Gesellschaft

Indien wird 2023 bevölkerungsreichstes Land - große Herausforderungen

In Indien leben bald so viele Menschen wie sonst nirgendwo. Mit seinen vielen jungen Menschen steht das Land vor großen Chancen und gewaltigen Herausforderungen.

08.12.2022

Von dpa

Dicht an dicht: Menschenmengen auf einem Markt in Indiens Hauptstadt Mumbai.  Foto: Rajanish Kakade/AP/dpa

Dicht an dicht: Menschenmengen auf einem Markt in Indiens Hauptstadt Mumbai. Foto: Rajanish Kakade/AP/dpa

Neu Delhi . Nur in China leben aktuell noch mehr Menschen als in Indien. Doch im kommenden Jahr dürfte sich dies laut Prognosen der Vereinten Nationen ändern: Dann soll es in beiden Ländern über 1,4 Milliarden Einwohner geben. Auch darüber hinaus soll die Bevölkerung Indiens weiterwachsen, während die Chinas abnimmt. Dies sind Herausforderungen für das neue bevölkerungsreichste Land der Welt:

Junge und Alte Rund zwei Drittel der Bevölkerung Indiens – also rund 900 Millionen Menschen – sind im arbeitsfähigen Alter zwischen 15 und 64. Und diese Gruppe dürfte in den kommenden Jahren weiter wachsen – anders als in westlichen Ländern wie Deutschland, wo die Bevölkerung zunehmend überaltert. Indische Politiker haben diese Tatsache immer wieder als „Demografische Dividende“ bezeichnet, als Booster für die Wirtschaft und als Chance, die Lebensumstände von Millionen zu verbessern.

Bildung und Jobs Die vielen jungen Menschen könnten also eine Chance für Indien sein. Aber es gibt ein Problem: Zwar wächst die Wirtschaft relativ schnell, für das Wachstum sind aber vor allem Firmen im Dienstleistungssektor verantwortlich, die vergleichsweise wenige Jobs generieren. So finden viele keinen Job und hängen vom Geld ihrer Familienmitglieder ab. Oft haben sie auch keine gute Ausbildung. Denn eine wirklich gute Ausbildung an guten Schulen erhalten nur relativ wenige. Von den Frauen arbeitet nach verschiedenen Schätzungen gerade mal ein Drittel, was unter anderem mit dem Jobmangel und den konservativen Werten im Land zusammenhängt.

Gesundheit und Krankheit In Indien hat die Zahl der Menschen, die an nichtübertragbaren Krankheiten wie Herz- oder Lungenleiden gestorben sind, deutlich zugenommen: Nach Daten der indischen Regierung waren zuletzt mehr als 60 Prozent aller Todesfälle in Indien auf solche Krankheiten zurückzuführen, vor drei Jahrzehnten waren es weniger als 40 Prozent. Gründe für die vielen Krankheitsfälle sind beispielsweise die starke Luftverschmutzung und Unterernährung. Gleichzeitig gibt die Regierung weniger als drei Prozent ihres Haushalts für Gesundheit aus, wie Alakh N. Sharma, Direktor des Institute for Human Development (IHD) in der Hauptstadt Neu Delhi, sagt. Auch dies führe dazu, dass viele keinen Zugang zu guter Gesundheitsinfrastruktur hätten: „Indien sollte sich in den nächsten paar Jahre eine Krankenversicherung für alle leisten.“

Armut und Reichtum Die Armut in Indien hat über die Zeit insgesamt abgenommen – doch wegen der großen Bevölkerung hat das Land nach wie vor die weltgrößte Zahl an Armen, wie das UN-Entwicklungsprogramm UNDP betont. Und die Ungleichheit nimmt zu: Laut der Hilfsorganisation Oxfam besitzen zehn Prozent der indischen Bevölkerung 77 Prozent des Reichtums im Land. Habe es im Jahr 2000 noch neun Milliardäre gegeben, so seien es inzwischen 199. Wenige Menschen tragen viel zur Wirtschaftsleistung des Landes bei, viele wenig. So sieht man in weniger florierenden Gegenden wenig vom modernen Indien. Und: Mehr als die Hälfte der Menschen leben von der Landwirtschaft, viele von kleinen Betrieben.

Zugang zu Wasser In Indien leben laut Weltbank gut 18 Prozent der Weltbevölkerung, doch nur vier Prozent der Wasserressourcen gibt es hier. So haben viele Menschen Mühe, an Wasser zu kommen. Und die Situation wird angesichts der Klimakrise und des Verschwindens von Grundwasser noch verschärft, wie eine Denkfabrik der Regierung schon 2018 warnte. Rund sechs Prozent der Bevölkerung haben keinen gesicherten Zugang zu sauberem Trinkwasser. Und dieser schlechte Zugang zu Wasser betrifft besonders Frauen: Oft müssen sie stundenlang in Schlangen bei Wasserpumpen warten oder weite Wege zu anderen Wasserquellen zurücklegen. IHD-Direktor Sharma glaubt, dass die Ressourcenprobleme in den Städten künftig noch zunehmen könnten, da Menschen für die Arbeit zunehmend dorthin ziehen: „Die Regierung hat unsere Städte nicht wirklich geplant. Und das kann man sehen.“

Mit und ohne Verhütung Noch wächst die Bevölkerung in Indien. Aber die Geburtenrate geht allmählich zurück: Seit einiger Zeit haben Inderinnen nach offiziellen Zahlen im Schnitt nur noch zwei Kinder in ihrem Leben, das ist weniger als die für eine stabile Bevölkerung nötige Reproduktionsrate von 2,1. Demnach nutzen inzwischen rund zwei Drittel der Paare Verhütungsmittel. Vor fünf Jahren tat dies erst jedes zweite Paar. dpa

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Milliarden Menschen werden 2023 voraussichtlich sowohl in Indien als auch in China leben. Doch während die Bevölkerung in Indien tendenziell weiterwächst, schrumpft sie in China.