Protestmarsch · Gegen die Türkei auf die Straße

Hunderte zogen vom Europaplatz auf den Holzmarkt · Solidarität mit Afrin im Norden Syriens

Erdogan, Terrorist!“, erschallte es am Samstag vielfach in der Tübinger Innenstadt. Etwa dreihundert Demonstranten kamen vormittags zum Europaplatz, um sich mit der hauptsächlich kurdischen Bevölkerung in Afrin zu solidarisieren, einem Teilgebiet der autonomen Region Rojava im Norden Syriens.

05.02.2018

Von Monica Brana

Türkisches Militär hatte am 20. Januar damit begonnen, die dort lebenden Menschen zu bombardieren. Bei der anschließenden Protestkundgebung auf dem Holzmarkt zur Mittagszeit schwoll die Menschenmenge weiter an. Die Demonstranten forderten ein Ende der militärischen Angriffe und Sanktionen gegen die türkische Regierung.

Eingeladen hatte unter dem Motto „Hände weg von Afrin“ das „Solidaritätskomitee Afrin“. Eine zentrale Aussage der Sprecherin des Solidaritätskomitees lautete, türkisches Militär habe Afrin mit Hilfe radikaler islamistischer Gruppierungen völkerrechtswidrig angegriffen. Hunderte Kurden seien bereits getötet und verletzt worden. Mit Parolen wie „Türkei bombardiert, Deutschland kassiert!“ und „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt!“ kritisierten die Demo-Teilnehmer auch die deutschen Waffenexporte an die türkische Regierung.

Auf dem Holzmarkt sprach zunächst ein Vertreter der kurdischen Vereinsföderation Nav-Dem, der mit zahlreichen Mitgliedern vor Ort war und anschließend zur großen Protestkundgebung nach Stuttgart fuhr. Der türkische Staat arbeite mit Gruppierungen wie der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) und Al-Quaida zusammen, sagte der Sprecher, umgeben von Transparenten, auf denen stand: „Schluss mit Erdogans Krieg in Afrin!“ oder: „Keine deutschen Waffen für Völkerrechtsbruch“.

Hunderte demonstrierten am Samstag in Tübingen gegen den Einmarsch der Türkei in den kurdischen Kanton Afrin im Norden Syriens – und forderten einen sofortigen Stopp der deutschen Waffenexporte an den Nato-Partner Türkei. Bild: Faden

Hunderte demonstrierten am Samstag in Tübingen gegen den Einmarsch der Türkei in den kurdischen Kanton Afrin im Norden Syriens – und forderten einen sofortigen Stopp der deutschen Waffenexporte an den Nato-Partner Türkei. Bild: Faden

Die Invasion in Afrin sei eine grobe Verletzung internationalen Rechts, erklärte der Nav-Dem-Sprecher. Nicht nur Kurden lebten in Afrin, sondern auch Anhänger anderer Glaubensrichtungen, wie etwa Juden und Aleviten. Tempelanlagen wie in Tell Ain Dara im Nordosten Syriens seien bei türkischen Luftangriffen teilweise zerstört worden. Mit dem Einsatz von Streubomben und Napalm verstoße die Türkei zudem gegen internationale Verbote. Unter anderem aus diesen Gründen forderte der Nav-Dem-Sprecher die USA, die EU und die Vereinten Nationen dazu auf, klar Stellung zu beziehen gegen den türkischen Angriff.

Wolfgang Held von der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) sprach von einer „neuen Phase in Syrien“. Nach der Schwächung des IS begännen nun imperialistische Mächte damit, das Gebiet aufzuteilen wie einen Kuchen. Es sei reich an Erdöl und auch von strategischem Wert. Russland etwa könne seinen Zugang zum Mittelmeer verteidigen. „Der Überfall auf ein Land, das ist Imperialismus!“, rief Held in die Menge. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spreche „nicht nur in Bezug auf Kurden“ von „säubern“ und „ausrotten“, fuhr Held fort. „Das ist Genozid!“ Beim Marsch durch die Altstadt hatte Held auch die abwartende Haltung Deutschlands kritisiert: „Ein Volk wird in den Genozid getrieben und die deutsche Regierung wackelt mit dem Kopf!“

Eine Sprecherin der Initiative „Medizin für Rojava“ erklärte, ihr im Jahr 2016 eröffnetes Gesundheitszentrum in Kobane in Rojava sei von den Menschen vor Ort gut angenommen worden und versorge inzwischen die gesamte Region. Viertausend Kinder kämen nun im Jahr dort zur Welt, wo zuvor der IS für Zerstörung gesorgt habe. Auch diese Sprecherin klagte neben der Assad-Diktatur die „imperialistischen Kräfte“ an, die in Syrien lediglich eigene Interessen verfolgten. Die kurdischen Kämpfer der YPG sehe ihre Initiative nicht als Terroristen an. Vielmehr hätten sie dafür gesorgt, Rojava ausreichend zu stabilisieren, sodass dort hunderttausende Flüchtlinge untergekommen seien – „auch ohne Hilfe der EU!“ Als Nato-Partner der Türkei sei die deutsche Regierung an der weiter eskalierenden „Barbarei“ beteiligt.

Von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) verlas die Sprecherin des Solidaritätskomitees anschließend ein Grußschreiben: Die erneute Eskalation des seit 2011 andauernden Krieges in Syrien müsse nun endlich aufhören. Die Aggressionen des Nato-Mitgliedsstaats Türkei seien nicht hinnehmbar.

Auch vom Frauenverband Courage trat eine Vertreterin vor die Menschenmenge und äußerte ihr Unverständnis dafür, dass anstelle politischen Gegenwindes von deutscher Seite Panzer in der Türkei einträfen. „Ja geht’s noch?“