Windkraft

Kampf ums Postkartenmotiv

Wegen des Denkmalschutzes sind einige Projekte im Land gestoppt worden. Doch die Entscheidungen sind umstritten. Im Fall Schloss Lichtenstein (Kreis Reutlingen) zieht erstmals eine Firma vor Gericht.

10.06.2017

Von MADELEINE WEGNER

Windräder am Horizont: So könnte das Panorama des Schlosses Lichtenstein vom Aussichtspunkt Locherstein aussehen. Foto: Computersimulation: Sowitec

Windräder am Horizont: So könnte das Panorama des Schlosses Lichtenstein vom Aussichtspunkt Locherstein aussehen. Foto: Computersimulation: Sowitec

Lichtenstein. Es ist eine lange Geschichte. Seit 2014 läuft das Genehmigungsverfahren für fünf Windräder in der Nähe des Schlosses Lichtenstein am Albtrauf. Die Firma Sowitec, die in Sonnenbühl (Landkreis Reutlingen) ihren Sitz hat, will in drei Kilometer Entfernung zu dem markanten Bauwerk und beliebten Ausflugsziel einen Windpark bauen. Das Reutlinger Landratsamt hatte im November 2016 nach diversen Gutachten, Begehungen und Anhörungen die geplanten Windräder abgelehnt – aus Gründen des Denkmalschutzes. Sowitec legte Widerspruch ein. Doch auch das Regierungspräsidium Tübingen unterstützte die Entscheidung. Nun hat die Firma Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen eingelegt.

Beeinträchtigen Windräder in mehreren Kilometern Entfernung ein Schloss-Idyll? Können Debatten um „Sichtachsen“ und „Landschaftserleben“ die Energiewende ausbremsen? Sowitec will diese Fragen geklärt wissen. „Es gibt generell nicht so viele geeignete Standorte in der Region“, sagt Andreas Wagner, bei Sowitec für die Projektentwicklung Deutschland zuständig. Das Gebiet sei relativ zersiedelt, der Hohfleck jedoch liegt über zwei Kilometer von einer Wohnbebauung entfernt. „Wir haben eine herausragende Windsituation dort“, sagt Wagner. Doch er weiß um das „hohe Konfliktpotenzial auf der Alb“. Die Firma, die mittlerweile überwiegend im Ausland Windparks baut, hatte 1995 Rotoren auf dem Melchinger Himmelberg aufgestellt – gegen erheblichen Widerstand. Lautstarke Bürgerproteste begleiten auch jetzt die Pläne um die Räder am Hohfleck.

„Rettet den Lichtenstein“ steht auf einer selbst gestalteten Briefmarke der Interessengemeinschaft Natur-, Arten- und Denkmalschutz. Sie hatte zum Protest gegen das Projekt aufgerufen und Unterschriften gesammelt. Rund 18?500 Einwendungen gingen beim Reutlinger Landratsamt ein. Während der Unterschriften-Aktion ließ der Hausherr Wilhelm von Urach Flagge hissen: „Keine Windräder beim Schloss!“

Die Windräder verschandeln den Blick auf das Schloss, so die Meinung der Kritiker. Diese Haltung vertritt auch das Landesdenkmalamt. Laut Gutachten geht es dabei vor allem um zwei Sichtachsen: Der Blick vom Ort Holzelfingen aus wäre gestört ebenso wie vom historisch wichtigen Hauptwanderweg des Albvereins gegenüber des Schlosses. Diese Ausblicke seien schon vom Baumeister Carl Alexander Heidloff Mitte des 19. Jahrhunderts so geplant gewesen. „Das ist ein altes Landschaftserleben, das dort inszeniert wurde“, sagt Martin Hahn vom Landesdenkmalamt. Das Schloss selbst bezeichnet er als „das schwäbische Neuschwanstein“. Es zähle zu den bedeutendsten Werken des romantischen Bauens in Süddeutschland. Sichtbeziehungen, Schloss und Landschaftsbild seien als Gesamtkunstwerk konzipiert, das durch die Windräder gestört würde.

Strom für über 9000 Haushalte

Deren Rotoren mit einem Durchmesser von 126 Metern sollen sich laut Sowitec-Plänen auf einer Nabenhöhe von 137 Metern drehen – in drei Kilometer Entfernung zum Schloss. Sie könnten über 9000 Haushalte mit Strom versorgen.

Das Schloss Lichtenstein ist nicht der einzige Punkt, an dem Windkraft und Denkmalbelange kollidieren. Im Lonetal geht es sogar ums Unesco-Weltkulturerbe: Die Höhlen, in denen Eiszeitkunst gefunden wurden, sollen Kulturerbe werden. Ein geplanter ENBW-Windpark bei Öllingen (Alb-Donau-Kreis) wurde deshalb gestoppt. Obwohl Höhlen generell unterirdisch sind, störten Rotoren das landschaftliche Gesamt-Ensemble, argumentiert das Landesdenkmalamt. Eine Ansicht, die vor Ort für Kopfschütteln sorgt, schließlich wurde der Standort in einem langen Regionalplanverfahren als rechtskräftige Vorrangfläche ausgewiesen.

Auch die Ablehnung des Windparks am Albtrauf findet nicht jeder sinnvoll. „Wenn die bei Sowitec eingestellten Simulationen realistisch sind, ist die Beeinträchtigung des Lichtensteins minimal“, hieß es in einem Schreiben des Wandervereins „Die Naturfreunde“ an den Landrat. Neun Ortsgruppen hatten sich für eine wohlwollende Prüfung ausgesprochen. Wagner von der Firma Sowitec sagt, es werde kein „Postkartenmotiv“ gestört durch die Windkraftanlagen. Sie seien zusammen mit dem Schloss nur von ausgewählten Standorten aus zu sehen: „Der durchschnittliche Beobachter wird in keiner Art und Weise bei seinem Besuch des Schlosses eingeschränkt.“ Nun muss das Verwaltungsgericht Sigmaringen entscheiden. Mit einer Entscheidung ist frühestens im nächsten Jahr zu rechnen.

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Erstellt:
10.06.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 54sec
zuletzt aktualisiert: 10.06.2017, 06:00 Uhr

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