Reutlingen

Am Rad und in den Ruin gedreht

Thomas de Marco über den Erfinder des Riesenrads

03.09.2020

Von Thomas de Marco

•Hoch hinaus geht es bis 4. Oktober auf dem Reutlinger Marktplatz. Einzelhändler und Gastronomen haben dort das 35 Meter hohe Riesenrad „White Star“ der Wormser Schaustellerfamilie von Christian Göbel gebucht, das am Mittwoch aufgebaut wurde. 26 Gondeln für bis zu 104 Personen warten nun auf Passagiere. Bild: Horst Haas

•Hoch hinaus geht es bis 4. Oktober auf dem Reutlinger Marktplatz. Einzelhändler und Gastronomen haben dort das 35 Meter hohe Riesenrad „White Star“ der Wormser Schaustellerfamilie von Christian Göbel gebucht, das am Mittwoch aufgebaut wurde. 26 Gondeln für bis zu 104 Personen warten nun auf Passagiere. Bild: Horst Haas

Gekommen sind 50 Journalisten, die gebannt in die Luft starren, wo eine Frau 80 Meter über dem Erdboden ein Glas Champagner in die Höhe hält und auf das Riesenrad anstößt. Nein, die Szene hat sich nicht am Donnerstag auf dem Reutlinger Marktplatz bei der ersten Fahrt des großen Rads abgespielt, sondern 127 Jahre früher in Chicago. Dort hatte George Washington Gale Ferris junior für die Weltausstellung am großen Rad gedreht – und die Ehre der USA wieder hergestellt.

Denn der Franzose Gustav Eiffel hatte 1889 die USA mit seinem Meisterwerk in Paris geschockt. Die Macher des „Chicago World’s Fair“ hatten deshalb den klaren Auftrag erhalten, vier Jahre später den Eiffelturm zu übertreffen. Das Angebot von Eiffel selbst, diesen Job mit einem noch höheren Turm zu erledigen, wurde empört abgelehnt. Doch auch Ferris konnte mit seiner Idee, ein aufgerichtetes Rad mit Gondeln so groß wie Straßenbahnwaggons aufzustellen, zunächst nicht landen. Der Ingenieur wurde vielmehr für seine Idee verlacht. Doch der 33-Jährige, der eigentlich Brücken baute, war von der hartnäckigen Sorte. Und er kam tatsächlich beim dritten Versuch zum Zug – vor allem, weil sich vier Monate vor dem Start der Weltausstellung keine brauchbaren Alternativen aufdrängten.

Und dann setzte Ferris alles daran, dass seine Idee Fahrt aufnahm: Er gründete die „Ferris Wheel Company“ und holte Investoren ins Riesenrad. Pünktlich zur Weltausstellung drehte sich die Weltsensation in Chicago, hunderttausende Schaulustige kamen zu den ersten Umdrehungen, an allen 36 Gondeln flatterten die US-Flaggen. Vier Monate lang genossen die Menschen den Nervenkitzel hoch über der Stadt, wurden Ehen in den Gondeln geschlossen, Dichter und Komponisten ließen sich vom Riesenrad inspirieren.

Doch im November 1893 war die Weltausstellung vorbei – und damit auch die große Schau des „Ferris Wheel“. Der Erfinder fand danach keinen Ort mehr, an dem er sein Riesenrad hätte aufstellen und Geld mit seiner Idee verdienen können. Zumal nun der Börsencrash vom Mai des selben Jahres voll auf die Wirtschaft durchschlug. Auch mit der „Ferris Wheel Company“ ging es steil bergab, der Erfinder des Riesenrads war finanziell ruiniert und starb drei Jahre später im Krankenhaus in Pittsburgh an Typhus im Alter von nur 37 Jahren.

Seine Idee aber drehte sich weiter, vor allem in Europa hatten sie große Lust auf Höhenluft: London installierte 1895 das erste europäische Riesenrad, Blackpool (1896), Wien mit dem Rad im Prater (1897) und Paris (1900) folgten. Und seit Donnerstag dreht auch Reutlingen am großen Rad – allerdings ist das nur bis zum 4. Oktober auf dem Marktplatz in Rotation. Und ruinieren wird sich garantiert auch keiner der Verantwortlichen.

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Erstellt:
03.09.2020, 21:34 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 23sec
zuletzt aktualisiert: 03.09.2020, 21:34 Uhr

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