Die für etwas brennen

Jasna Stürmer entdeckt über die „Talent im Land“-Förderung neue Lebenswelten

„Eine Stadt ohne Bewohner funktioniert nicht.“ Das war eine der Erkenntnisse, die Jasna Stürmer von der diesjährigen Sommerakademie, ausgerichtet vom Programm „Talent im Land“, mitnimmt. Sie beschäftigte sich in ihrer Kleingruppe intensiv mit der Frage, wie eine Stadt im Jahr 2030 aussehen könnte.

31.08.2016

Von Ute Kaiser

Jasna Stürmer entdeckt über die „Talent im Land“-Förderung neue Lebenswelten

Tübingen. „Mobilität und Veränderung – Was uns bewegt und in Bewegung setzt“: Das war diesmal das Thema, mit dem sich rund 80 junge Talente aus Baden-Württemberg und Bayern auseinandersetzten. Obwohl Jasna Stürmer „bisher noch nie etwas mit Architektur und Stadtplanung am Hut hatte“, reizte sie die Frage nach dem künftigen Leben ihrer Generation, die mit neuen Medien und Internet aufgewachsen ist, in einer vernetzten Stadt. Die 17-jährige Wildermuth-Gymnasiastin, die noch ein Jahr bis zum Abitur hat, hätte aber auch Wirtschaft, Jura, Kunst, Psychologie, Medizin oder Robotik als Schwerpunktthema wählen können.

Die Stipendiaten lebten vom 30. Juli bis 6. August im International College der Schule Schloss Salem in Überlingen. Das Schönste an der Sommerakademie war für die Tübingerin, eine Woche mit anderen jungen Leuten zu verbringen, „von denen jeder für etwas brennt“. Das müssen keine hochgeistigen Dinge sein. Einer ihrer besten Freunde bei „Talent im Land“ (TiL, siehe Info) brachte es zum Europameister in der Kampfkunst Capoeira.

Offenheit und Energie

auf dem College-Campus

Die angehende Abiturientin war fasziniert von der „unglaublichen Offenheit“ auf dem Campus und dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Stipendiaten, die teilweise schon Schreckliches erlebt hatten – etwa auf der Flucht vor dem Krieg mit dem kleinen Bruder auf dem Rücken. Dennoch prägten „Positivität und Energie“, so Stürmer, die Stimmung: „Das stärkt einen.“ Sie selbst nahm so viel es ging an Angeboten der anderen Teilnehmer mit – von Basketball über Bauchtanz bis hin zu Tamilisch.

Den Workshop zur neuen Wohn- und Lebenswelt leiteten zwei Fraunhofer-Wissenschaftler aus Stuttgart: Steffen Braun und Mike Letzgus. Sie forderten die zehn Teilnehmer auf, „nicht an dem festzuhalten, was wir kennen“. Die Gruppe plante ein neues Stadtquartier in Stuttgart und beschäftigten sich mit Fragen rund um Leben, Wohnen, Arbeiten und Mobilität bis in philosophische Tiefen, aber auch mit den Schattenseiten moderner Technik wie etwa dem Missbrauch von Daten. Eine grundlegende Erkenntnis des Workshops: „Das Zwischenmenschliche bleibt wichtig.“ Also etwa, dass diejenigen, die ihre Arbeit zu Hause am Computer erledigen, auch real ihren Kollegen begegnen können. Dafür braucht es geeignete Räumlichkeiten.

Ein Highlight bei der Akademie war ein Abend mit Baden-Württembergs Landtagspräsidentin Muhterem Aras, Tübingens OB Boris Palmer und Bruno Gross, dem Kreisgeschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes in Tübingen. Ihr Thema: „Flüchtlinge in Deutschland – gekommen um zu bleiben?“ Auch in Überlingen vertrat Palmer seine umstrittene Forderung, straffällige Flüchtlinge nach Syrien abzuschieben. Auch dort bekam er Kontra von den Stipendiaten, die teilweise selbst Fluchterfahrung haben. Stürmer empfand es als positiv, dass die jungen Leute nach dem Podium mit den Referenten noch intensiv diskutieren konnten.

Stürmer genoss aber auch den Abend der Kulturen, die Bootsfahrt auf dem Bodensee und nutzte die Möglichkeit, sich über ein Studium oder die Berufswahl zu informieren. Den Austausch und das Miteinander werde sie „nie vergessen“, sagt sie. Die Teilnehmer fänden immer ein Gesprächsthema, inspirierten sich gegenseitig und seien trotz verschiedener Lebenswege „unterschiedlich gleich“. Gemeinsam ist ihnen das Interesse zu verstehen, egal welchen Hintergrund sie haben: „Da sitzt ein Sunnit neben einem Aleviten – und keinen interessiert es“, sagt sie über den speziellen Geist von „Talent im Land“.

Der Geist der Akademie prägt auch das Danach

Der Kontakt bleibt auch nach der Sommerakademie. Über eine mobile App verabreden sich die Teilnehmer immer wieder zu Treffen, helfen sich gegenseitig bei Referaten oder vor Prüfungen. Kathie Rodgers und Andreas Germann vom TiL-Büro in Tübingen begleiten die Stipendiaten. „TiL lässt niemanden fallen“, sagt Stürmer. Wenn jemand Probleme habe, gebe es zusätzlich zum Stipendium von 150 Euro monatlich und Zuschüssen beispielsweise zu Studienfahrten oder dem Wohnen auch bezahlte Nachhilfe.

Geht es für sie nach dem Abi gleich an die Uni? „Ich will keinen lückenlosen Lebenslauf“, sagt die 17-Jährige und plant, ein Freiwilliges Soziales Jahr einzulegen. Das Soziale liegt ihr und darauf legt auch TiL Wert. Sie war lange Klassensprecherin und bei den Johannitern aktiv, engagiert sich noch beim Tübinger Kinderschutzbund, in einer Theater-AG an ihrer Schule und für die Kulturpatenschaften von Landestheater und Soroptimist Tübingen, die sie von ihrer verstorbenen Mutter Polly Stürmer übernommen hat.

Medizin oder Jura – eins von beiden konnte sich die Gymnasiastin in der zehnten Klasse als Studienfach vorstellen. Das ist jetzt passé. Aktuell denkt sie eher an Rhetorik. „Das kann auf jeden Fall weiterhelfen, egal was man tut“, glaubt die 17-Jährige. Außerdem habe das Fach „viel mit anderen Menschen zu tun – und mit Empathie“.

Stipendienprogramm unterstützt begabte Schüler/innen

Bildung ist aus Sicht des Stipendienprogramms

„Talent im Land“ (TiL) „der Schlüssel zu einer selbstbestimmten und erfolgreichen Zukunft“. Allein: Der Bildungserfolg hänge in Deutschland „noch viel zu häufig von der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Eltern ab“. Deshalb unterstützt das Programm, hinter dem die Robert Bosch Stiftung und die
Baden-Württemberg Stiftung stehen, seit 2003
bisher 600 begabte Schüler/innen aus benachteiligten Familien in Baden-Württemberg auf dem Weg zum Abitur oder der Fachhochschulreife mit finanzieller Förderung, einem Seminarprogramm und individueller Beratung. Die nächste Bewerbungsrunde beginnt voraussichtlich

Anfang Februar 2017.

Informationen finden sich unter www.talentimland.de