„Trump setzt auf Chaos und Verwirrung“

Interview mit dem Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen zum US-Wahlkampf

Der US-Präsident, dessen gefährlichster Gegner die Corona-Pandemie sei, profitiere von seiner eigenen Skrupellosigkeit und der Erregungsgier bestimmter Medien, sagt der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Ein Gespräch über Wahrheit, Wut und Wahlchancen.

19.09.2020

Von Lothar Tolks

Bernhard Pörksen: „Die Spaltung der Gesellschaft ist gleichzeitig Geschäftsmodell und Lebenselixier.“ Fotos: Albrecht Fuchs, Giacinto Carlucci

Bernhard Pörksen: „Die Spaltung der Gesellschaft ist gleichzeitig Geschäftsmodell und Lebenselixier.“ Fotos: Albrecht Fuchs, Giacinto Carlucci

Auch seine Pläne sind von der Pandemie durchkreuzt worden: In den vergangenen Monaten hätte Bernhard Pörksen als Gastwissenschaftler am Thomas-Mann-Haus in Los Angeles über Polarisierung und politische Kommunikation arbeiten und forschen sollen, konnte das aber angesichts der Entwicklung nicht verwirklichen. Die USA hat der Tübinger Medien-Professor schon mehrfach bereist, als junger Wissenschaftler schrieb er sein erstes Buch vor mehr als 20 Jahren mit dem österreichisch-amerikanischen Philosophen Heinz von Foer­ster, der in den Vereinigten Staaten lehrte. Zum Interview treffen wir Pörksen zu Hause in Tübingen. In diesen Tagen blickt er nicht allzu optimistisch auf die US-Präsidentschaftswahl am 3. November: „Trump“, sagt er, „zeigt eine eigentümliche Skandal­immunität.“

Herr Professor Pörksen, die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten vor vier Jahren war für viele unfassbar. Was hatten und ­haben die Medien und die sozialen Netzwerke mit seinem Aufstieg an die Macht zu tun?

Trump ist Profiteur einer veränderten Medienwelt, und er treibt ihre Veränderung massiv voran. Sein Aufstieg ist Ergebnis eines Zusammenspiels. Der klassische Journalismus wird schwächer, die Medienverdrossenheit und die Polarisierung in den USA nehmen zu. Es gibt mit den sozialen Medien längst Direktkanäle, um die eigenen Anhänger aufzupeitschen. Und er hat mit Fox News eine Art Präsidentensender, der ihn unterstützt. Kurzum: Trump ist eine Mischfigur aus Reality-TV und Internet-Troll.

Ist es zu kurz gegriffen, wenn man feststellt, dass Trump sich der Medien einfach sehr geschickt bedient?

Es braucht den doppelten Blick – auf die Person und die mediale Situation. Ein Donald Trump profitiert in seiner individuellen Skrupellosigkeit von der Quoten- und Erregungsgier des Spektakelfernsehens. Und von einer Parallelwelt ultrakonservativer Netzplattformen, die von Wut, Hassattacken und Desinformation regiert werden. Hier spielt man nach eigenen Regeln. Hier gelten die Ideale des klassischen Journalismus – Objektivität, Fairness, Faktenorientierung, Neutralität – nicht.

Das nutzen Populisten wie Trump aus?

Ja. Und noch etwas. In der Frühphase der Netzkommunikation waren wir uns sicher: Mehr Information macht uns automatisch mündiger. Weil wir aus der Vielfalt der Information auswählen und eben deshalb unsere Entscheidungen besser, rationaler fundieren können. Heute müssen wir anerkennen: Immer mehr Information erhöht die Chancen effektiver Desinformation.

Warum?

Weil wir im umherwirbelnden Informationskonfetti auf das zurückgreifen, was wir ohnehin glauben und glauben wollen. Hier setzt Trumps Propagandamethode an – Realitätszensur durch Rauschen, Verwirrung durch die Produktion von Chaos, Schuldzuweisungen, Verschwörungstheorien. Kein Tag ohne bizarre Schlagzeile! So wird irgendwann unklar, was stimmt und was nicht. Ermüdungseffekte und Orientierungssehnsucht machen sich breit.

Und in diese Lücke stößt Trump und übernimmt die Meinungshoheit?

Er dominiert in jedem Fall die Debatte. Und dies auch mit schlichten Lügen. Nebenbei: Die „Washington Post“ hat ihm mehr als 20 000 Unwahrheiten während seiner Amtszeit nachgewiesen.

Ohne Unterstützung der Medien wäre diese Strategie kaum erfolgreich.

