Epidemie

Coronavirus: Italien riegelt Städte ab

Die Regierung kämpft gegen den ersten großen Ausbruch des Coronavirus in Europa. Die Maßnahmen sind ähnlich drastisch wie in China.

24.02.2020

Von Bettina Gabbe

Hamsterkäufe mit Atemschutzmasken: Vor diesem Supermarkt in Casalpusterlengo in der Lombardei bildeten sich am Sonntag lange Schlangen. Teile des öffentlichen Lebens sind in der vom Coronavirus betroffenen Region zum Erliegen gekommen. Foto: Claudio Furlan/dpa

Hamsterkäufe mit Atemschutzmasken: Vor diesem Supermarkt in Casalpusterlengo in der Lombardei bildeten sich am Sonntag lange Schlangen. Teile des öffentlichen Lebens sind in der vom Coronavirus betroffenen Region zum Erliegen gekommen. Foto: Claudio Furlan/dpa

Ausgestorbene Straßen, verunsicherte Bürger und eine Regierung, die zu drastischen Maßnahmen greift: Nicht nur in Castiglione d'Adda, einem kleinen Ort südöstlich von Mailand, scheinen die Uhren stillzustehen. Hier wird der Ursprung des norditalienischen Infektionsherds des Coronavirus vermutet. Seit die Regierung den 5000-Seelen Ort ebenso wie ein knappes Dutzend anderer in der Umgebung von der Außenwelt abgeschnitten hat, bleibt nicht nur der Modeladen mit dem Schild „Super-Ausverkauf“ geschlossen. Gleich nebenan wohnen die Eltern des 38-Jährigen, von dem die Ansteckungswelle in der Lombardei ausgegangen sein soll. Nach den beiden Todesfällen in Italien mit Corona-Virus wurden die beiden Rentner als Hochrisiko-Fälle mit einem Spezialtransport ins Krankenhaus gebracht.

Während die Zahl der Infizierten in Italien sprunghaft anstieg, konnte man die Fälle in Castiglione d'Adda bis zum Sonntag an einer Hand abzählen. Trotzdem verhängte die Regierung rigorose Quarantäne-Maßnahmen für das gesamte Gebiet. Sie umfasst insgesamt 50.000 Bewohner der umliegenden Orte. Schulen, Geschäfte und Fabriken bleiben vorerst geschlossen. Die Menschen sollen in ihren Wohnungen bleiben. Nur Geschäfte für das absolut Notwendige dürfen öffnen. Wer versucht, trotz Verbots in die betroffenen Orte zu gelangen oder diese verlässt, dem drohen drei Monate Haft. Zunächst sollten Sicherheitskräfte die Regionen abriegeln, erklärte Ministerpräsident Giuseppe Conte. „Wenn nötig, werden es auch die Streitkräfte sein.“ Wer versuche, die Absperrungen zu umgehen, dem drohe „strafrechtliche Verfolgung“.

Kritik an Rom

„Man hat offensichtlich mit Verspätung reagiert“, schimpft der Apotheker Carlo Comello von der Farmacia Gandolfi in Castglione d?Adda. Gemeinsam mit seiner Frau bedient er Kunden nur noch mit Handschuhen und Atemmaske durch ein kleines Fenster, das normalerweise für Notfälle genutzt wird. Ansonsten ist am Wochenende nur der Lebensmittelladen „Bella Sicilia“ geöffnet. Die Vorräte seien fast aufgebraucht, er wisse nicht, ob er die Genehmigung bekomme, den Ort zu verlassen, um für Nachschub zu sorgen. Notfalltelefone verwiesen auf andere Nummern, unter denen niemand antworte, sagt der ägyptische Ladenbesitzer. Er ist besorgt.

Unter dem Eindruck der sprunghaft steigenden Zahlen der Infizierten wurden nicht nur Läden, Kindergärten, Schulen und Universitäten geschlossen, sondern in der Lombardei und Venetien auch Faschingsumzüge und Sportveranstaltungen abgesagt. Davon betroffen sind auch drei Spiele der ersten italienischen Fußball-Liga in Mailand, Verona und Bergamo. In Turin und anderen Städten sorgen unterdessen tätliche Angriffe auf Chinesen als vermeintliche Virus-Träger für Aufsehen.

Der Karneval in Venedig wurde aus Angst vor Ansteckung ebenfalls vorzeitig beendet. Die Lagunenstadt zieht im Februar jedes Jahr Zehntausende Touristen aus aller Welt an. Aus Angst vor Hochwasser seien in diesem Jahr weniger Besucher gekommen, sagt Mattia Baseggio, Inhaber der Pension Ponte Chiodo. „Aber die, die gekommen sind, freuen sich, dass es weniger voll ist als sonst.“ Das dürfte in den nächsten Tagen so bleiben, denn die Stadt steht nicht unter Quarantäne.

Doch trotz der drastischen Maßnahmen steigt die Zahl der Infektionen in Italien weiter an. Bis zum Sonntagnachmittag waren bereits mehr als 130 Covid-19-Fälle erfasst. Allein in der Lombardei sind inzwischen rund 90 Infektionen nachgewiesen, wie der Präsident der Region, Attilio Fontana, dem Sender SkyTG24 sagte. In Venetien gab es nach letzten Zahlen 24 Infizierte. Hinzu kamen mehr als ein Dutzend Nachweise in den Regionen Emilia-Romagna und Piemont.

Das Ausmaß des Ausbruchs in Italien löst in ganz Europa Beunruhigung aus. Zum Vergleich: In Deutschland wurden bisher 16 Fälle gemeldet, in Frankreich zwölf. Italiens Vize-Gesundheitsminister Pierpaolo Sileri sagte, er gehe von weiter steigenden Fallzahlen aus. „Es ist klar, dass wir mehr Fälle haben werden.“ Bis zum Sonntag waren drei Tote als Covid-19-Opfer erfasst: ein 78-Jähriger in Vo (Venetien),eine 77-Jährige in der Lombardei und eine ältere Frau in Crema.

In Südtirol bereiteten sich die Behörden auf mögliche Infektionen vor. Behörden empfahlen, die Universität Bozen sowie Kindertagesgärten in der kommenden Woche vorsichtshalber zu schließen. Auch im Nachbarland Frankreich ist man alarmiert: Die Lage in Italien werde „aufmerksam verfolgt“, sagte Gesundheitsminister Olivier Véran.

Infektionen in China weiten sich aus

In China sind erneut fast 100 Menschen dem neuartigen Coronavirus zum Opfer gefallen. Die Pekinger Gesundheitskommission meldete am Sonntag 97 weitere Tote, womit die Gesamtzahl der Opfer seit Ausbruch Krankheit in China auf 2442 gestiegen ist. Die Zahl neu bestätigter Infektionen kletterte um 648 auf 76.936. dpa

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Erstellt:
24.02.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec
zuletzt aktualisiert: 24.02.2020, 06:00 Uhr

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