Hechinger Mordprozess: Mord durch Mord vergelten?

Junge Männer aus dem Umfeld des Opfers wollten offenbar Angehörige der Todesschützen leiden sehen

Bereitschaftspolizei, Drohgebärden, Waffen-Checks, Handy-Verbot: Die Atmosphäre im Gerichtssaal war mitunter zum Zerreißen gespannt, als im vergangenen Jahr ein langwieriger Prozess den Mord an dem jungen Umut K. in Hechingen aufarbeitete.

23.02.2018

Von Eike Freese

Ein gerahmtes Foto im Schnee, eine einzelne Kerze: Das ist geblieben vom jungen Bisinger Umut K., der im Dezember 2016 an der Hechinger Staig erschossen wurde. Bekannte und Angehörige des Opfers hatten ein Jahr lang am Tatort einen riesigen Platz des Gedenkens eingerichtet. Zwei Männern aus diesem Umfeld wird derzeit vorgeworfen, dass sie die Vergeltung für den Tod des beliebten Freundes selbst in die Hand nehmen wollten. Bild: Freese

Ein gerahmtes Foto im Schnee, eine einzelne Kerze: Das ist geblieben vom jungen Bisinger Umut K., der im Dezember 2016 an der Hechinger Staig erschossen wurde. Bekannte und Angehörige des Opfers hatten ein Jahr lang am Tatort einen riesigen Platz des Gedenkens eingerichtet. Zwei Männern aus diesem Umfeld wird derzeit vorgeworfen, dass sie die Vergeltung für den Tod des beliebten Freundes selbst in die Hand nehmen wollten. Bild: Freese

Der 22-Jährige war in einer Dezembernacht 2016 mitten in der Stadt aus einem fahrenden Auto heraus von zwei Italienern über den Haufen geschossen worden. Drogengeschäfte – doch Umut war an denen wohl nur am Rande beteiligt.

Zu den Prozess-Terminen sechs Monate später waren Dutzende von Freunden und Angehörigen des Opfers gepilgert. Sie ließen sich von Beamten abtasten, um dann in uniformen schwarzen „Umut“-T-Shirts durchaus kämpferische Geschlossenheit im Zuschauerraum zu demonstrieren. Angeklagt damals: drei Dealer aus Italien. Alle drei sitzen mittlerweile im Knast (siehe Info-Box).

Dass das Urteil so lauten würde, war zu Prozessbeginn nicht klar. Und ein junger Mann aus der Familie des Opfers, jünger noch als Umut, traute der Justiz offenbar sowieso nicht zu, die Tat angemessen zu vergelten: Der damals 20-Jährige, so die Staatsanwaltschaft, soll versucht haben, irgendwie und irgendwo Waffen zu besorgen, um die Täter oder ihre Angehörigen zu treffen. In die Tat setzte er die Rachepläne offenbar in dem Moment in Gang, in dem er in der Verhandlung die Identitäten der Mörder erfahren konnte.

Hohe Sicherheitsvorkehrungen

Auch den neuerlichen Prozess leitet Landgerichts-Vize Hannes Breucker, der auch den Aufsehen erregenden Hauptprozess unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen abschloss. Inzwischen hat die Große Jugendstrafkammer des Landgerichts zahlreiche Zeugen vernommen und Indizien gesammelt, um den Vorwurf der Verabredung zum Mord, des Erwerbs von Kriegswaffen, der Bedrohung und weiterer Taten zu prüfen – und ob bei einer Verurteilung möglicherweise Jugendstrafrecht anzuwenden ist.

Aus Rachedurst soll der 20-Jährige während der Verhandlungspausen Kontakt zu einem 23-jährigen Freund des Opfers aufgenommen haben. Der sitzt nun ebenfalls auf der Anklagebank und soll versucht haben, über einen Waffenhändler für sich und den Jüngeren an Waffen zu kommen. Ein Sturmgewehr Marke Kalaschnikow und ein Handgranate – so in etwa hatten sich die beiden jungen Männer ihr künftiges Arsenal vorgestellt, sagt die Anklage.

