Im Betrieb als Azubi erwünscht, als Flüchtling nicht

Integriert, zuverlässig, pünktlich – und trotzdem abgelehnt

Ruhin Karimi macht eine Lehre als Kfz-Mechaniker in einem Mössinger Betrieb. Seine Chancen auf anschließende Übernahme sind sehr gut. Trotzdem soll er zurück nach Afghanistan.

21.03.2017

Von Moritz Siebert

Seit einem halben Jahr repariert Ruhin Karimi in einer Mössinger Werkstatt Autos und Motorräder. Sein Ausbilder Matthias Marxen (hinten) ist auf seine Arbeitskraft angewiesen und würde ihn gerne übernehmen. Bild: Rippmann

Seit einem halben Jahr repariert Ruhin Karimi in einer Mössinger Werkstatt Autos und Motorräder. Sein Ausbilder Matthias Marxen (hinten) ist auf seine Arbeitskraft angewiesen und würde ihn gerne übernehmen. Bild: Rippmann

Am 16. November 2015 kam Ruhin Karimi in Deutschland an. Drei Monate war er unterwegs, über Pakistan, die Türkei, Mazedonien und Griechenland flüchtete er aus Afghanistan. „Es war schlimm“, sagt Karimi. Lange Wege musste er zu Fuß zurücklegen. Schleuser organisierten alles. Nach Stationen in Karlsruhe und Tübingen kam er vor einem halbem Jahr nach Mössingen in die Flüchtlingsunterkunft in der Richard-Burkhardt-Straße.

Zwei Häuser weiter in derselben Straße betreibt Matthias Marxen die Werkstatt „MAM“, mit ein paar Gesellen repariert er Autos und Motorräder. „Wir machen alles“, heißt es dort. Eines Tages fragte Karimi einfach, ob er helfen könne. Als der 19-Jährige nicht locker ließ und immer wieder vorbeikam, begann Marxen sich über die rechtliche Lage für die Beschäftigung eines jungen Mannes ohne Flüchtlingsstatus zu informieren. Arbeitskräfte sucht er schließlich händeringend. Lange Briefwechsel und zahllose Telefonate mit Ämtern folgten. „Es kostet immens viel Zeit“, erzählt Marxen. Irgendwann habe er nur noch darum gebeten: „Sagt mir doch endlich mal, wie es geht, und nicht immer nur, wie es nicht geht.“

Vom Gehalt bleiben 50 Euro

Nach zwei Monaten durfte Marxen Karimi als Praktikanten beschäftigen. Seit September ist er Auszubildender. In der Werkstatt wird nur deutsch gesprochen, Karimi kann sich ohne Probleme verständigen. „Er passt sehr gut ins Team“, sagt Marxen: „Außerdem ist er zuverlässig und pünktlich.“ Von seinem Lehrlingsgehalt darf Karimi etwa 50 Euro behalten. „Da findet man nicht viele, die trotzdem motiviert sind.“ Marxen würde ihn nach der Ausbildung gerne übernehmen.

Vor einigen Tagen hat Karimi aber einen Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekommen: Sein Antrag auf Asyl wird nicht anerkannt. Deutschland soll er innerhalb von 30 Tagen verlassen. „Der Antragsteller verfügt im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären“, heißt es im Schreiben. Er sei gesund, jung, in arbeitsfähigem Alter und deswegen in der Lage, sich in Afghanistan ein „Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren“.

Karimi schüttelt den Kopf. Nein, gerechnet habe er damit überhaupt nicht. „Wir waren alle entsetzt“, sagt Marxen. Wochenlang habe er sich durch den Behördendschungel gearbeitet, um einem jungen Flüchtling einen Ausbildungsplatz bieten zu können. „Und jetzt soll alles umsonst gewesen sein?“

In seiner Heimatstadt sei von keiner erhöhten Bedrohungslage auszugehen, urteilt das Amt. Karimi sieht das anders und erzählt seine Geschichte, wie er sie auch bei der Anhörung für seinen Asylantrag in Eningen unter Achalm kurz vor Weihnachten 2016 erzählt hat. Vor der Flucht habe er im Laden seines Onkels in Masar-e Scharif im Norden des Landes in der Nähe des deutschen Konsulats gearbeitet. Verkauft habe er auch Alkohol – unter der Theke, vor allem an deutsche Soldaten.

