäh und Andreas Vogt vom städtischen Kulturamt. Die Idee zog Kreise, und „dann waren wir auf dem Weg und konnten nicht mehr zurück“, erinnert sich Zäh.

Als im Dezember 2013 die Gründungversammlung zur Genossenschaft bevorstand, machten Zäh und Mitstreiter die Gründung vom Zulauf abhängig. „Bei weniger als 200 hätten wir es nicht gemacht.“ Dann kamen 350 potenzielle Genossen – und der Rest ist Geschichte.

Im September 2015 hat das Kamino im Wendler-Areal eröffnete. Mittlerweile hat die Genossenschaft 811 Genossen, die 983 Anteile à 200 Euro gezeichnet haben. Es brauchte aber einige Vorbereitungen, bis die Rechtsform klar und der Standort gefunden war. Zäh, Klaus Kupke und ihre Mitstreiter hatten auch die alte Heinzelmann-Fabrik in der Planie sowie die Maschinenfabrik Wagner am Friedhof Unter den Linden in Betracht gezogen. Auch auf dem Wendler-Areal wollten sie eigentlich zunächst an einen anderen Platz – direkt unter den alten Kamin, der dem Kino seinen Namen gab.

Für die Grundidee aber haben sie die Wendler-Gesellschafter bei deren Versammlung begeistert. Und dann ging die Arbeit erst richtig los. Die Räume wurden umgebaut, bei den Kosten schafften die Handwerker mit 388 000 Euro eine Punktlandung zum geplanten Betrag. Mehr als die Hälfte hat die Genossenschaft durch die gezeichneten Anteile als Eigenkapital finanziert – davon können andere Bauherren nur träumen.

Manchmal lässt Zäh die Ereignisse in Gedanken Revue passieren. Dann sagt sie: „Wir haben uns wirklich was getraut.“ Der große Zuspruch der Reutlinger zeige, dass die Genossen in der Stadt einen Nerv getroffen hätten. Zuvor gab es nur noch das Cineplex Planie, dessen Konkurrenz das Kamino bis heute immer wieder zu spüren bekommt. „Ein Multiplex ist eine Macht“, so Zäh – die teils auch Arthouse-Filme zeigt und zudem flexibler neue Filme ins Programm nehmen kann als das Kamino, dessen Fachausschuss das Programm einen ganzen Monat im voraus festlegt.

Dabei wird immer wieder der Spagat zwischen anspruchsvollen Filmen und kassenwirksamen Mainstream zum Diskussionsthema. Der Hauptfilm läuft im Kamino zwei Wochen – und wenn dann zu wenig Besucher kommen, bringt das so ein kleines Kino in Existenznöte. Das Kamino bekommt außerdem längst nicht alle Filme, die es gerne zeigen würde. Manche laufen nur im Jugendfilmklub, der im Planie-Center geblieben ist. Dennoch, sagen Zäh und Kupke, kennen inzwischen viele Verleiher das neue Programmkino. Die Konkurrenz zum Platzhirsch Planie werde aber weiter ein Thema bleiben – das sei in anderen Städten nicht anders.

Nach knapp einem Jahr sind schon fast 19 000 Besucher ins Kamino geströmt. Im August ist Sommerpause – auch, um dem Reutlinger Sommer-Open-Air-Kino im Spitalhof keine Konkurrenz zu machen, das von Kupke mitorganisiert wird. Laut Wirtschaftsgutachten kann das Kamino mit 15 000 Besuchern im Jahr existieren. Gut wären 18 000 – und Potenzial bestehe für bis zu 20 000. Dass das Kamino den Tübinger Programmkinos viele Zuschauer wegnimmt, glauben Zäh und Kupke nicht. Das seien höchstens Reutlinger, die nun nicht mehr nach Tübingen ins Kino gehen würden. Für alle Fälle nehmen die Genossen Filme aus dem Tübinger Verleih von Stefan Paul mit ins Programm, um einen Ausgleich zu schaffen. Und sie machen auch keine Werbung in der Nachbarstadt.

