Stuttgart

Kann der Junge das noch drehen?

CDU-Kandidat Frank Nopper geht als Favorit in den entscheidenden Wahlgang um den Posten des Oberbürgermeisters, aber ein Polityoungster könnte ihm noch gefährlich werden.

27.11.2020

Von ROLAND MUSCHEL

Im Straßenwahlkampf unterwegs: Frank Nopper (CDU). Foto: Arnulf Hettrich/Imago

Im Straßenwahlkampf unterwegs: Frank Nopper (CDU). Foto: Arnulf Hettrich/Imago

Stuttgart. Mittagszeit, Wochenmarkt im Stuttgarter Stadtteil Vaihingen. Zwischen den Gemüseständen verteilt Frank Nopper (59) Wahlbroschüren und kleine Riegel, garniert mit dem Spruch „ein Knopper vom Nopper“. Eine Dame, Broschüre einer Bürgerinitiative unterm Arm, geht auf den CDU-Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters in der Landeshauptstadt zu, um ihr Anliegen vorzubringen: „Wenn Sie OB in Stuttgart sind, dann...“ Sofort unterbricht Nopper die potenzielle Wählerin mit einer Warnung: „Die Messe ist noch nicht gelesen!“ Noch sei nichts entschieden, jede Stimme wichtig. Es ist, so kurz vor dem entscheidenden Wahlgang an diesem Sonntag, seine vielleicht wichtigste Botschaft.

Beim ersten Versuch am 8. November hatte kein Bewerber die im ersten Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen können. Aber mit 31,8 Prozent lag Nopper, seit 18 Jahren OB in der 38?000-Einwohnerstadt Backnang vor den Toren Stuttgarts, deutlich vor der Grünen-Kandidatin Veronika Kienzle (17,2 Prozent), dem als parteiunabhängigem Bewerber antretenden Sozialdemokraten Marian Schreier (15 Prozent), dem Stadtratschef des Linksbündnisses SÖS-Linke-Plus Hannes Rockenbauch (14 Prozent) und dem offiziellen SPD-Kandidaten Martin Körner (9,8 Prozent). Als Favorit geht der CDU-Mann auch deshalb in den entscheidenden zweiten Wahlgang, weil es der ehrenamtlichen Bezirksbürgermeisterin Kienzle nicht gelang, die weiteren Bewerber aus dem Mitte-Links-Spektrum nach dem ersten Wahlgang hinter ihrer Kandidatur zu versammeln. Kienzle gab schließlich genervt auf, Parteifreunde klagten über „Hahnenkämpfe“ – und die Kandidatin a.D. darüber, dass Nopper ohne Einheit im öko-sozialen Lager kaum noch zu stoppen sei. Die achtjährige Amtszeit des scheidenden OB Fritz Kuhn, der mit Verweis auf seine 65 Jahre nicht mehr angetreten war, bleibt jedenfalls eine grüne Episode in einer Stadt, in der die Grünen auch die stärkste Fraktion im Rathaus und alle vier direkt gewählten Landtagsabgeordneten stellen.

Schreier (30) und Rockenbauch (40) sind dagegen weiter im Rennen – und sich spätestens seit der gescheiterten Absprache in herzlicher Abneigung verbunden. Reelle Chancen, Nopper auf den letzten Metern noch zu stoppen, dürfte aber allein Schreier haben.

Vor der Herzog-von-Württemberg-Statue am Schlossplatz, dem zentralen Ort in der Stuttgarter City, bauen Schreier und sein Team ihr mobiles Wahlkampfset auf: fünf Klappstühle, ein kleines Pult, eine Lautsprecherbox, ein Plakat mit dem Konterfei des Kandidaten vor pinkfarbenem Hintergrund – und mit dem Spruch, der Vorbehalte gegen sein Alter kontern soll: „Der Junge kann das“. Schreier legt mit einer Standardrede los, 30 Minuten, dann folgen Fragen aus dem Publikum. Sein erster Satz lautet: „Die wichtigste Botschaft: Es ist noch nichts entschieden.“ Die Gefahr, vor der Nopper seine Wähler warnt, ist für den Verfolger eine Verheißung.

