Deutschland · Lungenerkrankung

Jetzt steht das Coronavirus vor der Tür

Nach dem Ausbruch in Norditalien erwartet Minister Jens Spahn nun auch deutlich mehr Fälle in Deutschland. Die Grenzen bleiben trotzdem geöffnet. An Therapie und Impfstoff wird noch geforscht, schnelle Ergebnisse dürfte es dabei nicht geben.

25.02.2020

Von Dieter Keller & Hajo Zenker

Atemschutzmasken werden schon rar. Foto: ©NS Photograph/shutterstock.com

Atemschutzmasken werden schon rar. Foto: ©NS Photograph/shutterstock.com

War das neue Coronavirus bisher in allererster Linie ein Problem Chinas, sorgt der Erreger nun auch zunehmend anderswo für Schrecken – etwa in Norditalien, dort mit bisher fünf Toten. Damit droht die Lungenkrankheit auch in Deutschland zu einem größeren Problem zu werden.

Ist eine Pandemie, also eine sich schnell in vielen Ländern ausbreitende Seuche, noch aufzuhalten? Offenbar nicht. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht die Erkrankung, die mittlerweile offiziell Sars-CoV-2 heißt, auf dem Weg zu einer weltweiten Pandemie. Ein Grund dafür: Bei vielen Menschen hat das Coronavirus nur leichte Auswirkungen, die an eine normale Erkältung erinnern oder fast gar nicht spürbar sind. Weshalb solche Betroffene nur selten zum Arzt gehen – und in der Zwischenzeit auf der Arbeit, in der Familie und im Freundeskreis den Erreger verbreiten. Und das nicht nur lokal begrenzt – Tourismus und globalisierte Wirtschaft tragen das Virus um die Welt. Und der ist beileibe nicht für alle Infizierten harmlos.

Wird Deutschland deshalb mit weit mehr als den bisher 16 bekannten Fällen konfrontiert sein? Dafür gibt es laut Spahn eine hohe Wahrscheinlichkeit. Er sieht Deutschland jedoch gut gerüstet. Das Gesundheitswesen sei auf den Ausbruch von Infektionskrankheiten vorbereitet, Bund, Länder und Robert-Koch-Institut (RKI) stimmten sich täglich ab, sagt der Minister.

Wer wäre bei einem größeren Corona-Ausbruch in Baden-Württemberg für Quarantänemaßnahmen zuständig? Das örtliche Gesundheitsamt je nach Lage vor Ort. Zentrale Behörde ist das Landesgesundheitsamt, wo ein Kompetenzzentrum mit Experten verschiedener Fachrichtungen ständig die Lage berät. Hier gibt es auch eine Telefon-Hotline zu Corona. Sie ist werktags von 9 bis 16 Uhr unter 0711-094-39555 zu erreichen.

Kann es auch bei uns zum Abriegeln ganzer Orte kommen? Verschlimmert sich die Lage, dürfen die Behörden die Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen oder ein Verbot von Menschenansammlungen anordnen. Auch das Isolieren ganzer Orte, wie in China oder Italien Realität, ist gesetzlich in Deutschland möglich. Zu diesem Mittel solle man aber erst greifen, wenn es wirklich sinnvoll sei, meint Jens Spahn. Sperrungen müsste die Polizei durchführen und überwachen.

So sieht das Coronavirus aus. Foto: Cdc/Cdc/imago images

So sieht das Coronavirus aus. Foto: Cdc/Cdc/imago images

Wann gibt es einen Impfstoff? Nicht vor Ende des Jahres, meint RKI-Chef Lothar H. Wiehler. In vielen Ländern werde daran geforscht, die Arbeit sei gut koordiniert. Zudem werde an Therapien gearbeitet. Bisher können die Symptome lediglich mit Medikamenten abgemildert werden.

Kann ich trotzdem noch nach Italien fahren? Möglich ist das, Reisebeschränkungen gibt es nicht, der Bahnverkehr rollt wieder. Allerdings bleiben in Norditalien viele Sehenswürdigkeiten geschlossen. Der Karneval von Venedig wurde vorzeitig beendet, Fußballspiele gestrichen, öffentliche Verkehrsmittel werden desinfiziert. An Flughäfen werden Reisende auf Fieber kontrolliert.

