Ida

Ida

Im Polen der sechziger Jahren ergründet eine junge Nonne den blinden Fleck ihrer Familiengeschichte während des zweiten Weltkriegs.

07.04.2014

Von Klaus-Peter Eichele

Siehe auch: Sie sind ein bisschen Oscar - Arsenal-Filmverleih bekommt mit „Ida? etwas Hollywood-Glanz ab

Fast reglos registriert Ida die Nachricht, die ihr ganzes Leben auf den Kopf stellt. Von ihrer bis dahin unbekannten Tante erfährt die in einem katholischen Waisenhaus aufgewachsene junge Frau, die demnächst ihr Gelübde als Nonne ablegen will, dass sie Jüdin ist. Ihre Eltern und ihr Bruder sind im Fahrwasser des Holocaust von christlichen Nachbarn totgeschlagen und vermutlich im Wald verscharrt worden. Schauplatz der Offenbarung ist Polen in den frühen sechziger Jahren.

Gemeinsam reisen die scheue Novizin und die resolute Richterin ins Hinterland, um endlich die ganze Wahrheit über das Verbrechen herauszufinden. Denn was Ida nicht wissen konnte, hat Wanda nicht wissen wollen ? jedenfalls nicht so genau. Sie hat aus dem Antisemitismus den Schluss gezogen, ihre jüdischen Wurzeln zu kappen und sich den neuen sozialistischen Machthabern als besonders rigorose Vollstreckerin anzudienen. Ida wiederum wurde hinter ihrem Rücken in die Mehrheitskultur integriert. So oder so blieben die im Schatten der nazideutschen Besatzung verübten Pogrome unter dem Teppich.

Entsprechend empfindet man im Dorf der Täter, wo längst Gras über die Sache gewachsen ist, die Nachforschungen als Zumutung. Doch Folgen haben sie letztlich nur für die Überlebenden: Das Aufwühlen der Vergangenheit lässt den Frauen keine Wahl, als sich sowohl mit ihrer Herkunft als auch mit ihrer Stellung in der Gegenwart auseinanderzusetzen. Wanda merkt, dass sie ihren Selbstekel nicht mehr länger mit Alkohol und sexuellen Eskapaden betäuben kann. Und Ida muss sich fragen, ob sie nach alldem, was sie nun weiß, noch an einen Gott glauben kann.

Schon wegen seiner zwar einfach konstruierten, in den Details aber höchst komplexen Geschichte, ist „Ida? einer der klügsten Filme über Antisemitismus und den Umgang der Opfer damit. Herausragend ist aber auch seine Machart. Für historische Authentizität sorgt der in England aufgewachsene polnische Regisseur Pawel Pawlikowsi durch den faszinierend stimmigen Rückgriff auf die Ästhetik des damaligen europäischen Kunstkinos mit seinen streng komponierten Schwarz- weiß-Bildern. Generell wird Zeitkolorit hier nicht museal hingeklotzt, sondern in feinen atmosphärischen Dosen unter die Haut injiziert. So erzeugt der Auftritt einer Schlagerjazz-Kapelle im spartanischen Provinzhotel ein eigentümlich melancholisches Flair zwischen realsozialistischem Muff und einer kulturellen Aufbruchstimmung, die vielleicht auch Ida eine neue Perspektive öffnet.

Eine Identität wird erschüttert. Klug, berührend, bestechend schwarz-weiß.

Ida