Absolut. Wir erleben in der Medienlandschaft der USA eine asymmetrische Polarisierung, einen politischen Wettkampf auf unterschiedlichen Spielfeldern. Auf der einen Seite steht der seriöse Journalismus, Paradebeispiel: die New York Times. Auf der anderen haben wir ein ­ultra-konservatives Medienmilieu, in dem der Kabelsender Fox News ein zentraler Knotenpunkt ist. Hier werden – im Verbund mit rechten bis rechtsextremen Netzmedien – alternative Wirklichkeiten erzeugt, die durch ständige Wiederholung zum politischen Faktor werden, auch wenn sie frei erfunden sind.

Ein ideales Spielfeld also für Donald Trump und seine Anhänger.

Ja. Denn hier ist die Spaltung der Gesellschaft gleichzeitig Geschäftsmodell und Lebenselixier. Und man sieht an den Klickzahlen und Einschaltquoten: Wut funktioniert besser als Wahrheit. Speziell Fox News hat das früh erkannt. Seine politischen Ambitionen testete Trump bereits 2011 in der Morgenshow Fox & Friends mit rassistischen Verschwörungstheorien über Barack Obama. Damals wurde den Senderchefs deutlich, dass der Mann ein Quotenwunder und damit auch ein Wirtschaftsfaktor ist. Und genau hier liegt der Beginn der verstörenden Symbiose zwischen dem Sender und dem Präsidenten. Fox News geht es um Marktanteile, Trump um politische Macht – eine für beide Seiten nützliche Partnerschaft.

Warum gibt es kein nennenswertes Gegengewicht?

Es gibt mit CNN oder MSNBC durchaus Sender, die ein ausgesprochen Trump-kritisches Programm fahren, aber nicht auf Desinformation setzen. Diese Seite spielt – trotz mancher Übertreibungen – letztlich nach den Regeln des 20. Jahrhunderts. Während Trump & Co. nach den Regeln einer radikal parteiischen Publizistik spielen, die es im 19. Jahrhundert gab, nur eben mit Hilfe moderner, digital vernetzter Medien.

Die Tendenzen haben sich in den vergangenen vier Jahren eher verstärkt als abgeschwächt. Dann wird Trump die Wahl im ­November also erneut gewinnen?

Schwer zu sagen. Fakt ist: Trump zeigt eine eigentümliche Skandalimmunität. Selbst enorm brisante Enthüllungen drohen wirkungslos zu verpuffen. Gründe dafür sind die massive Polarisierung, der Zerfall der Gesellschaft in unterschiedliche Gruppen und Stämme. Und sein Stamm hält zu ihm, koste es, was es wolle. Allerdings: Die Pandemie kann hier doch für Veränderung sorgen.

Der gefährlichste Gegner für Trump ist die Corona-Pandemie?

Das Virus lässt sich nicht leugnen, Menschen sterben wirklich. Dieser Einbruch der Realität ist eben deshalb eine Bedrohung für den freidrehenden Schwadroneur und den autokratischen Lügner. Auch unzählige verwirrende Pressekonferenzen mit irgendwelchen Jubelnachrichten, die Empfehlung, Malariamedikamente zu nehmen, sich Desinfektionsmittel zu spritzen – all das funktioniert nicht. Eben weil auch die eigenen Anhänger erkranken. Und weil sich aktuell Regierungseffizienz und Regierungsversagen in globalem Maßstab und auf der Weltbühne der Zivilisation vergleichen lassen. Und die Fehler im Kontrast zu anderen Ländern und Nationen umso deutlicher sichtbar werden.

Das heißt, die Fake-News-Strategie könnte an diesem Punkt scheitern?

Ja. Man kann jede Menge Unsinn behaupten, aber in Zeiten einer Pandemie ist Desinformation womöglich tödlich. Die Wahlen in den USA sind nach dem desaströsen Krisenmanagement des Präsidenten auch eine Abstimmung über das Realitätsprinzip selbst. Gilt dieses noch oder setzt sich eine Politik der Spaltung und der Lüge durch? Das ist offen.

Corona-Leugner, Aufstieg der AfD, der Brexit – populistische Tendenzen gibt es auch in Deutschland und Europa, gespeist von einer zerrissenen Medienwelt. Was können wir von den Vorgängen in den USA lernen?