Mehrfach sei er daraufhin anonym angerufen und aufgefordert worden, die Stadt zu verlassen. Dann standen plötzlich acht Männer im Laden. „Sie haben mich festgehalten, geschlagen und mit einem Messer in den Rücken gestochen“, erzählt Karimi. Wer die Männer waren? „Taliban“, antwortet er. Zur Polizei ging er nicht. Die sei korrupt. Und davon abgesehen habe er sich mit dem Verkauf und Konsum von Alkohol selbst strafbar gemacht. Aus Angst habe er das Haus drei Monate lang nicht mehr verlassen. Gemeinsam mit seinem Vater traf er schließlich die Entscheidung, dass eine Flucht nach Europa die beste Lösung sei.

Im Ablehnungsbescheid heißt es, „ob die Bedrohung durch die acht, nicht näher klassifizierten Personen glaubhaft ist, kann dahingestellt bleiben“. Und wenn: Eine „flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung“ lasse sich nicht ableiten. „Afghanistan ist kein sicheres Land“, sagt Karimi. Kontakt zu Freunden und Familie hält er via Facebook. Wöchentlich berichteten sie von Explosionen. Seine Verlobte studiert in Masar-e Scharif. Auf die Straße gehe sie nicht, zur Uni könne sie nur mit dem Auto.

Was Marxen auch ärgert: Beim Entscheid über Karimis Asylantrag sei seine gute Situation in Deutschland nicht berücksichtigt worden. „Das hat überhaupt keine Rolle gespielt.“ Die Entscheidung wollen Marxen und Karimi nicht hinnehmen. Einen Antrag auf Duldung haben sie bereits gestellt. Wenn dieser durchgeht, könnte Karimi seine Lehre in Mössingen abschließen. Das Recht, anschließend in Deutschland zu bleiben, schließt das aber nicht mit ein. Gleichzeitig gehen die beiden rechtlich gegen den Bescheid vor. Die Kosten für den Anwalt teilen sich der Mössinger Asylkreis und Karimis Kollegen.

Ein Lehrstellenplatz bliebe frei, sagt Marxen. In den vergangenen Jahren sei es immer schwieriger geworden, Auszubildende für den Kfz-Bereich zu finden. Für Stellenanzeigen habe er schon tausende Euro ausgegeben, weitere tausend Euro, um einen jungen Mechaniker von einer anderen Werkstatt abzuwerben.

Wie es in Afghanistan für ihn weitergehen soll, wenn er tatsächlich gehen muss, das wisse er nicht, sagt Karimi. Den Laden, in dem er früher arbeitete, gibt es jedenfalls nicht mehr.

Zur Ablehnung von Asylanträgen

Integrationsleistungen wie die Aufnahme einer Ausbildung haben auf das Asylverfahren keinen Einfluss, erklärt Markus Riedl von der Pressestelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Dieses ist nur für das Asylverfahren zuständig und entscheidet, „ob Schutz zu gewähren oder ein Asylantrag abzulehnen ist“. Beim Asylverfahren handle es sich immer um eine Einzelfallprüfung: Bewertet werde immer die individuell vorgetragene Fluchtgeschichte, so Riedl. Wenn das Bundesamt entscheidet, dass keine Schutzgründe vorliegen, erlässt es eine Ausreiseaufforderung. Für die Realisierung der Abschiebung sind die Bundesländer zuständig. Die Ausländerbehörden der Länder können aus bestimmten Gründen eine Duldung aussprechen: Grund für eine „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“ kann etwa eine Integrationsleistung wie eine laufende Ausbildung sein. Gegen die Ablehnung einer Asylanerkennung können Betroffene auch Widerspruch einlegen. Erst wenn ein Gericht die Ausreisepflicht des Geflüchteten feststellt, kommt die Einzelprüfung des jeweiligen Landes zum tragen.

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Erstellt:
21.03.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 56sec
zuletzt aktualisiert: 21.03.2017, 01:00 Uhr

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