Das Publikum in der Studentenstadt sei jünger. In Reutlingen kommen die jungen Leute vor allem in die Spätvorstellungen – dafür dann zum Teil bis aus Freiburg. 120 Ehrenamtliche hat das Kamino im Stamm für die „Abendregie“, wie die Vorführ-Dienste genannt werden. Einzelne helfen ständig mit. „Wenn wir die nicht hätten, wüssten wir gar nicht, wie wir den Betrieb aufrechterhalten sollten“, sagt Klaus Kupke. 54 Kräfte pro Woche braucht das Kino dafür – deshalb sucht der Vorstand ständig neue Ehrenamtliche.

Jetzt beginnen die

Mühen der Ebene

Anfangs hatte der Vorstand drei Mitglieder, inzwischen sind es fünf. „Jetzt kommen nach dem steilen Aufstieg die Mühen der Ebene“, sagt Kupke. Die Organisation des Verleihs, der Genossenschaft, die Buchführung und, und, und beschäftigen Zäh als ehrenamtliche Leiterin der Geschäftsstelle mehr, als ihr lieb ist. Irgendwann würde der Vorstand gerne eine hauptamtliche Geschäftsführerin einstellen. Auch, um mehr Matineen und Sondervorführungen organisieren zu können. Ehrenamtlich sei der Betrieb auf lange Sicht nicht aufrechtzuhalten, sagen Zäh und Kupke.

Für den Doppelhaushalt 2017/18 hat das Kamino 18 000 Euro im Jahr als Mietzuschuss bei der Stadt beantragt. Im vorigen Etat wurde das abgelehnt. Nun hoffen die Genossen im zweiten Anlauf auf Anerkennung für ihre Arbeit. Auf den beantragten Zuschuss von der Deutschen Filmförderungsanstalt wartet das Kamino weiter – wie berichtet, bezuschusst diese lieber das Planie-Center. Mittlerweile denken die Genossen dennoch schon über einen zweiten Saal nach. „Wenn das so weiterläuft, wird das sicher ein Thema“, sagt Zäh. „Aber erst einmal müssen wir unsere Schulden abzahlen.“

Zur Person

Karin Zäh · Kamino-Vorstandsmitglied

1943 in Stettin geboren, wuchs in Köln auf

1963-68 Ausbildung und Tätigkeit als Krankenschwester im Ruhrgebiet

bis 1971 USA-Aufenthalt

1975 Abitur am Ruhr-Kolleg Essen

anschließend Studium der Sozialwissenschaft in Bochum

seit 1980 Vorstandstätigkeiten in Organisationen zur Integration von Kindern mit Behinderungen auf Stadt-, Landes- und Bundesebene

seit 1984 wohnhaft in Reutlingen

1985 bis 2004 SPD-Stadt- und Kreisrätin

2004 Ausbildung zur Kultur- und Eventmanagerin, „Dekart“-Akademie der VHS

seit 2004 Organisation Neigschmeckt-Markt und weiterer Kulturevents

Mitglied in Kulturvereinen sowie der Oststadt-Initiative Ilos

Verheiratet, zwei Söhne

Klaus Kupke · Kamino-Vorstandsmitglied

1956 in Schwäbisch Hall geboren

1978/79 Ausbildung zum staatlich geprüften Masseur und medizinischen Bademeister

1979-82 Studium Sport und Deutsch an der PH Schwäbisch Gmünd

1982-86 Studium der Sozialpädagogik an der FH Reutlingen, Diplomabschluss

ab 1984 am Theater Lindenhof – als Beleuchter, Schauspieler, im Vereinsvorstand und bis heute im Stiftungsrat

1986-88 Sozialpädagoge beim Spielmobil in Rottenburg

seit 1991 im städtischen Reutlinger Amt für Schule, Jugend und Sport, mittlerweile als Sachgebietsleiter in der Kinder-, Jugend- und Kulturarbeit

Kupke ist Mitorganisator des Reutlinger Open-Air-Sommerkinos

Verheiratet, zwei Kinder