Winfried Gaus über eine Eintagsliebesfliege

Ich liebe doch fast alle! Nicht nur an diesem Tag.

Es ist keine 20 Jahre her, da durften Schüler eines Tübinger Gymnasiums zum 14. Februar Rosen vorbestellen, die dann am Tag der Tage der auserwählten Mitschülerin in der Schule übergeben wurden. Was das mit der Psyche der zu viel oder zu wenig bedachten Mädchen machte, möchte man sich nicht so recht vorstellen.

14.02.2018

Von Winfried Gaus

Gewachsenes Valentinstagherz: Den Zinnoberroten Kelchbecherling entdeckte der Mähringer TAGBLATT-Leser Bernd Schettler am Sonntag im Donautal. Bild: Schettler

Gewachsenes Valentinstagherz: Den Zinnoberroten Kelchbecherling entdeckte der Mähringer TAGBLATT-Leser Bernd Schettler am Sonntag im Donautal. Bild: Schettler

Die Gnade der früheren Geburt – und möglicherweise ein anderer Schulort – hat mich vor solcherlei Absonderlichkeit bewahrt.

Der Valentinstag war für mich von Anfang an nur ein nettgemeintes Gärtnerfest (Hunderte Tonnen Rosen werden heute noch für diesen einen Tag nach Deutschland importiert), ein Tag für selbsternannte Verseschmiede und Pralinenverschenker. Eine Eintagsliebesfliege.

Dass am Valentinstag ursprünglich zwei oder drei frühchristlicher Märtyrer gedacht wurde, das war lange Zeit nicht mal eine Randerkenntnis meinerseits. Zugekleistert vom allgemeinen Brimborium mit Verschenkerles und Internetgrußkarten.

Wohlan, wen oder was haben wir zu lieben an diesem Tag? Die Frau? Den Mann? Die Kinder? Die Eltern? In Teilen die (bucklige) Verwandtschaft, wie es so unschön heißt? Sich selbst? Ja, wenn wir Glück haben.

Die Kolleginnen und Kollegen? Da gibt’s durchaus den einen oder die andere, mit denen einen mehr verbindet als nur der nüchterne gemeinsame Broterwerb. Mit denen man Weltanschauungen teilt, vielleicht die Liebe zu einer Fernsehserie oder Sportart. Allerdings kann man seine Arbeit auch lieben, wenn man manche der Beteiligten am liebsten zum Teufel wünscht. Man muss ja nicht jeden Tag die Welt umarmen.

Ich liebe meine Hobbys. Ich liebe es, ohne Kopfweh einzuschlafen und ohne Kreuzweh aufzuwachen, ich liebe den frühmorgendlichen Gesang der Vögel im Gärtle, das Miauen der streunenden Katzen. Ich liebe es, mit Freunden zusammenzusitzen, Bücher zu lesen, Zeitungen, Zeitschriften oder Comics. Ja, und Nichtstun liebe ich gelegentlich auch. Löcher in die Luft starren kann den Horizont weiten.

Manchmal erwische ich mich allerdings auch beim Gegenteil von Liebe. Ich verspüre dann auf- und abschwellend tiefe Abneigungen. Gegen Leute, die an der Supermarktkasse drängeln. Gegen Leute, die Kinder beim Fasnetsumzug auf der Jagd nach dem letzten 08/15-Bonbole umschubsen. Gegen Dichtauffahrer im Straßenverkehr. Gegen Rad-Rambos. Gegen 30 Semester Besserwissenschaft studiert habende Leute. Auch diese Grundaggressiven, diese Ichbezogenen, diese täglich mit Was-bringt-mir-das?-Fragen aufwachenden Zeitgenossen können mir den Buckel und noch weiter runterrutschen.

Die verquerste Liebeserklärung zum Valentinstag findet man übrigens auf Youtube. Eine Minute und 26 Sekunden lang darf man dort Erich Mielke, dem Ex-Stasi-Chef, am 13. November 1989 als Abgeordnetem der DDR-Volkskammer zuhören. Er sagt: „Ich liebe doch alle!“