Ballett

Kaderschmiede mit Aussicht

Die Stuttgarter John-Cranko-Schule besteht seit 50 Jahren und feiert zugleich ihr schönstes Geburtstagsgeschenk – den Neubau in der Innenstadt.

01.12.2021

Von Wilhelm Triebold

Schülerinnen und Schüler proben für die Gala „50 Jahre John-Cranko-Schule“ am Mittwoch im Opernhaus.  Fotos: Roman Novitzky

Schülerinnen und Schüler proben für die Gala „50 Jahre John-Cranko-Schule“ am Mittwoch im Opernhaus. Fotos: Roman Novitzky

Stuttgart. Sie ist zwar nicht die Älteste unter den „Big Five“ der staatlichen Tanz- und Ballettschulen Deutschlands. Aber mittlerweile wohl die Arrivierteste. Nach Berlin, München und Dresden (aber noch vor Hamburg, wo von Stuttgart kommend John Neumeier nachzog) leistete sich die baden-württembergische Landeshauptstadt vor genau 50 Jahren mit der ans Staatstheater angedockten Ballettschule eine kontinuierliche, akademische Ausbildungsstätte für den Tanz – von der Grundausbildung bis zum Berufsabschluss. Die beiden sogenannte „Theaterklassen“ erreichten schon kurze Zeit später den Status einer Berufsfachschule. Stuttgart war somit die einzige Ballettschule dieses Zuschnitts, die damals bundesweit eine komplette Ausbildung im klassischen Tanz mit staatlichem Diplom-Abschluss ermöglichte.

Am Mittwoch feiert die John-Cranko-Schule das Jubiläum mit einer festlichen Gala im Opernhaus. Der Name verweist auf die treibende Kraft hinter diesem nicht zu unterschätzenden Bestandteil des gepriesenen „Stuttgarter Ballettwunders“. John Cranko schuf als Direktor und als Choreograph das Fundament für die künstlerischen Höhenflüge des Ensembles, wusste aber bald, wie notwendig eine eigene Kaderschmiede sein würde, um hauseigenen Nachwuchs zu rekrutieren.

Allerdings vergingen zehn Jahre, bis im September 1971 die ersten Ballettstunden der Stuttgarter Neugründung gegeben wurden. Dazu war im Stuttgarter Osten das aufgegebene Druckhaus des Schwabenverlags hergerichtet worden. Die Leitung der Schule übernahm mit der Ex-Primaballerina Anne Woolliams eine Cranko-Getreue, von der Stuttgarts damaliger Generalintendant Walter Erich Schäfer meinte, wenn der Ballettchef den Kopf und Marcia Haydée das Herz des „Ballettkörpers“ darstelle, dann sei Woolliams „das Rückgrat“.

Die Berufung der engen Vertrauten zeigt vor allem, wie wichtig der Ballettleitung diese Art von frischer Blutzufuhr für den zunehmend stark beanspruchten Corpus aus Solisten und Compagniemitgliedern erschien. Die Qualitätsanforderungen waren auch in der Schule von Anbeginn an enorm, und viele dankten es dem Lehrbetrieb, indem sie dem Haus hinterher treu verbunden blieben. Nach wie vor sind rund drei Viertel des Ensembles durch die strenge professionelle Stuttgarter Schule gegangen, sind Absolventen beziehungsweise Alumni der Jahrgangsklassen.

Außenansicht der neuen John-Cranko-Schule an der Werastraße.

Außenansicht der neuen John-Cranko-Schule an der Werastraße.

Die Schule bekam kurz nach Crankos überraschendem Tod im Jahr 1973 den jetzigen Namen und ein wenig später mit dem ehemaligen Spitzentänzer Heinz Clauss einen neuen Leiter. Es war die Zeit des unsteten Kurssuchens, bevor Marcia Haydée und nach ihr Reid Anderson den Stuttgarter Ballettdampfer wieder flottmachten und voranbrachten. Vor allem Anderson kämpfte dann während seiner Intendanz aufopferungsvoll um die räumliche Neuausrichtung der Schule, der das alte Gemäuer im Osten längst zu eng und klein wurde.

Der Standort für den Neubau, der vor zwölf Jahren der Stadt abgerungen wurde, liegt einen Steinwurf von den beiden Hauptspielstätten Opern- und Schauspielhaus entfernt. Die Hanglage an der Werastraße war eine planerische Herausforderung, die zwar die Baukosten auf 60 Millionen Euro hochtrieb, die aber von dem Münchner Architekturbüro Burger Rudacs dank einer geschickten Staffelung über fünf Etagen geschickt gelöst wurde. Es entstand ein sehr lichtes und ansehnliches Gebäude, das von oben wiederum einen phantastischen Blick hinab in den Stuttgarter Kessel bietet.

Uraufführung des Haustänzers

Zuerst der schmucke Schulneubau, der vor kurzem eingeweiht wurde, dann die John-Cranko-Stiftung, die Vorkämpfer Anderson neulich mitbegründet hat, und nun eine Festgala – das Stuttgarter Ballett kommt aus dem Feiern kaum mehr heraus. Die Gala am Mittwoch im Opernhaus bringt neben Kurzchoreographien von Cranko bis Volpi auch eine Arbeit der 17-jährigen Schülerin Alice McArthur, die gerade erst mit der „Genée Gold Medal“ des internationalen Margot-Fontayn-Wettbwerbs bedacht worden war, und eine Uraufführung, die Haustänzer Alessandro Giaquinto eigens für den Anlass verfertigt hat.

Viel Platz und zwei Preise

Die John-Cranko-Schule wird seit 1999 von Tadeusz Matacz geleitet, der demnächst seinen Vorgänger Alex Ursuliak an Dienstjahren eingeholt haben wird. Im neuen Bau gibt es auf 6100 Quadratmetern acht Ballettsäle, eine Probebühne und ein Internat für bis zu 82 Schülerinnen und Schüler, das sind mehr als doppelt so viele wie zuvor. Der Schulneubau hat eben erst zwei Auszeichnungen eingeheimst: den renommierten Hugo-Häring-Landespreis und den IWS Immobilien-Award in der Kategorie „Sondernutzung“.

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Erstellt:
01.12.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 02sec
zuletzt aktualisiert: 01.12.2021, 06:00 Uhr

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