Dass wir Öffentlichkeit, verstanden als geistigen Lebensraum einer liberalen Demokratie, als schützenswertes Gut begreifen sollten. Dieser Schutz ist nur, auch das wird deutlich, als ein Miteinander unterschiedlicher Player möglich. Es braucht die Schulen als Institutionen der Medienbildung. Es braucht darüber hinaus eine kluge Plattformregulierung, um gegen Desinformation zu kämpfen, ohne die Kommunikationsfreiheit zu beschneiden. Und es braucht einen starken, seriösen Journalismus. Für mich ist das die konkrete Utopie einer redaktionellen Gesellschaft.

Reicht diese Utopie aus, um der von Ihnen beschriebenen „aggressiven Desinformation“ in Teilen des Internets und der Medienwelt wirkungsvoll zu begegnen?

Jedenfalls gilt: Menschen brauchen sauberes Wasser, Gesellschaften saubere Information. Und auch die Corona-Pandemie und die Verbreitung von Gerüchten und Verschwörungstheorien hat noch einmal gezeigt, in welchem Maße eine werteorientierte Medienbildung fehlt.

Was bedeutet das?

Es bedeutet, dass ein eigenes Schulfach nötig ist. Hier könnte man die Macht der Medien verstehen lernen, sich mit der Frage befassen, was eine seriöse Quelle ist – und was nicht. Man könnte die Kunst der Rhetorik als ein Ringen um das bessere Argument erlebbar machen. Und sich mit der ungeheuren Irrtumsanfälligkeit des Menschen auseinander setzen. Das Problem ist doch: Wir sind im digitalen Zeitalter alle zu Sendern geworden, medienmächtig, aber noch nicht medienmündig. Und eben deshalb sollten die Prinzipien des guten Journalismus zu einem Element der Allgemeinbildung und in den Schulen gelehrt werden. Denn in diesen Prinzipien – „sei skeptisch, orientiere dich an der Wahrheit, prüfe erst, publiziere später, vertraue nie nur einer Quelle“ – liegt eine Kommunikationsethik, die heute jeden angeht.

Dabei spielt Wertschätzung eine zentrale Rolle. Ist es nicht so, dass Respekt im digitalen Zeitalter auf dem Rückzug ist?

Ich bin nicht ganz so pessimistisch. Ja, es gibt jede Menge Hass, oft im Netz. Ja, es gibt die moralisierende Hypersensibilität, manchmal auch in der akademischen Welt. Aber es gibt auch das echte Bemühen um Respekt und Wertschätzung in Schulen, Unternehmen, Universitäten. Wir leben, kommunikationsanalytisch betrachtet, in einer Gesellschaft der Gleichzeitigkeiten, so die These meines aktuellen Buches mit dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun. Und wir sagen: In der vernetzten Welt, in der Ansichten, Perspektiven und Ideologien permanent aufeinander prallen, gilt es, die Tugend der respektvollen Konfrontation zu trainieren.

Was heißt das konkret?

Das heißt: Sich nicht wegducken, nicht ausweichen, klar Position beziehen, aber nicht auf die Abwertungsspirale einschwenken. Sonst trägt man zum weiteren Ruin des Kommunikationsklimas bei.

Im Fall Donald Trump kommt man an Totalabwertung aber kaum vorbei.

Jedenfalls lebt ein echtes Gespräch von der Einsicht, dass Wahrheit zu zweit beginnt. Und dass der andere Recht haben könnte. Diese Haltung taugt nicht für den Umgang mit dem Typus des skrupellosen Extremisten. Und doch ist die Ausweitung der Dialogzonen unbedingt wünschenswert.

Experte für Medien und Kommunikation

„Das Problem ist doch: Wir sind im digitalen Zeitalter alle zu Sendern geworden, medienmächtig, aber noch nicht medienmündig.“ Das sagt der Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen. Fotos: Albrecht Fuchs, Giacinto Carlucci

„Das Problem ist doch: Wir sind im digitalen Zeitalter alle zu Sendern geworden, medienmächtig, aber noch nicht medienmündig.“ Das sagt der Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen. Fotos: Albrecht Fuchs, Giacinto Carlucci

Der gebürtige Freiburger Bernhard Pörksen (Jahrgang 1969) ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Er studierte Germanistik, Journalistik und Biologie in Hamburg. Pörksen beschäftigt sich unter anderem intensiv mit dem Medienwandel im ­digitalen Zeitalter, Kommunikationsmodellen und Inszenierungsstilen in Politik und Medien. Die jüngste von zahlreichen Veröffentlichungen (mit Friedemann Schulz von Thun): Die Kunst des Miteinander-Redens. Carl Hanser Verlag, München 2020, 223 Seiten, 20 Euro.

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Erstellt:
19.09.2020, 10:44 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 45sec
zuletzt aktualisiert: 19.09.2020, 10:44 Uhr

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