Gibt es bereits Auswirkungen auf den Tourismus? „Alle sehen sich die Lage sehr genau an“, sagt Kerstin Heinen vom Deutschen Reiseverband. In Italien spielen Reiseveranstalter aber keine so große Rolle; es wird mehr individuell gebucht. Zudem spielt der Tourismus in den betroffenen Gebieten in Norditalien keine große Rolle. Dagegen ist Venedig gerade zum Karneval ein beliebtes Reiseziel. Wer eine Pauschalreise gebucht hat, sollte sich mit seinem Veranstalter in Verbindung setzen. Das Corona-Ausbruchsland China ist im Winter kein Ziel für Touristen. Der größte deutsche Studienreiseveranstalter Studiosus hat schon Ende Januar alle China-Reisen bis zum 15. April abgesagt; alle Abreisetermine bis Ende Mai können kostenlos umgebucht oder storniert werden.

Wie sieht es mit dem Luftverkehr aus? Die Lufthansa fliegt alle italienischen Flughäfen unverändert an und verfolgt die Entwicklung. Dagegen haben sie und die Konzerntöchter Swiss und Austrian Airlines alle Flüge nach China bis zum 28. März ausgesetzt. Wer ein Ticket hat, kann kostenfrei umbuchen oder bekommt sein Geld zurück. Ausgenommen ist davon nur Hongkong, das weiter angeflogen wird.

Drohen Grenzschließungen? Das Bundesinnenministerium teilt mit, das gehöre derzeit „nicht zu unseren Überlegungen“. Auch Österreich und die Schweiz lehnen trotz der Lage in Norditalien aktuell Grenzschließungen ab.

Wenn erneut der Bahnverkehr unterbrochen wird: Wer haftet? Käme es in Deutschland zu einer Situation vergleichbar mit der kurzzeitigen österreichischen Sperrung des Zugverkehrs nach Italien, hätten Passagiere Anspruch auf Entschädigung. Im Gegensatz zum Flugverkehr gibt es bei der Deutschen Bahn keine „höhere Gewalt“. Ob die Bahn an Plänen arbeite, falls es zu so einer Situation käme, wollte sie auf Nachfrage nicht beantworten. Ein Sprecher sagt nur, dass man in ständigem Austausch „mit den relevanten Gesundheitsorganisationen und -behörden“ stehe.

„Hygiene ist wirklich wichtig“

Jetzt steht das Coronavirus vor der Tür

Für viele Menschen scheinen OP-Masken das Mittel der Wahl, um sich sicherer zu fühlen. Allerdings: Eine Atemmaske schützt davor, dass ein Infizierter Gesunde ansteckt – „aber der Schutz vor einer Infektion von außen ist sehr, sehr schlecht damit“, sagt der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, Bernd Salzberger.

Normalerweise werden Hygienemasken dazu verwendet, damit vom medizinischen Personal im Operationssaal keine Tröpfchen auf Patienten übergehen. Wirklich schützen gegen den Virus könnten nur richtige Atemschutzmasken mit eingebautem Filter. Für den Alltag seien die aber „unsinnig“, so Salzberger.

Das beste Mittel gegen ansteckende Atemwegskrankheiten ist Hygiene. „Die ist wirklich wichtig“, betont Lothar H. Wiehler, Chef des Robert-Koch-Instituts. Viel ausführliches Händewaschen also, kein Händeschütteln, Vermeidung von engem Kontakt mit Personen, die husten, niesen oder Fieber haben. Auch sollte man sich so wenig wie möglich ins Gesicht fassen. Und das wäre denn wohl auch der einzige nachgewiesene Effekt der Masken: Viele Infektionen entstehen, weil Menschen sich unbewusst mit verunreinigten Händen ins Gesicht fassen.

Untersuchungen zeigten, dass jeder Mensch im Schnitt 300 Mal am Tag Nase und Mund berühre, sagt Professor Mathias Pletz von der Uniklinik Jena. Ein Mundschutz kann den direkten Kontakt verhindern. Für Menschen mit schwachem Immunsystem könne dies sinnvoll sei. Allerdings muss der Schutz dazu regelmäßig ersetzt werden. Das aber wird schwierig. „Es gibt erhebliche und umfängliche Lieferengpässe“, sagt Thomas Porstner, Geschäftsführer beim Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels. hz/dpa

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Erstellt:
25.02.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 58sec
zuletzt aktualisiert: 25.02.2020, 06:00 Uhr

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