Während der Prozess bereits lief, sollen die beiden über die Identitäten möglicher Rache-Opfer aus dem Kreis der Täter recherchiert haben, etwa im Internet bei Facebook: Umuts Mörder aus Italien sind unmittelbar blutsverwandt und haben Angehörige in der Region. Auch ein ebenfalls verurteilter 38-jähriger Mittäter wohnte und arbeitete in der Umgebung, bevor er verhaftet wurde.

Jenseits dieser Recherchen möglicher Rache-Opfer, so die Anklage, sei nachvollziehbar, dass sich der Jüngere darum bemüht habe, im Bekanntenkreis an Geld für Waffenkäufe zu kommen. Die wenig erfolgreichen Versuche dokumentieren unter anderem abgehörte Telefongespräche. Mit einem Waffenhändler hatte man sich zwar offenbar auf einen Deal in Höhe von 5000 Euro geeinigt – doch zum Austausch von Waffen und Geld kam es wohl nicht.

Ob es im Falle eines Falles überhaupt zu einem Waffenhandel geschweige denn zu einem Rache-Anschlag gekommen wäre, blieb in der öffentlichen Verhandlung bislang unklar. So hatte der Ältere der beiden Angeklagten in einer Vernehmung beteuert, ihm selbst sei es gar nicht um einen Deal gegangen – und die vom Jüngeren gelieferte Anzahlung des Waffen-Gelds habe er sogar für andere Dinge „veruntreut“.

Auf der anderen Seite ergaben Befragungen des älteren Angeklagten schon recht konkrete Mord-Pläne, die sich auf das Umfeld der beiden verwandten Täter richteten. Bei der jüngsten Befragung in dieser Woche sagte zudem der Onkel der Mörder Umuts aus, der ein Wohnhaus mit Werkstatt-Garage besitzt: Er habe selbst zwar nie konkrete Befürchtungen gehabt. Doch die Anschlags-Pläne vor allem des Jüngeren bezogen sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf eben diese Anlage, in der auch die Oma der beiden Italiener wohnt.

Vorbestraft sind übrigens beide der derzeit Angeklagten – nach schwerwiegenden Taten aus der Jugendzeit. Der Jüngere wegen bewaffneten Raubes in einem Discounter. Der Ältere, unter vielem anderem, wegen Beteiligung an einer Gruppenvergewaltigung. Dieser Ältere war es auch, der zu Beginn des ersten Prozesses im Sommer in aller Öffentlichkeit eine deutliche „Kopf-Ab“-Geste in Richtung eines der damals Angeklagten gemacht hatte. Als das bemerkt wurde, führte auch das dazu, dass die Sicherheit bei den Verhandlungen verschärft wurde. Der damals bedrohte Italiener, inzwischen im Gefängnis, sagte erst vor wenigen Tagen im aktuellen Prozess, dass er sich und seine Familie klar bedroht fühlte.

Umfeld eines Moschee-Anschlags

Dass der jetzige Prozess überhaupt stattfindet, hat die Staatsanwaltschaft übrigens einem Zufall zu verdanken: Im vergangenen Jahr überwachte die Polizei Freiburg nach einem Brand-Anschlag auf eine Moschee in Weil am Rhein/Friedlingen am 28. April mehrere Personen – darunter auch den 20-jährigen Angehörigen von Umut K. Gerechtfertigt wurde der Mitschnitt von Telefonaten unter anderem mit Verbindungen zur kurdischen PKK. Erst in diesen Mitschnitten war vom geplanten Rache-Mord und dem Versuch des Waffen-Kaufs die Rede. Da die Polizei damals die Gefahr sah, dass die jungen Männer ihre Pläne in die Tat umsetzen, verhaftete man sie sofort Anfang August vergangenen Jahres.

Der Auslöser: Mord an einem 22-jährigen an der Staig

In der Nacht des 1. Dezember 2016 wurde der 22-jährige Umut K. aus einem fahrenden Auto an der Hechinger Staig erschossen. Täter waren zwei junge Italiener, die mit Hilfe eines weiteren 38-jährigen Italieners in der Region Drogendeals tätigten. Auch Umut, mehr aber noch ein Kumpel, der ihn begleitete, waren darin verwickelt – allerdings in vergleichsweise geringem Maßstab. Im Oktober 2017 verurteilte das Landgericht Hechingen die drei Italiener wegen Mordes zu jeweils lebenslang , neun und drei Jahren Haft.