Stephan Neher und das Gender-Sternchen

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Der Rottenburger Oberbürgermeister Stephan Neher verwendet neuerdings das Gender-Sternchen – als erster Verwaltungschef im Landkreis.

04.07.2018

Von Michael Hahn

Bild: ST

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Es ist gut, wenn sich Bürger*innen mit einbringen...“ So begann die offizielle Pressemitteilung der Stadt Rottenburg zur Übergabe der Unterschriften gegen das geplante Gewerbegebiet Herdweg vor zwei Wochen (wir berichteten). Nicht: „Bürgerinnen und Bürger“, auch nicht „Bürger/-innen“, „Bürger(innen)“ oder „BürgerInnen“, sondern: „Bürger*innen“. Unterschrieben von: Oberbürgermeister Stephan Neher. Gilt in der Stadt Rottenburg also ab sofort das so genannte Gender-Sternchen? („Gender“ ist Englisch für „Geschlecht“).

Noch vor wenigen Jahren war mit aller Selbstverständlichkeit einfach von „Bürgern“ die Rede. Bei diesem so genannten „generischen Maskulinum“ waren die „Bürgerinnen“ meist stillschweigend mitgemeint. Das soll der besseren Lesbarkeit dienen, und für große Menschengruppen ist es auch weiterhin üblich. Als beispielsweise Dieter Thomas Kuhn vor zwei Jahren auf dem Eugen-Bolz-Platz auftrat, konnte man mit gutem Grund annehmen, dass unter den 4500 „Zuschauern“ auch einige Frauen waren.

Doch zumindest für kleinere Personengruppen gerät die Form Maskulinum-meint-Alle aus der Mode. Die Kritik daran: Der „männliche“ Sprachgebrauch macht Frauen unsichtbar.

Beispielsweise hat der Handelsverband Baden-Württemberg neulich in Rottenburg „elf örtliche Händler“ mit einem Zertifikat „generationenfreundliches Einkaufen“ ausgezeichnet. Wer hat bei einer solchen Meldung vor Augen, dass es sich bei sechs dieser elf „Händler“ um Händlerinnen handelte?

Deswegen wird es immer mehr üblich, die männliche und die weibliche Form zu nennen. Im Juli 2007 (im ersten Amtsjahr von Oberbürgermeister Boris Palmer) beschloss der Tübinger Gemeinderat auf Antrag der Grünen einen „Leitfaden (für) geschlechtergerechtes Formulieren“. Er ist zwölf Seiten stark, enthält viele Beispiele und gilt für die gesamte Stadtverwaltung.

Städtische Veröffentlichungen in Tübingen verwenden seither durchgehend sowohl die männliche als auch die weibliche Endung – oder geschlechtsneutrale Begriffe. Bestehende Dokumente werden „sukzessive überarbeitet“.

Im Tübinger Landratsamt wiederum gibt es keine einheitlichen Regeln, sagte Pressesprecherin Martina Guizetti auf Nachfrage. In den Sitzungsunterlagen für den Kreistag werden meist „beide Formen“ verwendet (also männlich und weiblich). In Landkreis-Publikationen dagegen steht meist nur das Maskulinum. Laut Guizetti „steht dann vorne ein Zusatz, dass beide Geschlechter angesprochen sind“. Ein Gender-Sternchen habe sie „noch nirgends entdeckt“.

CDU gegen Sternchen

Auch in der baden-württembergischen Landesregierung gibt es keine verbindliche Regelung. „Das macht jedes Ministerium wie es will“, sagte Rudi Hoogvliet, der Pressesprecher des Staatsministeriums, auf Nachfrage. Bei ihm zumindest gebe es „keinen Stern und kein großes I“. Als vor zwei Jahren in einem offiziellen Landesregierungs-Tweet von „Demokrat*innen“ die Rede war, war die CDU empört, und es gab gleich einen größeren Knatsch in der neuen grün-schwarzen Regierung.

Erst vor zwei Wochen befasste sich der Rat für deutsche Rechtschreibung (ein offizielles Gremium für Deutschland, Österreich und die Schweiz) mit geschlechtergerechtem Sprachgebrauch – auf Antrag der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung. Der Rat vertagte eine Entscheidung über mögliche neue Duden-Regeln bis zum November dieses Jahres.

Angenehmer und lesbarer

Die Partei der deutschen Grünen wiederum verwendet schon seit November 2015 das so genannte Gender-Sternchen – laut Parteitagsbeschluss. Als die Rottenburger Grünen-Stadträtin Ursula Clauß von den Sternchen in Nehers Pressemitteilung erfuhr, freute sie sich: „Das ist urgrün.“ Sie findet die Sternchen-Schreibweise „angenehmer und lesbarer“ als beispielsweise den „ganz hässlichen“ Schrägstrich.

