Liedermacher

Interview mit Philipp Poisel: „Probleme nicht schönsingen“

Philipp Poisel thematisiert vor allem Situationen und Gefühle, die er selbst erlebt hat. Was sein viertes Album „Neon“ ausmacht, verrät er im Interview.

16.09.2021

Von Udo Eberl

Der Sänger Philipp Poisel steht im August beim Auftakt der Strandkorb Open Air Tour Berlin-Brandenburg auf der Rennbahn Hoppegarten auf der Bühne. Foto: Britta Pedersen

Der Sänger Philipp Poisel steht im August beim Auftakt der Strandkorb Open Air Tour Berlin-Brandenburg auf der Rennbahn Hoppegarten auf der Bühne. Foto: Britta Pedersen

Ludwigsburg. Eigentlich könnte man meinen, beim 38-jährigen Pop-Liedermacher Philipp Poisel hat sich in den vergangenen Jahren kaum etwas verändert. Noch immer könnte er sich am Seerosenteich in Betrachtungen und Gedanken verlieren, die ganze Melancholie dieser Welt in sich aufnehmen oder sich auf der Fahrt zwischen Toulouse und Marseille verfranzen. Genau diese Ruhe, die auch in der Suche nach den passenden Worten und Formulierungen zum Ausdruck kommt, gibt seinem vierten Album „Neon“ die besondere Note.

Sie melden sich fast immer nur dann zu Wort, wenn es neue Songs gibt oder Konzerte gespielt werden – ungewöhnlich in Zeiten des dauernden Teilens von nahezu allem.

Philipp Poisel : Aus meinem Leben gibt es eben nicht viel zu erzählen. Ich träume gerne in den Tag hinein und hänge meinen Gedanken nach. Und oftmals ist mir das einfach zu mühsam, bei jeder Kleinigkeit eine Kamera aufzustellen, um mich in Szene zu setzen und in der Öffentlichkeit irgendwie bemerkbar zu machen. Es geht bei mir doch primär um Musik und nicht darum, wie mein Frühstück aussieht und schmeckt.

Dann erzählen Sie uns doch an dieser Stelle, wie Sie Ihr künstlerisches Leben in den vergangenen vier Jahren seit dem dritten Album gefüllt haben.

Vor den Lockdowns war ich noch auf Tour und habe eine EP mit neuen Songs herausgebracht. Außerdem wurde ich beispielsweise von Peter Maffay für seine MTV Unplugged eingeladen. Gerade für solche Anfragen war und bin ich sehr dankbar. Hinzu kommt aber auch, dass ich ein sehr langsamer kreativer Arbeiter bin.

Ist die Band für Ihre Songs über die Jahre immer wichtiger geworden?

Die Band erweitert mein musikalisches Spektrum und potenziert alles. Ich hätte sicherlich nicht so viele gute Songs, wenn ich nicht diese Musiker um mich herum hätte. Auf der Bühne sind mir aber auch Momente sehr wichtig, in denen ich wie in den frühen Jahren meiner Karriere allein mit der Gitarre einen Song spontan ganz anders interpretieren kann.

Sind Sie die letzte Instanz, wenn es um das Finish der Songs geht?

Ich vertraue da sehr meinem Produzenten Frank Pilsl, der mich auf dem Weg zu einem Album begleitet, mir manchmal den Weg weist und ohne den ich sonst niemals fertig werden würde. Auch die Band bringt sich natürlich ein. Am Ende ist es also immer Teamwork, und manchmal gibt es für einen Song einfach auch keine Alternative. Die ersten Aufnahmen der Session zu „Keiner kann sagen“ waren so intensiv und roh, das haben wir so oder so ähnlich im Studio nie wieder hinbekommen. Dann nimmt man besser diese erste, tontechnisch nicht so perfekte Fassung.

Ein besonderer Song des Albums ist „Alt und grau“, in dem die Worte fast schon theatralisch betont werden.

Wobei hier die Musik zuerst da war und sozusagen den Takt vorgibt. Das Theatralische war also bereits in der Musik anlegt, kommt aber durch das Unspektakuläre, das diesen Song ausmacht, noch mehr zur Geltung. Wenn man diesen Text als Gedicht sprechen würde, hätte er sicherlich nicht eine solche Wirkung.

„Ich habe mich nie als einen reinen professioneller Sänger gesehen“

In einigen Songs klingt es so, als hätte Ihre Stimme an Volumen zugelegt.

Ich habe mich nie als einen reinen professioneller Sänger gesehen, immer eher als Singer-Songwriter. Vor meiner ersten Arena-Tour habe ich dann aber doch Gesangsunterricht genommen. Es fühlt sich gut an, wenn die Stimme kräftiger klingt und man sich jederzeit auf sie verlassen kann – auch wenn ich hier noch lange nicht am Ziel bin.

Was von uns bleibt“ beschreibt unser aller Untätigkeit am Beispiel einer Beziehung. Wie sehr bewegt Sie selbst beispielsweise das Klima-Thema? ??

Ich habe mich da als Aktivist bisher nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Ich ?bin aber auch nicht der Meinung, dass man sich Probleme schönsingen sollte oder man mit Liedern die Welt verändern kann. Da sollte man sich lieber bewusst um einen besseren eigenen, globalen Fußabdruck bemühen.

Meist drehen sich Ihre Songs um Ihren Beziehungsstatus und werden zu kleinen Kurzfilmen. Haben Sie kein Interesse an einem ganz anderen Drehbuch?

Ich habe keine große Lust, über erfundene und fiktiv erdachte Themen zu singen und das dann bei den Konzerten über viele Jahre hinweg. Wenn man so wie ich über Situationen und Gefühle singt, die man kennt oder erlebt hat, kann eigentlich nichts schief gehen. Ich schreibe ja auch Songs, um mich selbst wieder in Balance zu bringen und ein Ventil zu haben.

Der Song „Wunder“ wird von einem Beat angetrieben, der an Bands wie Can und Krautrock erinnert.

Genau das ist auch die Referenz. Die Krautrock-Legende Michael Rother konnte ich als Label-Kollegen beim Geburtstag zu 20 Jahre Grönland Records live erleben. Das hat mich sehr inspiriert. Andere, die an „Wunder“ beteiligt waren, konnten mit dem Sound nicht so viel anfangen. Das hat mich sehr verwundert, denn Krautrock ist doch eines der wenigen musikalischen Phänomene, mit dem Deutschland international richtig mitgemischt hat. Als ich den Song schrieb, war ich so im Sog des Beats, ich hätte ein ganzes Krautrock-Album aufnehmen können.

Wie kam es zum Volksfest-Video für den Song „Das Glück der anderen Leute?“

Mich hat der Film „The Place Beyond the Pines“ mit Ryan Gosling, in dem er einen Motorradfahrer auf dem Rummel spielt, an meine Kindheit erinnert. Mit einem älteren Verwandten, der für mich wie ein Opa war, durfte ich jedes Jahr zum Markgröninger Schäferlauf und dem Volksfest mit seinen Karussells und Boxautos. Genau diese Stimmung mit all den vielen Menschen und Lichtern, mit den großen Augen eines Kindes gesehen, sollte mein Kameramann Beppo für mich einfangen. Wir drehten dann auf dem Cannstatter Wasen. Gerade für Videodrehs habe ich immer wieder Ideen, die oftmals erst später zu einem Lied passen und sozusagen aus dem Archiv geholt werden können. Ich bringe mich da schon sehr ein, denn Film ist eine meiner weiteren großen Leidenschaften.

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Erstellt:
16.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 06sec
zuletzt aktualisiert: 16.09.2021, 06:00 Uhr

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