TAGBLATT-Austräger

Immer motiviert fürs morgendliche Fitnessprogramm

Kurt Ettrich trägt seit den 1980er-Jahren bei Wind und Wetter das TAGBLATT aus. Wir begleiteten ihn bei seiner Tour durch Dußlingen.

02.01.2019

Von Julia Stapel

Um 4.30 beginnt der Arbeitstag von Zeitungsausträger Kurt Ettrich. Früh aufstehen war für ihn noch nie ein Problem, versichert er. Bild: Klaus Franke

Um 4.30 beginnt der Arbeitstag von Zeitungsausträger Kurt Ettrich. Früh aufstehen war für ihn noch nie ein Problem, versichert er. Bild: Klaus Franke

Minus zwei Grad am Montagmorgen. Ein älterer Herr betritt seine Garage, setzt sich auf einen Hocker und zieht seine Spike-Winterstiefel an. Denn draußen ist es eisglatt. Er steht auf, stapelt Zeitungen in seinen Handwagen, zieht seine dicken Handschuhe an und macht sich auf den Weg zum ersten Briefkasten. So wie er das seit 43 Jahren macht. So lange trägt Kurt Ettrich das SCHWÄBISCHE TAGBLATT schon in Dußlingen aus.

Einige sind noch im Land der Träume, während Ettrich unterwegs ist. „Ich stehe um Viertel nach vier auf, und um halb starte ich meine Tour.“ Er sei als Kind schon früh aufgestanden, „weil unser Schulweg so weit war. Mir fällt das leicht.“ Sechs Mal die Woche, von Montag bis Samstag, trägt er 60 Zeitungen aus.

Für die Tour braucht der Senior unterschiedlich lange. „Es kommt darauf an, wie es zum Laufen ist und wie man läuft.“ Er hat überschlagen, dass er für rund drei Kilometer eine Stunde braucht. Ursprünglich war seine Frau die Austrägerin in der Familie. 63 Jahre sind sie verheiratet. Schon 1975 hat sie hauptberuflich Zeitungen ausgetragen. „Das war die Hochglanzzeit mit 160 Zeitungen, die Tour ging runter bis zur B27.“ Aufgrund eines Pflegefalls in der Familie übernahm Ettrich 1980 die Tour seiner Frau und verkleinerte sie auf rund 90 Zeitungen.

Ettrich arbeitete als Metzger und trug nebenher Zeitungen aus, heute macht er das als Minijob, bei dem er nach Mindestlohn bezahlt wird. „Die Bezahlung ist gut, und ich freu’ mich bis heute, wenn der Zahltag da ist.“

Heutzutage gibt es für die Austräger einen Handwagen als Hilfe. „Früher hat man noch alles am eigenen Leib getragen.“ Seinen Handwagen hat er selbst verbessert, indem er eine Decke darüber befestigt hat, die die Ware besser gegen Wind und Regen schützt.

Außerdem hat er seinen flottes Wagen noch geschickter gemacht, indem er ein Staubsaugerrohr befestige, damit er ihn bequem vor sich herschieben kann. Dann kann ja nichts mehr schief gehen, Ettrich schiebt los. Was ihn jetzt noch aufhalten kann, ist nur der Ärger über einen Roller, der den Gehweg blockiert. Oder er bricht sich wegen Glätte das Sprunggelenk. Auch schon passiert: „Da war’s glatt, dann kam ein kleiner Rutscher, und dann hat’s gekracht. Ich hab’ die restlichen verteilt und dann zuhause gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich bin die Klinik gefahren, und die haben mich gleich dabehalten.“ Das ist 15 Jahre her und seine Verletzung ist gut verheilt.

Ausreden kennt der über 80-Jährige keine – egal ob es kalt, neblig, heiß oder windig ist. Auch außerhalb der Arbeit legt er Wert auf Bewegung. Daheim radelt er auf seinem Fahrradtrainer. Fit ist Ettrich auch im Kopf. Es ist gar nicht so einfach, sich jedes Haus zu merken, bei dem eine Zeitung im Briefkasten landen soll. Dann muss er noch unterscheiden: Ist sie halb- oder ganzwöchig abonniert? „Wenn man nicht denkt, verfault das Gehirn“, sagt Ettrich. Er lernt schnell: „Wenn man das zweite Mal durch ist, weiß man normalerweise, wo es hinkommt.“ An manche Adressen trägt er schon seit zwanzig Jahren aus.

Am frühen Morgen im Dunklen unterwegs zu sein, ist für ängstliche Persönlichkeiten sicher kein Vergnügen. Ein Fuchs, der ihm über den Weg läuft, oder ein entlaufener Hund, der ihn morgens begrüßt, macht dem unerschrockenen Senior nichts aus. Außerdem ergeht es ihm jetzt besser: „Es gibt ja Straßenlampen, früher war das anders.“

Die Morgenstunden, wenn noch alle schlafen, das ist für ihn die beste Zeit: „Wenn man in der Früh allein unterwegs ist, ist kein Mensch da. Im Sommer, jetzt ist das ja nicht mehr so, aber früher gab’s ein Konzert der Amseln, das war herrlich. Jetzt gibt’s ja nicht mehr so viele Vögel.“

In seiner Zeit als Zeitungsausträger hat er schon vieles erlebt. Viele Kunden hat Ettrich lange Zeit mit dem TAGBLATT beliefert, und manche haben ihn morgens abgepasst. Da waren die beiden Frauen: „Die standen draußen und haben auf mich gewartet“, erzählt der Senior. Mittlerweile sind einige seiner langjährigen Kunden ins Heim gekommen oder verstorben. „Fünf Leute innerhalb von einer Strecke von 150 Metern, innerhalb von knapp zwei Jahren“, sagt Ettrich.

Auch Lustiges hat der ältere Herr schon erlebt. „Um Viertel nach fünf ist mal ein jüngerer Mann bei einer älteren Dame aus dem Fenster gestiegen“, schmunzelt Ettrich. Langweilig wird ihm beim Zeitungsaustragen wohl nie. Von Bekannten unter den Abonnenten bekommt Ettrich zu Ostern ein „Häsle“ oder jetzt erst zum Nikolaus einen Weihnachtsmann in den Briefkasten gelegt.

Nachdem Ettrich das letzte Zeitungsrohr der Tour befüllt hat, ist noch eine Zeitung übrig: „Ich hoff’, das ist meine.“ Nach dem Zeitungsaustragen grüßt ihn der Alltag. „Frühstücken, Zeitung lesen, nichts tun und kochen.“

Die Tour ist zu Ende, und der Senior musste überlegen, ob er ein Haus vergessen hat, wegen der übriggebliebenen Zeitung. Er stellt jedoch schnell fest, als er in zu Hause ankommt: „Da habe ich meine eigene Zeitung spazieren getragen.“

Wie lange Ettrich den Job als Zeitungsausträger weitermacht, weiß er noch nicht, aber er denkt, nicht mehr all zu lange. An diesem Montagmorgen nimmt er erst mal den Schuhlöffel von der Werkbank, zieht seine Spike-Winterstiefel aus, schlüpft in die Alltagsschuhe und freut sich über den gelungenen Start in die Woche.

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Erstellt:
02.01.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 47sec
zuletzt aktualisiert: 02.01.2019, 01:00 Uhr

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