Musik

„Ich zwinge den Instrumenten meinen Willen auf“

Pianist und Elektronik-Schrauber Nils Frahm hat ein Live-Album samt Konzertfilm veröffentlicht: Ein Dokument seiner Energie, die er derzeit nicht auf der Bühne ausleben kann.

05.12.2020

Von UDO EBERL

In seinem Element: Der Berliner Pianist und Elektronikmusiker Nils Frahm im neu veröffentlichten Konzertfilm „Tripping with Nils Frahm“. Foto: Leiter Verlag

In seinem Element: Der Berliner Pianist und Elektronikmusiker Nils Frahm im neu veröffentlichten Konzertfilm „Tripping with Nils Frahm“. Foto: Leiter Verlag

Berlin. Nach 180 ausverkauften Shows seiner „All Melody“-Tour kehrte der Tastenzampano Nils Frahm nach Berlin zurück, um ein knappes Jahr später im Funkhaus Berlin die Live-Entwicklung in vier Konzerten zu bündeln. Für die Dokumentation „Tripping with Nils Frahm“ gewann er seinen langjährigen Freund Benoit Toulemonde, einen Filmemacher von Weltruf. Spricht man mit dem 28-jährigen Frahm, der in seiner Musik Neo-Klassik mit Elektronik verbindet, über die vier Konzerte, kann man die Magie des Tastens inmitten der engen Umringung durch das Publikum noch nachfühlen.

Was zeichnete das Berliner Funkhaus in der Nalepastraße als Ort für die Aufnahmen des Films und des Tonträgers aus?

Nils Frahm: Das Funkhaus Berlin ist als Raum absolut zeigenswert und einfach ein genialer Ort, gerade auch für Aufnahmen. Die Konzertsituation ist dort ja fast schon parlamentarisch und erinnert an die Happenings der 70er. Da könnten auch heute noch schnoddrige Hippies herumsitzen und Klaus Kinski regt sich auf. Vor allem ist dieses Spielen, fast anfassbar umgeben von Zuhörern, sehr transparent und unmittelbar.

Welchen ästhetischen Anspruch hatten Sie an den Film?

Musik wird aktuell in Videos meist extrem hell ausgeleuchtet, knackig scharf und krisp dargestellt, aber sehr unpoetisch gefilmt. Als solle man die Kamera nicht mehr spüren. Der Kunstgriff mittels Linse wird in dieser YouTube-Ästhetik und digitalen Wirklichkeit gar nicht mehr mitgedacht. Ich wollte, dass man das Medium Film erleben und fühlen kann.

Bis auf das Spiel mit Schärfe und Unschärfe wird im Film auf technischen Schnickschnack verzichtet.

Besucher, die meine Konzerte häufiger gesehen haben, sagen, dass es irre ist, mir im Film auf die Finger sehen und ganz nah dran sein zu können. Für den Betrachter ist das so, als würde er direkt neben der Tastatur stehen. Das ist ja auch genau das Stilmittel von Benoit Toulemonde, der diese Art der intimen Kameraführung schon sehr lange mit besonderen Konzertfilmen prägt.

Wie sehr können Sie sich trotz der Konzentration, die zur Beherrschung des großen Instrumentariums notwendig ist, in die Musik fallen lassen?

Wenn man Abläufe so oft probt und spielt wie ich, dann ist vieles automatisiert. Das ist ähnlich wie beim Autofahren durch den Feierabendverkehr. Da kann man ja auch noch nebenher nachdenken und eine gute Radiosendung hören. Im besten Fall kümmere ich mich nicht mehr um die Bedienung der Technik und nutze den so geschaffenen Gestaltungsfreiraum mit einer fast schon hedonistischen Selbstsicherheit und großen Freude. Das Sich-Fallen-Lassen und sich ausdrücken zu können, das bedingt sich.

Ist das Körperliche, das sich in die Tasten Legen, ein wichtiger Teil des Ausdrucks beim Spielen?

Bei den Konzerten lade ich mich richtig auf, während Tourneen als solche mir eher viel Kraft abverlangen. Die mentale Präsenz, viele Termine, wechselnde Zeitzonen, bisweilen mit Neon geflutete, hässliche Backstage-Situationen – dagegen kann ich auf der Bühne auftanken und fühle mich nach Konzerten richtig fit. Das Energielevel, das wir an den Tagen in Berlin erreicht haben, diese Akkumulation, die kann man sich als Team allerdings nicht immer abverlangen. Ich bin nach dieser langen Corona-Pause auch nicht sicher, ob ich jemals wieder an diesen energetischen Punkt kommen werde. Umso glücklicher bin ich, dass wir diese Konzerte festhalten konnten. Aber vielleicht wird ja in ein paar Jahren alles noch toller und wilder sein. Wer weiß das schon?

Wie unerbittlich werden in Ihrer Sequenzer-Welt Fehlgriffe bestraft und wie wichtig ist für Sie als Musiker Perfektion?

Mein Ziel es es natürlich schon, die Kontrolle über meinen Instrumentarien-Park zu behalten und so etwas wie Perfektion anzustreben. Ich weiß aber auch, dass meine Zuhörer in Konzerten nicht wissen können, was ich gerade entstehen lassen will. Das nimmt den Druck. Und durch kleine Patzer, ob technisch bedingt oder beim Spielen, können auch ganz neue Parts ausgelöst werden, die einem sonst nie eingefallen wären. Da ich meiner Tastenburg aber kein Eigenleben gestatten will, zwinge ich den Instrumenten meinen Willen auf und bedrohe sie im Eifer des Gefechts mit grimmigen Blicken.

In die Liste der Produzenten des Konzertfilms hat sich auch Hollywood-Star Brad Pitt eingetragen. Wie kam es dazu?

Er kam auf mich zu, da er mich für den Soundtrack des Films „Ad Astra“ gewinnen wollte. Ich musste zeitlich bedingt ablehnen, konnte dann aber doch zumindest an zwei Stücken mitwirken. Brad, der Konzerte von mir gesehen hatte, war von unserer Idee des Konzertfilms sofort begeistert und bot seine Expertise und die Unterstützung seiner Produktionsfirma Plan B Entertainment an. Gerade in dieser aktuellen Zeit von Streaming und Corona können wir von deren Tipps und Strategien nur profitieren. Und wenn Brad Pitt einem seine Hilfe anbietet, sagt man nicht nein, sondern freut sich über diesen Ritterschlag.

Was macht Corona mit Ihnen?

Mich trifft es nicht so hart. Ich habe meine Karriere. Viel spannender ist doch, wie junge Künstler durch diese Krise kommen. Ich selbst habe mich im März darauf vorbereitet, dass Corona und die Folgen uns mindestens drei Jahre beschäftigen werden. Ich nutze die Zeit für Aktivitäten, die man sonst immer aufschiebt: Ich mache meine Hausaufgaben, übe viel am Klavier, komponiere und improvisiere, optimiere aber auch meine Kabelstränge oder baue im Studio ein paar Sachen zu Ende. Ich vernachlässige aber auch ganz bewusst meine Aktivitäten in Social Media, denn diese Zeit gebietet es, einfach mal das Tempo rauszunehmen. Jetzt geht es auch nicht darum, die Ellenbogen auszufahren und nach Aufmerksamkeit zu schreien. Die größte Solidarität ist, den Platz auch für andere Künstler frei zu machen, für die es gerade ums Ganze geht.

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Erstellt:
05.12.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 53sec
zuletzt aktualisiert: 05.12.2020, 06:00 Uhr

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