Rottenburg · Einzelhandel

Jetzt kommt es auf die Kunden an

Der Saisonstart fällt aus, die farbenfrohe Sommerware hängt in verwaisten Läden. Mit Lieferangeboten und Social Media versuchen Rottenburger Händler, die Corona-Krise zu überbrücken.

25.03.2020

Von Angelika Bachmann

Einsam und aufrecht steht die Kleiderpuppe im Schaufenster bei „Von Bora“. Das T-Shirt unter dem blauen Mantel proklamiert dabei symbolträchtig und in großen Lettern „Peace, Hope, Freedom“.  Bild: Angelika Bachmann

Einsam und aufrecht steht die Kleiderpuppe im Schaufenster bei „Von Bora“. Das T-Shirt unter dem blauen Mantel proklamiert dabei symbolträchtig und in großen Lettern „Peace, Hope, Freedom“. Bild: Angelika Bachmann

Für einen Moment ist es, als wäre man Kundin und Manuela Pettenkofer ganz in ihrem Element: dem Verkaufen. Ihr Lieblingsrock, gerät die „Von Bora“-Inhaberin ins Schwärmen, ist fessellang, aus einem leichten Tencel-Material – mit aufgesetzten Taschen und einem Taillengürtel. „Den kann man mit einem süßen Blüschen genauso tragen wie mit einem Pullover“, zum Beispiel in angesagten pudrigen Naturtönen.

Tatsächlich steht Pettenkofer in diesem Moment ganz allein in ihrem Laden und gibt dem TAGBLATT am Telefon Auskunft, was sie verkaufen würde, wenn sie denn in ihrem Laden verkaufen könnte. Wie alle anderen Mode- und Einzelhandelsgeschäfte hat „Von Bora“ seit Mittwoch vergangener Woche geschlossen. Auch wenn die Schließungen absehbar waren: „Ich habe zwei Tage gebraucht, bis ich den Schock verdaut hatte.“

Die Situation ist bei Pettenkofer nicht anders als bei ihren Kollegen: Zu den laufenden Kosten wie Miete, Steuern und Gehalt kommt ein immenser Warenwert, der im Laden liegt, bei null Umsatz. Und viele weitere Lieferungen stehen an: Sommermode, die bereits vor mehr als einem halben Jahr auf Messen bei den Herstellern bestellt wurde. Die Verträge, sagt Pettenkofer, können auch nicht mehr storniert werden. Es gibt zwar einen Aufschub, bis die Läden wieder öffnen dürfen. „Aber dann wird geliefert und das muss auch bezahlt werden.“

Gegenüber beim Schuhhaus Kratzer zum Beispiel erwartet Inhaber Hermann Kratzer innerhalb der nächsten Wochen noch an die hundert Pakete von Lieferanten, alles zusammengerechnet etwa 1500 Paar Schuhe – von leichten Schnürschuhen fürs Frühjahr bis zu Sommersandalen. Schuhwerk in prallen Neonfarben und in feinem Pastell. Während der kundenlosen Zeit wird der Laden hinter heruntergelassenen Jalousien übergangslos auf Frühjahr- und Sommer-Schuhmode umgestaltet.

Im Gegensatz zu manch anderen Kollegen hat Kratzer bereits ein Online-Portal, auf dem er seine Ware präsentiert. Andere Händler in Rottenburg stehen da noch ganz an Anfang. Die Krise lässt aber Ideen keimen. Das Modehaus Weippert etwa bietet über Instagram und auf der Internetseite Mode-Tipps und Lieferservice an. Von Reudanik kann man sich Taschen und Accessoires nach Hause liefern lassen. Weitere Anbieter findet man ab sofort auf einer neuen Plattform im Internet: www.rottenburger-lokalhelden.de

Manuela Pettenkofer etwa bietet an, nach einem persönlichen Gespräch über modische Wünsche eine Auswahl zusammenzustellen und nach Hause zu liefern. Niemand hat die Hoffnung, mit diesen Angeboten die massiven Umsatzeinbußen auch nur ansatzweise ausgleichen zu können. Aber die Kundenbindung zu halten, wäre auch schon ein Erfolg.