Schreier, seit 2015 Bürgermeister der 4700-Seelen-Gemeinde Tengen (Kreis Konstanz), hatte mit vielen Nebengeräuschen zu kämpfen. Erst gab es Überlegungen der SPD, ihn wegen seiner eigenmächtigen Kandidatur aus der Partei zu werfen; dann die Kritik der Grünen, schließlich unbewiesene Unterstellungen bezüglich seiner Wahlkampffinanzierung und Beschädigungen seines Autos.

Nun aber, kurz vor der Entscheidung, ist er frohen Mutes. Zwei neue Stimmungsbilder, eines von der Universität Hohenheim, eines vom Berliner Online-Portal wahlkreisprognose.de, sind im Umlauf. Eines sieht Nopper in der Wählergunst recht deutlich vor Schreier, den aber wiederum recht deutlich vor Rockenbauch. Das andere sieht nur noch einen kleinen Vorsprung des CDU-Kandidaten vor seinem stärksten Verfolger. Für Schreier zählt, dass sich mit den neuen Zahlen seine Botschaft untermauern lässt: Alles ist möglich – und wem es nur darum geht, den CDU-Kandidaten zu verhindern, hat mit ihm die besseren Chancen. Schreier, zu Karrierebeginn Redenschreiber des früheren SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, sucht daher die Zuspitzung. Stuttgart habe jetzt die „Wahl zwischen Aufbruch und Rückschritt“, sagt er auf dem Weg zum nächsten Wahlkampf-Standort. In allen 23 Bezirken zeigt Schreier noch einmal Präsenz. Auch im Internet, dem Spielfeld, das er von allen Kandidaten am besten bespielt und das unter den Corona-Bedingungen weiter an Bedeutung gewonnen hat, erhöht er die Schlagzahl. In seinen Reden sagt er häufig: „Da müssen wir besser werden.“ Er will Aufbruch vermitteln, etwa mit der Forderung nach einer Digitalisierung der Serviceleistungen für die Bürger, nach einer aktiveren Wohnungsmarktpolitik der Stadt oder dem Versprechen, Stuttgart zur Modellstadt für nachhaltige Mobilität zu machen.

Sein Wahlkampf im Stile eines Internet-Start-up-Unternehmers erinnert ein wenig an den von Martin Horn in Freiburg, der 2018 als parteiunabhängiger Kandidat für viele überraschend gegen den grünen Amtsinhaber Dieter Salomon gewann. Möglicherweise hatte Schreier darauf spekuliert, dass der in Stuttgart nur noch mäßig beliebte Kuhn für eine zweite Amtszeit kandidiert. Nun versucht er, den Stillstand, den viele Wähler mit Kuhns Amtszeit verknüpfen, auf den CDU-Kandidaten zu projizieren.

Nopper weiß das natürlich, auch er bespielt noch einmal die Marktplätze aller Stadtbezirke. Er ist ein Politiker, der stark vom direkten Kontakt mit den Bürgern lebt. Seine Fähigkeit, auf Menschen zugehen, kann er mit Maske und Abstandsgebot indes nur bedingt ausspielen. Sein Argument, dass jetzt OB-Erfahrung zählte, hat im ersten Wahlgang gezogen – wie auch seine positive Positionierung zum Auto und die Betonung der Aspekte Sicherheit und Sauberkeit. Im Endspurt will er zusätzlich stark auf die Gesamtverantwortung eines OB abheben, der für eine florierende Wirtschaft wie auch für den Klimaschutz zuständig sei.

Er erzählt von der Begegnung mit einem Fahrradhändler, die gut zu seinem Ansatz passt. Der Mann habe ihm gesagt, man brauche beides, Rad und Auto. „Wer gutes Geld beim Daimler verdient, kauft auch ein ordentliches Rad.“

Hannes Rockenbauch ist Kandidat der Wahlinitiative SÖS. Foto: Margrit Honeker

Hannes Rockenbauch ist Kandidat der Wahlinitiative SÖS. Foto: Margrit Honeker

Kampagne im Stil eines Internet-Start-Ups: Marian Schreier (SPD). Foto: Tom Weller/dpa

Kampagne im Stil eines Internet-Start-Ups: Marian Schreier (SPD). Foto: Tom Weller/dpa

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Erstellt:
27.11.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 48sec
zuletzt aktualisiert: 27.11.2020, 06:00 Uhr

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