Tübingen · Paläoanthropologie

Kaninchen auf dem Speiseplan

Eine Eiszeit trieb Menschen vor 27000 Jahren nach Südeuropa. Tübinger Forscher konnten jetzt rekonstruieren, wovon sie sich ernährten. Selbst in Küstenregionen wurde damals kaum gefischt.

29.04.2021

Von ST

Bei der Ausgrabung in Serinyà wurden im Jahr 2014 menschliche Fossilien entdeckt.Bild: Joaquim Soler

Bei der Ausgrabung in Serinyà wurden im Jahr 2014 menschliche Fossilien entdeckt.Bild: Joaquim Soler

Fisch ist ziemlich gesund, nicht nur wegen der Omega 3-Fettsäuren, doch das wussten die Menschen, die vor 27 000 Jahren auf der iberischen Halbinsel offenbar noch nicht. Zur Überraschung der Forscher vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Uni Tübingen, stand Fisch jedenfalls nicht auf dem Speiseplan der Jäger und Sammler im damaligen Südeuropa. Stattdessen ernährten sich die Vorläufer der Spanier und Portugiesen in der Periode des späten Gravettien von Pflanzen und Landtieren wie Hasen, Rotwild oder Pferden. Dies konnten die Forscher um Dorothée Drucker aus Tübingen und Joaquim Soler von der Universität Girona jetzt anhand einer Isotopenstudie an menschlichen Fossilien aus den Höhlen von Serinya in Katalonien nachvollziehen.

Rückzug in südliche Regionen

In der kulturellen Periode des Gravettien (33 000 bis 25 000 Jahre vor heute) ernährten sich die Jäger und Sammler entsprechend den lokalen Umweltbedingungen: Stand in Mitteleuropa das Mammut auf dem Speiseplan, so waren es in Großbritannien Pferd und Rentier; an der französischen und italienischen Mittelmeerküste wurden Meerestiere verspeist. Im letzten glazialen Maximum (27 000 bis 23 000 Jahre vor heute) zwang das sehr kalte und trockene Klima die Menschen zum Rückzug in südliche Regionen. Besonders die iberische, italienische und griechische Halbinsel wurden verstärkt besiedelt.

Die Fossilien von insgesamt vier Menschen aus dem spanischen Serinyà blieben lange Zeit unerforscht, da es Zweifel an ihrem Alter gab. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Girona datierten sie nun mit der Radiokarbonmethode auf ein Alter von 25 000 bis 27 000 Jahren. Das sehr gut erhaltene Kollagen aus den Knochen ermöglichte eine Isotopenanalyse am SHEP in Tübingen. Mit solchen Analysen lässt sich feststellen, woraus sich die Nahrung der untersuchten Menschen im Wesentlichen zusammensetzte.

Erstmals kombinierte das Forschungsteam dies zusätzlich mit einer neuen Methode: In Zusammenarbeit mit Yuichi Naito von der Nagoya Universität in Japan löste es einzelne Aminosäuren aus dem Kollagen und analysierte deren Isotopenzusammensetzung. Dies habe ermöglicht, noch detaillierter nachzuvollziehen, ob die Ernährung der steinzeitlichen Menschen auf pflanzlichen Proteinen, Fleisch oder Fisch basierte, und auch, welche Tiere genau verzehrt wurden.

Fische wurden kaum verzehrt

Nach den Ergebnissen basierte die Ernährung auf terrestrischen Ressourcen, also Pflanzen und Landtieren aus der Region, verspeist wurden insbesondere kleine Beutetiere wie Kaninchen. Die Aminosäure-Isotopen bestätigen, dass Fische kaum verzehrt wurden. Bislang hatte man angenommen, dass Menschen in der klimatisch harten Zeit auf Nahrung aus Gewässern angewiesen waren. „Offensichtlich wurde nur in einigen wenigen Populationen dieser Zeit gefischt,“ kommentierte Dorothée Drucker das Ergebnis, „sogar in Küstenregionen.“ Die terrestrische Umwelt sei offenbar auch in diesem kalten Klima produktiv genug gewesen, um die Menschen zu ernähren.

Der Einfluss der Umwelt auf die Evolution des Menschen

Das Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (SHEP) wurde im Oktober 2009 an der Eberhard Karls Universität Tübingen gegründet. Im Mai 2017 wurde es als Institut der Leibniz-Gemeinschaft bestätigt. Das SHEP-Tübingen befasst sich neben verschiedenen Aspekten der biologischen und kulturellen Evolution der Menschen und der Menschenaffen, auch mit der Klima- und Umweltentwicklung während des gesamten Känozoikums. Die Forschung des SHEP geht von der Annahme aus, dass die biologische und auch die frühe kulturelle Evolution der Menschen und ihrer Vorfahren wesentlich von Änderungen der Paläo-Umwelt und des Paläo-Klimas beeinflusst wurden.