Bei Micki-Sport ist fast die gesamte Ware für das Frühjahrsgeschäft schon seit Januar angeliefert. Aus dem Lager werden derzeit Laufschuhe, Outdoor-Ausrüstung, Radler-Outfits und Bademode in den Laden geräumt und dekoriert. „Unser Hauptproblem ist: Wir kommen aus einem schlechten Winter raus“, sagt Senior-Chef Thomas Mickeler. Der März, der normalerweise noch ein guter Monat im Ski-Geschäft ist, fällt nun auch weg. „Für uns ist das doppelt schlecht.“

16 festangestellte Mitarbeiter/innen hat Micki-Sport. Nein, Kurzarbeit hat man für März noch nicht angemeldet. Für April müsse er erst noch schauen, wie sich die Dinge entwickeln. Das Sportgeschäft hat noch einen Anker über den Online-Shop. „Das läuft gerade nicht schlecht“, sagt Junior-Chef Benny Mickeler. Trotzdem will man die Kunden, wo möglich, im regionalen Verkauf halten. Auf der neuen Rottenburger Plattform wirbt das Sportgeschäft deshalb mit kostenlosen Lieferungen und Vergünstigungen – und ist auch auf Instagram präsent.

„Jetzt kommt es auf den Kunden an“, sagt Manuela Pettenkofer, wenn sie auf die kommenden Wochen schaut. Sie hofft, dass die Stammkundschaft ihr treu bleibt. 9000 Euro Zuschuss kann ein Betrieb ihrer Größe sofort beantragen. „Das ist erfreulich und tut gut“ – sei aber angesichts des Warenvolumens, das jetzt im Lager liegt, keine durchschlagende Hilfe. Zinslose Kredite, die jetzt angeboten werden, „wollen zurückbezahlt werden. Dann hat man eine weitere Last im Boot.“ Bleibt der Laden einen Monat zu, sei das zwar hart, aber irgendwie zu stemmen. „Ab zwei Monaten wird es eng.“

Hermann Kratzer, der in seinem Schuhgeschäft neun Mitarbeiter/innen beschäftigt, hat für die Festangestellten Kurzarbeit angemeldet. Auch er sagt: Ein
Monat ist zu stemmen. „Bei 3 Monaten ist dann die Hausbank gefragt, zu der man schon lange Kontakte hat.“ Micki-Sport baut währenddessen auf das weitere Standbein, die Textildruckerei, sodass Thomas Mickeler halbwegs optimistisch bleibt: Existentiell werde auch eine mehrmonatige Ladenschließung für Micki-Sport nicht sein.

Noch ist nicht klar, ob die Läden am 19. April wieder öffnen – oder später. Zwischen Existenzsorgen schlummern aber bereits Ideen für Wiedereröffnungspartys und Kundenaktionen, die Vorfreude aufs Wiedereröffnen. Dann darf der Maxi-Rock bewundert werden und die neongrünen Schuhe werden ausgeführt. „So bunt war’s noch nie!“, sagt Hermann Kratzer. Der Mode-Sommer ist noch nicht verloren gegeben.

Lokalhelden.de – Plattform für regionale Anbieter

Die Rottenburger Wirtschaft Tourismus Gastronomie (WTG) und ATM Event haben die Plattform www.rottenburger-lokalhelden.de ins Leben gerufen. Dort präsentieren sich Dienstleister, Gastronomen und Gewerbetreibende mit ihren Angeboten, während die Läden aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen bleiben müssen. Lieferdienste sind aber nach wie vor erlaubt. Die WTG bittet Kunden „Arbeitsplätze in der Region“ zu schützen und Händler und Gastronomen auch in der Krisenzeit zu unterstützen. Auch Oberbürgermeister Stephan Neher appelliert auf seiner Facebook-Seite: „Bitte bleibt auch jetzt unseren Geschäften in Rottenburg treu. Verschiebt Anschaffungen wenn möglich. Verlagert die Kaufkraft nicht komplett online, nach der Krise brauchen wir weiterhin attraktive Geschäfte in der Innenstadt.“