Russland

Amoklauf an Schule: „Ich hasse euch alle“

Bei einem Amoklauf in einer Schule kommen mindestens sieben Menschen ums Leben. Der 19-jährige Täter ist ein ehemaliger Schüler.

12.05.2021

Von STEFAN SCHOLL

Großaufgebot: Krankenwagen und Polizeiautos vor der Schule. Foto: Roman Kruchinin

Großaufgebot: Krankenwagen und Polizeiautos vor der Schule. Foto: Roman Kruchinin

Moskau. Heute werde er eine gewaltige Menge „Biomüll“ töten und sich dann selbst erschießen. „Ich bin wie Gott“, schrieb Ilnas Galjawijew am frühen Morgen auf Telegram. „Auf der Erde darf nichts Lebendiges übrig bleiben, das ist ein Fehler des Universums.“ Am Dienstag drang Galjawijew gegen 9.20 Uhr Ortszeit in ein Gymnasium der tatarischen Hauptstadt Kasan ein und erschoss nach Angaben der Regierung sieben Kinder und eine Lehrerin. Die Staatsagentur Tass sprach von elf Todesopfern. Nach unterschiedlichen Angaben wurden 16 bis 21 Menschen verwundet. Laut den tatarischen Gesundheitsbehörden befanden sich von 18 verletzten Kindern am Nachmittag sechs in einem „äußerst kritischen Zustand“.

Nach Angaben der Polizei handelte der 19-jährige Amokläufer allein, mehrere Agenturen hatten zuvor von einem zweiten Täter berichtet. Dieser habe sich mit mehreren Geiseln im dritten Geschoss des Schulgebäudes verbarrikadiert und sei von Einsatzpolizisten getötet worden. Das Medienportal RBK meldete unter Berufung auf Geheimdienstquellen, außerdem sei ein 41-jähriger Mann unter dem Verdacht der Komplizenschaft festgenommen worden.

Entsetzte Angehörige. Foto: Roman Kruchinin/afp

Entsetzte Angehörige. Foto: Roman Kruchinin/afp

Unklar ist auch, ob es bei der Attacke tatsächlich eine Explosion gab, von der Augenzeugen berichteten. Ein Video zeigte Schul-Korridore mit zertrümmerten Türen, Glassplittern und abgerissenen Holzleisten. Auf einem anderen Video sieht man, wie Kinder im Erdgeschoss aus den Fenstern klettern und über einen Sportplatz davonlaufen, dann springen zwei Schüler kurz hintereinander aus dem dritten Stock.

Mitten im Unterricht

In dem Gymnasium sollen sich 714 Kinder, 52 Lehrer sowie 18 Bedienstete befunden haben. Einer der Schüler erzählte, mitten im Unterricht habe die Direktorin über Mikrofon gerufen, alle sollten sich in ihren Klassenräumen einschließen und niemandem aufmachen. „Die Klassenlehrerin schloss schnell ab, fünf Sekunden danach knallte eine Explosion.“

Foto: Grafik Scherer / Quelle: dpa

Foto: Grafik Scherer / Quelle: dpa

Jemand versuchte, die Tür aufzubrechen, die Kinder hörten Schüsse und Schläge. Einige Zeit später kam Einsatzpolizei die Treppe zum dritten Stock herauf.

Ilnas Galjawijew war nach Medienangaben früher selbst Schüler des Gymnasiums. Eine ehemalige Klassenkameradin erzählte, er sei ein unauffälliger Einzelgänger gewesen. Und vielleicht habe er sich an einer Lehrerin rächen wollen, die verhinderte, dass er in die elfte Klasse versetzt wurde, weil seine Leistungen angeblich nicht ausreichten. Galjawijew verließ das Gymnasium.

Nach Angaben von RBK studierte er später an einem College der Kasaner Verwaltungsuniversität Informatik, ein Mitarbeiter des Colleges bezeichnete ihn als ruhigen und konfliktfreien Studenten. Aber laut der Pressestelle der Uni blieb er seit einigen Monaten den Prüfungen fern. Deshalb habe man ihn am 26.?April vom Lehrbetrieb ausgeschlossen. Zwei Tage später erhielt er eine Waffenlizenz.

Nach Ansicht der meisten russischen Beobachter gibt es kein Anzeichen für einen politischen Terrorakt. Dafür spricht auch ein RBK-Video von Galjawijews erstem Verhör. Dort schmäht er den Rest der Welt: „Ich hasse euch alle.“

Eine Spezialeinheit der russischen Polizei rückt an. Foto: The Investigative Committee of the Russian Federation

Eine Spezialeinheit der russischen Polizei rückt an. Foto: The Investigative Committee of the Russian Federation

Viele Eltern kritisierten in den sozialen Netzen umgehend heftig das 175. Gymnasium von Kasan und seine Pädagogen. „Ein Gefängnis, keine Schule“, schreibt ein Vater. „Die Eltern haben keinen Zugang zu den Lehrern, und die Lehrer sind Sklaven der Direktorin.“ Der nationalpatriotische Publizist Maxim Schewtschenko klagte auf Facebook, man habe das klassische russisch-sowjetische Schulsystem ruiniert und mit der Zweiklassenausbildung der USA auch blind die amerikanische „Tradition“ blutiger Schulschießereien importiert. „Nach der Schließung sehr vieler Schulen sitzen in den Klassen ,für die kleinen Leute? 30 bis 40 Kinder, die in mehreren Schichten lernen. In dieser Situation ist es nicht zu vermeiden, dass soziale und seelische Komplexe und ihre haarsträubenden Ausbrüche zur russischen Alltäglichkeit werden.“ Die Staatsagentur Tass zählte seit 2018 sechs bewaffnete Amokläufe in Russlands Schulen, 22 Menschen starben, über 70 wurden verletzt.

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Erstellt:
12.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 49sec
zuletzt aktualisiert: 12.05.2021, 06:00 Uhr

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