Hinter Gittern imkern

Im Rottenburger Gefängnis kümmern sich Inhaftierte um drei Bienenvölker / Erster Honig abgefüllt

Seit einem halben Jahr imkern drei Inhaftierte im Rottenburger Gefängnis in einem deutschlandweit besonderen Projekt. Jetzt gibt es den ersten „Schlosshonig“.

19.08.2016

Von Andreas Straub

Günter Hebäcker (links im Bild) und Robert Augustin-König (rechts im Bild) vom Rottenburger Imkerverein halfen den Inhaftierten bei der Imkerei im Gefängnishof. In die Wege geleitet hat das Projekt Gerhard Brüssel (zweiter von rechts), der in der Justizvollzugsanstalt für Freizeit und Sport zuständig ist. Bild: Straub

Günter Hebäcker (links im Bild) und Robert Augustin-König (rechts im Bild) vom Rottenburger Imkerverein halfen den Inhaftierten bei der Imkerei im Gefängnishof. In die Wege geleitet hat das Projekt Gerhard Brüssel (zweiter von rechts), der in der Justizvollzugsanstalt für Freizeit und Sport zuständig ist. Bild: Straub

Rottenburg. Am Mittwochabend klebten Gefangene die Etiketten auf ihren ersten eigenen Blütenhonig: Goldbrauner Schlosshonig. „Das ist das Schönste“, sagte einer der Inhaftierten stolz. Nur wenige Meter entfernt, auf dem Gefängnishof, summen die Bienen. Drei Gefangene haben sich seit April diesen Jahres um sie gekümmert. Unter professioneller Anleitung des Bezirksimkervereins Rottenburg trafen sie sich wöchentlich am Mittwochabend.

Die Idee für diese freiwillige „Freizeitgruppe“ hatte Gerhard Brüssel, im Gefängnis für Freizeit und Sport zuständig, schon länger. „Es gab anfangs kritische Stimmen, die Bienen könnten für Allergiker gefährlich sein“, sagte Brüssel. Die Bedenken konnten entkräftet werden – die Gefängnisleitung gab Ende 2015 grünes Licht. Am Rand des Gefängnishofes, weit weg vom Trubel, wurden drei Bienenkästen, nach Süden hin ausgerichtet, aufgestellt. „Deutschlandweit ist die Bienenzucht in Gefängnissen eine Besonderheit“, sagte Brüssel. Die Erfahrungen des Versuchs seien durchweg positiv.

„Wir haben genau überlegt, welche Inhaftierten dafür geeignet sind“, erklärte Thorsten Strauß vom psychologischen Dienst der Justizvollzugsanstalt. Viele der Freizeitangebote im Knast seien auf größere Gruppen ausgerichtet. Das ist nicht jedermanns Sache. „Daher haben wir die Bienenzucht den Leuten angeboten, die sich sonst eher zurückziehen.“ Das Projekt sei geeignet für Inhaftierte, die sich gerne kümmern und etwas tun – „positive Aktivierung“ nennt der Psychologe das. „Spaß an der Natur gehört genauso dazu“, sagte Strauß. Welche Straftaten die Inhaftierten begangen hatten und wie lange sie noch zu sitzen haben, spielte keine Rolle. Ob die Gruppe harmoniert, dagegen schon.

Der Verein „Straffälligenhilfe und Sozialberatung Südwürttemberg-Hohenzollern“ finanzierte zwei Bienenvölker, Material für Bienenkästen, Rahmen für die Waben und nicht zuletzt die Honiggläser. Vom Rottenburger Imkerverein leisteten dessen Vorsitzender Robert Augustin-König sowie Günter Hebäcker und Franz Vollmer fachliche Unterstützung. Sie brachten vergangene Woche auch ihre Honigschleuder mit ins Gefängnis, die es dort noch nicht gibt. „Wir haben zum Beispiel erklärt, wie die Bienenkästen geöffnet werden und wie man die Waben richtig zieht“, berichtete Augustin-König. So hätten die Gefangenen etwa gelernt, dass die Bienen im Frühjahr rechtzeitig genügend Platz benötigen, dass es nach der Honigernte gilt, Futter bereitzustellen und dass man regelmäßig nach der Königin schauen muss. In der Blütezeit brachten die Bienen Nektar und Pollen in ihren Stock, vorwiegend aus dem Weggental. „Die Bienen fliegen bis zu drei Kilometer weit“, sagte Augustin-König.

Imkerei-Projekt soll

ausgebaut werden

Eine weitere wichtige Aufgabe des Imkers im Frühjahr ist es, Schwarmstimmung im Bienenvolk zu verhindern. „Wir haben versucht, möglichst viel praktisch zu machen, aber auch zu erklären“, sagte Hebäcker. Die Gefangenen seien sehr interessiert und zuverlässig gewesen. Einig waren sich die ehrenamtlichen Helfer mit den Gefangenen in einem: Jeden Mittwoch hätten sie sich ab 17 Uhr mit den Bienen beschäftigt und zwei Stunden später zufriedener als zuvor wieder aufgehört.

„Anfangs hatte ich ein wenig Angst, die Waben in die Hand zu nehmen. Aber die habe ich schnell verloren“, berichtete einer der Gefangenen. Es sei schön gewesen, regelmäßig nach den Bienen zu sehen. Er wünscht sich, nach seiner Entlassung selbst zu imkern. „Irgendwo draußen, am Waldrand, das kann ich mir gut vorstellen“, sagte der Inhaftierte.

Das Projekt hat die Verantwortlichen überzeugt, so dass die Imkerei zur Dauereinrichtung werden soll. Angedacht ist, die Teilnehmerzahl auf bis zu fünf Inhaftierte aufzustocken. Die beiden Hobbyimkern, die nächstes Jahr noch in der Justizvollzugsanstalt sind, wollen weitermachen. Die fachliche Leitung will Brüssel nach und nach selbst übernehmen und kündigte an: „Nach meiner Pensionierung werde ich Imker.“

Jetzt müssen die Bienenvölker erst einmal für die Überwinterung fit gemacht werden. So müssen die Bienen gegen die Varroa-Milbe, einem Schädling, der den Tieren schwer zu schaffen macht. Außerdem bekommt jedes Bienenvolk umgerechnet 20 Kilogramm Zucker in Form von Sirup als Wintervorrat.

Produziert haben die Gefängnisimker im ersten Jahr gut 60 Gläser Blütenhonig. Den gibt es ab heute immer freitags in zwei Varianten (hell und cremig/dunkel und flüssig) von 14.30 bis 17.30 Uhr am Marktstand vor dem Gefängnis zu kaufen.

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Erstellt:
19.08.2016, 14:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 03sec
zuletzt aktualisiert: 19.08.2016, 14:00 Uhr

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