Pandemie

Impfen in Praxen und mehr Geld

Die Corona-Beschlüsse sollen durch Einbeziehung der Hausärzte die Immunisierung beschleunigen – und werden weitere Milliarden kosten.

05.03.2021

Von E. Hasenkamp, D. Keller & H. Zenker

Auch Arztpraxen sollen bald das Impfen übernehmen. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Auch Arztpraxen sollen bald das Impfen übernehmen. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Impfkampagne, Föderalismus und der Bundeshaushalt: Was bedeuten die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vom Mittwochabend für diese Bereiche?

Impfen: Angesichts des bisher so miserablen Impf-Managements sollen immer mehr Arztpraxen in das Impfen einbezogen werden – bisher gibt es nur Pilotprojekte. Zurzeit wird fast ausschließlich in Impfzentren und durch mobile Teams Vakzin verabreicht. Ab der zweiten Märzwoche sollen sich ausgewählte Praxen beteiligen, ab Ende März/Anfang April Arztpraxen dann flächendeckend.

Das Bundesgesundheitsministerium erklärt dazu, dass „spätestens im April deutlich mehr Impfstoff zur Verfügung stehen wird, als die Bundesländer verimpfen können“. Die Abstimmung mit Großhandel, Apotheken, Kassenärzten und Ländern für die Umstellung auf die Praxen stehe kurz vor dem Abschluss. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) meint denn auch, das Virus sei nur in den Griff zu bekommen, wenn man die Praxen der Haus- und Fachärzte schnell einbinde, so KBV-Vorstandschef Andreas Gassen: „Das hat die Politik im Grundsatz auch erkannt.“

Die KBV rechnet bereits für Mitte April mit drei Millionen Impfdosen pro Woche. Ab Anfang Mai seien sogar fünf Millionen Impfdosen wöchentlich zu erwarten. Das sei nur mit Hilfe der 50?000 dafür in Frage kommenden Haus- und Facharztpraxen zu bewältigen, schließlich verimpfe man seit Jahrzehnten etwa Grippe-Vakzine.

Aufwendige Einladungsverfahren müsse es, ausreichende Impfstoffmengen vorausgesetzt, dann nicht mehr geben, es gehe dann immer der Reihe nach. Das Impfen in vertragsärztlichen Praxen sei, sagt KBV-Vize Stephan Hofmeister, „tägliche ärztliche Routine und vor allem dann schnell, wenn die Rahmenbedingungen unbürokratisch sind und man die Praxen machen lässt“. Aber natürlich könnten „nicht alle am Montag um acht Uhr rankommen, da muss man auch schon mal bis Freitag warten“.

Damit würden dann die bisher üblichen Wege über Telefon-Hotlines, Einladungsschreiben und Online-Portale, je nach Bundesland verschieden, hinfällig. Völlig einig ist sich die Ärzteschaft aber nicht. So fordert der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte „ein flächendeckendes Einladungssystem, bei dem die Krankenkassen die Patienten anschreiben“, sagte Präsident Thomas Fischbach. Die Kassen hätten die Expertise und die Patientendaten dafür. Sollte der Start der Impfungen in den Praxen klappen, geht die KBV davon aus, dass bis August jeder Deutsche, der das will, geimpft sein kann.

Nachtragshaushalt: Nicht nur die kostenlosen Schnelltests pro Person und Woche vom kommendem Montag an kosten den Bund Geld – wie viel genau, wird derzeit im Finanzministerium ermittelt, wobei unklar ist, wie viele Monate es die Tests geben soll. Jedenfalls kommt schnell eine stolze Summe zusammen. Von drei Milliarden ist die Rede. Auch an anderen Stellen sind Zusatzausgaben schon absehbar: So übernimmt der Bund die Hälfte am Kinderbonus, den eigentlich die Länder schultern sollten – Kosten drei Milliarden Euro. Gut doppelt so viel dürfte die Bundesagentur für Arbeit zusätzlich brauchen, insbesondere, weil sie mehr und länger Kurzarbeit zahlen muss.

Die Wirtschaftshilfen dürften teurer werden. Zudem zeichnen sich Zusatzausgaben abseits von Corona ab, etwa in der Pflege. Daher dürfte der Sicherheitspuffer von 35 Milliarden Euro nicht ausreichen, den der Bundestag in den Etat 2021 geschrieben hatte. In Regierungskreisen heißt es, es könnten zusätzlich etwa 50 Milliarden Euro erforderlich sein. Dafür muss der Bundestag einen Nachtragshaushalt beschließen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) trägt derzeit Wünsche und Machbares zusammen. Das Bundeskabinett bringt ihn voraussichtlich am 24. März ins Parlament.

Einheitlichkeit versus Flickenteppich: Vereinheitlicht wurde der Umgang mit Buchhandlungen, Blumengeschäften und Gartencentern, für die bisher von Land zu Land unterschiedliche Öffnungsregeln galten. Nun werden sie bundesweit – unter Beachtung von Hygieneauflagen – geöffnet. Auf der anderen Seite sieht das neue Konzept für Öffnungsschritte ausdrücklich Unterschiede nach Bundesland oder sogar nach Regionen vor.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, bislang Gegnerin föderalen Durcheinanders, verspricht sich davon, „dass wir durch diese Regionalisierung und auch die Länderbezogenheit, mit der wir jetzt arbeiten, eine größere Vielfalt haben und dadurch Anreize schaffen, dass sich jeder noch mehr anstrengt, dass wir wieder möglichst viel normales Leben zurückgewinnen können“.

Aktuell liegt die Spreizung der Landkreise zwischen einer Sieben-Tage-Inzidenz von unter zehn bis über 300. Künftig könnten also verschiedenste Regeln für Gartenlokale, Opernhäuser und Sportstätten in Deutschland gelten – einschließlich der „Sogwirkung“ in bereits geöffneten Regionen. Verhindert werden soll das durch „gemeinsame Absprachen“, heißt es dazu nur.

Zum Artikel

Erstellt:
05.03.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 09sec
zuletzt aktualisiert: 05.03.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!