Ihre Ratskollegin Nele Betz (Junge Aktive) reagierte verhaltener. Sie hat in Speyer Verwaltungsrecht studiert. Ihre Masterarbeit behandelte die „Beteiligung von Frauen in der Politik“. Betz hat den Text „komplett durchgegendert, mit Schrägstrich. Das klang dann sprachlich manchmal echt schräg.“ Privat ist Betz weniger dogmatisch. „Bei einer formlosen SMS achte ich auch nicht auf Groß- oder Kleinschreibung.“

Dass offizielle Stellen auf geschlechtergerechte Schreibweisen achten, findet die JA-Stadträtin wichtig. „Aber die vielen verschiedenen Formen sorgen für Verwirrung.“ Doch könnte diese Verwirrung nicht auch heilsam sein? Weil sie eine/n immer wieder auf die gesellschaftliche Wirklichkeit stößt, die eben noch lange nicht „geschlechtergerecht“ ist? Ja, schon, sagt Betz, „aber irgendwann muss die Genderdebatte auch mal abgeschlossen sein“.

Vielfalt im Amtsblatt

Im Rottenburger Rathaus gibt es jedenfalls noch keine einheitliche Linie. Wenn man das städtische Amtsblatt durchblättert, stößt man auf alle möglichen Formen: Das Sternchen in Nehers Stellungnahme ist bisher die Ausnahme. Häufiger ist der Schrägstrich. Die Vielfalt herrscht mitunter in ein und demselben Büro: Die Stabstelle Umwelt beispielsweise benutzt mal das große Binnen-I („KonsumentInnen“), mal das generische Maskulinum („Eigentümer“, „Preisträger“).

Oberbürgermeister Neher selbst hat das Sternchen schon häufiger verwendet, in Briefen und E-Mails, sagte er dem TAGBLATT am Telefon. Er weiß auch gleich, wo es sitzt auf der Computer-Tastatur: „Über dem Plus.“ Dass das Sternchen nun auch seinen Weg in eine offizielle städtische Pressemitteilung gefunden hat, scheint aber eher eine spontane Idee gewesen zu sein. „Das habe ich mit Frau Reinke so besprochen“ – also mit der Amtsleiterin für Öffentlichkeitsarbeit.

Neher will seiner Verwaltung zwar „keine strikte Vorgabe“ machen, aber schon in Richtung Sternchen drängen – auch bei offiziellen Unterlagen, etwa neuen Baugebiets-Satzungen. „Nicht so schön“ findet es der Oberbürgermeister, „wenn es irgendwo in einer Fußnote heißt: Die männliche Form gilt auch für Frauen.“

Und warum gerade das Sternchen? „Das setzt sich allmählich so durch“, hat Neher beobachtet. Und unter Verwendung des generischen Maskulinums fügt der OB hinzu: „Für den Leser ist das Sternchen die freundlichste und schönste Schreibweise.“

Mehr als zwei Geschlechter

Für manche Benutzer*innen transportiert das Sternchen noch eine weitere Bedeutung: Es soll auch für Menschen gelten, die sich nicht (oder nicht eindeutig) als Mann oder als Frau begreifen, also beispielsweise für Intersexuelle oder Transsexuelle.

So schreibt Claudia Salden von der Pressestelle im Tübinger Rathaus über den aktuell gültigen Leitfaden: „Vor rund zehn Jahren stand vor allem die sprachliche Gleichstellung von Frauen und Männern im Fokus. Jüngere Entwicklungen wie der Gender-Stern für nicht-binäre Geschlechtsidentitäten sind in unserem Leitfaden noch nicht abgebildet. Wir sehen deshalb, dass der Leitfaden überarbeitet werden muss.“

OB Palmer halte sich allerdings bis auf weiteres an die Empfehlungen von 2007. Er verzichtet also auf den Stern (entgegen den Gepflogenheiten in seiner Partei).

Dem Rottenburger Oberbürgermeister wiederum war die „nicht-binäre“ (nicht-zweigeschlechtliche) Interpretation noch gar nicht bekannt. Nehers spontane Reaktion am Telefon: „Umso besser. Wir sprechen alle an!“

Die Schreibweisen im TAGBLATT

Auch in der TAGBLATT-Redaktion gibt es unterschiedliche Auffassungen. Wir bevorzugen die „Schülerinnen und Schüler“ sowie die „Schüler/innen“, wie es vom Duden empfohlen wird. Aber auch das generische Maskulinum kommt häufig vor.

Das Gender-Sternchen und das Binnen-I werden im TAGBLATT nicht verwendet. Um eine gewisse Einheitlichkeit zu wahren, ändern wir Fremdtexte (Leserbriefe, Kolumnen) entsprechend ab.